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FORSCHUNG/2566: Neuroökonomie - Hirnforschung für die Wirtschaft (DFG)


forschung 1/2011 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Entscheidung mit Köpfchen

von Bernd Weber


Ob im Autosalon oder vor dem Kühlregal: Überall hat der Mensch die Qual der Wahl. Was geschieht in seinem Gehirn, wenn er diese oder jene Alternative wählt? Mit bildgebenden Verfahren will die Neuroökonomie die biologischen Grundlagen des Verhaltens besser verstehen.


Täglich stehen wir vor zahllosen Entscheidungen: Kaufe ich lieber heute einen neuen, modernen Fernseher oder lege ich das Geld besser für morgen zurück? Essen wir das verlockende Filet "Mignon" oder doch lieber den kalorienarmen, gesunden Salat? Entscheiden wir uns für diese Butter oder jenen Schokoriegel? Neben Wirtschaftsforschern und Psychologen beschäftigen sich seit einigen Jahren auch Hirnforscher mit Fragen der Entscheidungsfindung. Sie setzen ihre modernen Methoden zur Untersuchung von Hirnfunktionen ein, um menschliches Verhalten besser zu verstehen. An dieser Schnittstelle hat sich das Feld der Neuroökonomie gebildet, das versucht, die biologischen Grundlagen menschlichen Entscheidungsverhaltens interdisziplinär aufzuklären.

Sind uns Bioprodukte tatsächlich mehr wert - und lässt sich dieser "Mehrwert" im Gehirn nachweisen? Die Kennzeichnung von Nahrungsmitteln beeinflusst das Entscheidungsverhalten von Konsumenten. Siegel auf Nahrungsmitteln sollen positive Assoziationen hervorrufen, hohe Qualitäten ausweisen und damit das Kaufverhalten beeinflussen. Wir untersuchten, ob das Biosiegel auf Nahrungsmitteln die Zahlungsbereitschaft verändert und wie diese Wirkung in Gehirnarealen nachvollzogen werden kann.

Dafür baten wir die Probanden, vier Stunden vor dem Experiment kein Essen mehr zu sich zu nehmen. So sollte die Bereitschaft wachsen, Nahrungsmittel zu erwerben. Zudem durften sie nach dem Experiment eine weitere halbe Stunde lang nur die Nahrungsmittel zu sich nehmen, die sie zuvor innerhalb des Experiments erworben hatten. Die Versuchspersonen kamen zu uns ins Labor und wurden nach einer ausführlichen Einweisung in den Kernspintomografen gelegt. Über eine Videobrille wurden ihnen dort Nahrungsmittel angeboten, welche sie zu dem von ihnen genannten Preis erwerben konnten.

Diese Produkte waren teilweise als Bioprodukte, teilweise als gewöhnliche Nahrungsmittel gekennzeichnet. Die Probanden sahen Bananen, Äpfel, Nudeln und drückten jeweils ihre Zahlungsbereitschaft aus - über Antwortknöpfe, die sie in den Händen hielten. Nach etwa einer halben Stunde, in der die begleitende Hirnaktivität mithilfe der funktionellen Kernspintomografie erfasst wurde, war dieser Teil des Experiments abgeschlossen und die Probanden konnten den Kernspintomografen wieder verlassen. Es folgten Befragungen nach Einstellungen zu Bioprodukten, Kaufverhalten, Gesundheitsbewusstsein sowie diversen Persönlichkeitsmerkmalen.

Am Ende des Experiments wurden fünf Produkte zufällig aus jenen ausgewählt, die von den Probanden im Experiment gekauft worden waren und nun mit nach Hause genommen werden konnten. Insgesamt 35 Personen nahmen an diesem Experiment teil. Die Analyse zeigte eindeutig, dass die Versuchspersonen bereit waren, mehr für Bioprodukte zu bezahlen als für konventionelle Produkte - im Schnitt waren sie ihnen 40 Prozent mehr wert. Und auch das Gehirn zeigte in Bereichen, welche für das Entscheidungsverhalten von essenzieller Bedeutung sind, eine höhere Aktivierung bei Bioprodukten. Die Stärke der Aktivierung im "ventralen Striatum" ging sogar mit der realen Kauffrequenz der Probanden einher. Das heißt: Je höher die Aktivierung durch Bioprodukte in diesem Gehirnareal war, der zum "Belohnungssystem" gezählt wird, desto häufiger kauften die Probanden auch im Alltag diese Waren. Aufbauend auf dieser Studie soll nun untersucht werden, ob die Produktauszeichnung auch den wahrgenommenen Geschmack verändert. Anders gefragt: Führt allein der Aufdruck "light-Produkt" dazu, dass den Kunden das Produkt weniger gut (oder anders) schmeckt?


Dieses Beispiel zeigt, dass Konsumentenverhalten ein spannendes und wichtiges Thema in der neuroökonomischen Forschung ist. Es stellt - anders als gelegentlich in der Öffentlichkeit vermutet - nur einen Teilaspekt der neuen Forschungsdisziplin dar. Gerade durch den Blick auf die Biologie entsteht ein Sinn für die Unterschiedlichkeit des Menschen und seines Reaktionsverhaltens. In der gleichen Situation mag der eine sich für eine Option A, der andere für eine Option B entscheiden. Erschwerend kommt hinzu: Ein und derselbe Mensch entscheidet sich in einem Augenblick zum Beispiel dafür, einem anderen zu vertrauen und ihm Geld zu geben. Nachdem er aber einen Film über Betrugsfälle gesehen hat, behält er sein Geld lieber für sich. Was liegt den großen Unterschieden im Verhalten, ob im Einzelnen oder zwischen Menschen, zugrunde?

In den letzten Jahren ist es immer besser gelungen - gerade durch die Kombination von Theorien und Methoden verschiedener Disziplinen - die neurobiologischen Grundlagen von sozialem und wirtschaftlichem Verhalten besser zu verstehen. Gibt es genetische Einflüsse auf komplexes Sozialverhalten? Wenn ja, wie stark sind diese ausgeprägt, wie interagieren sie mit Umwelteinflüssen, Erziehung und persönlicher Bildung?

Gerade der Zusammenhang kognitiver und nicht kognitiver Fähigkeiten mit ökonomischen Präferenzen (und somit wirtschaftlichem und sozialem Erfolg) wird in den letzten Jahren intensiv diskutiert. Hier kann die neuroökonomische Forschung einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie die Kenntnisse und Methoden aus Psychologie, Genetik und kognitiven Neurowissenschaften mit den sogenannten ökonometrischen Methoden der Wirtschaftsforschung und mit Größen wie Bildungsleistung, Einkommen oder Lebenszufriedenheit kombiniert.

Auf der anderen Seite profitiert auch die medizinische Forschung von den Ergebnissen. Im Bereich psychiatrischer Erkrankungen werden Experimente der klassischen Verhaltensökonomie und der neuroökonomischen Forschung eingesetzt, um die neuronalen Grundlagen von Erkrankungen wie Schizophrenie, Depression, Autismus oder von Abhängigkeiten zu studieren. So zeigen Autisten zum Beispiel ein verringertes Vertrauen bei ökonomischen Spielen. Die Gabe von Oxytocin - einem Neuropeptid - erhöhte hingegen in einem ökonomischen Spiel das in andere Versuchspersonen gesetzte Vertrauen; erste Studien erbrachten hier vielversprechende Ergebnisse.


Ein weiteres wichtiges Gebiet untersucht ökonomische Präferenzen über die gesamte Lebensspanne hinweg. In den USA wird ein Großteil der neuroökonomischen Forschung vom National Institute of Aging finanziert, um Entscheidungsprozesse im Alter aufzuklären. Im Gegensatz zu breiten Erkenntnissen über das junge Erwachsenenalter - großenteils der Studentenpopulation in den Studien geschuldet - ist das Wissen über Entscheidungsprozesse im Altern bei weitem geringer. Angesichts des rasanten demografischen Wandels in den westlichen Industrieländern stellt dies eine große und wichtige Herausforderung dar.

Erste Studien deuten auf eindeutige Alterseffekte im Entscheidungsverhalten hin: zum Beispiel, dass ältere Menschen weniger auf Belohnungsreize reagieren und weniger schnell aus positiven Rückmeldungen lernen; auch scheinen ältere Personen risikoscheuer bei Entscheidungen zu sein. Auch hier aktivierten sich die Gehirnareale, die mit Risikoverarbeitung zusammenhängen, stärker und trugen zu verminderter Risikobereitschaft bei.


Die Zukunft der neuroökonomischen Forschung liegt in der Verzahnung der verschiedenen Disziplinen. Große, meist aus dem Gesundheitsbereich stammende Kohorten werden derzeit weltweit zusammen mit Wirtschafts- und Neurowissenschaftlern hinsichtlich ökonomischen Verhaltens untersucht, um genetische, hormonelle oder Umwelteinflüsse auf ökonomische Präferenzen zu beschreiben. Auch wir konnten gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin Pilotstudien in repräsentativen Gruppen durchführen. Kleinere und gezielte Laboruntersuchungen mithilfe bildgebender Verfahren werden diese Untersuchungen begleiten und ergänzen.

Durch das wachsende Verständnis biologischer Grundlagen (und dadurch auch der biologisch-begründeten Beschränkungen) menschlichen Entscheidungsverhaltens werden auch klassisch-ökonomische Modelle beeinflusst und erweitert. Nicht zuletzt ist dieses Thema von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. Indem wir verstehen, wie wir Menschen - um auf das Eingangsbeispiel zurückzukommen: zum Beispiel beim Kaufverhalten - beeinflusst werden, können wir als Konsumenten das eigene Verhalten besser verstehen und vielleicht sogar ändern. Aber auch politisch kann dieses Wissen genutzt werden, um ein wirtschaftliches Umfeld zu schaffen, das der Biologie des Menschen Rechnung trägt.


Prof. Dr. Bernd Weber ist Leiter der Abteilung NeuroCognition / Neuroimaging der Klinik für Epileptologie und des Forschungszentrums Life & Brain in Bonn.

Adresse:
Center for Economics and Neuroscience, Nachtigallenweg 86, 53127 Bonn

DFG-Förderung im Rahmen einer Heisenberg-Professur.

www.neuroeconomics-bonn.org
www.neuroeconomics.org


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Quelle:
forschung 1/2011 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 18-21
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2011