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FORSCHUNG/3219: Neurowissenschaft - Stopp für Stimmengewirr (idw)


Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau - 13.01.2015

Stopp für Stimmengewirr

Neurowissenschaftler erforschen, wie aus 100 Milliarden Nervenzellen ein klarer Gedanke oder eine Handlung entsteht



Ein Mensch hat etwa 100 Milliarden Nervenzellen im Kopf, die alle miteinander kommunizieren. Warum entstehen daraus klare Gedanken oder gezielte Handlungen statt unverständlichem Stimmengewirr? Unter anderem liegt das an einem kleinen Anteil hemmender Nervenzellen, die über den Botenstoff GABA andere Nervenzellen ruhigstellen können. Der Neurowissenschaftler Dr. Michael Strüber und die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Marlene Bartos von der Universität Freiburg haben zusammen mit ihrem Wiener Kollegen Prof. Dr. Peter Jonas herausgefunden, dass die Entfernungen zwischen kommunizierenden Zellen bei der Regulation von Hirnnetzwerken eine Rolle spielen. Diesen Ansatz präsentiert das Team in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).

GABA wird an speziellen Kontaktpunkten, den Synapsen, aus einem darauf spezialisierten Fortsatz der hemmenden Zellen, dem Axon, freigesetzt. Der Botenstoff bewirkt einen elektrischen Hemmstrom in den empfangenden Zielzellen. Eine besondere Unterart der GABA-freisetzenden Zellen bilden die so genannten Korbzellen. Von ihnen ist bekannt, dass sie eine starke hemmende Wirkung auf Hirnschaltkreise haben. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass Korbzellen ein langes und weit verzweigtes Axon besitzen, mit dem sie Hunderte bis Tausende von zum Teil weit verstreuten Zielzellen kontrollieren können. Bisher war nicht klar, ob all diese Zielzellen denselben Hemmstrom erfahren oder ob weite Entfernungen der Zielzellen von der GABA-freisetzenden Korbzelle die genaue Kontrolle erschweren.

Mit der Patch-Clamp-Technik, die die Hemmströme einzelner Zellen misst, fand das Team heraus: Je weiter entfernt sich eine Zielzelle befindet, desto kleiner und länger sind ihre Hemmströme. In pharmakologischen und elektrophysiologischen Experimenten und durch detaillierte mikroskopische Untersuchungen haben die Neurowissenschaftler gezeigt, dass das Korbzell-Axon mit weiter entfernten Zielzellen weniger Synapsen bildet und dass in diesen Synapsen andere GABA-wahrnehmende Proteine zu finden sind.

Was könnte der Grund für einen so komplizierten Aufbau sein? Diese Frage ist in ihrer Gänze zwar nicht zu beantworten, allerdings haben die Wissenschaftler die Auswirkungen einer solchen entfernungsabhängigen Hemmung in Computersimulationen neuronaler Netzwerke untersucht. Entgegen den Erwartungen ermöglicht es die schwächer werdende Hemmung den Korbzellen, eine große Anzahl an Nervenzellen genauestens in ihrer Aktivität zu kontrollieren und damit zu synchronisieren. Aus der Synchronisierung ganzer Hirnareale entstehen rhythmische Hirnaktivitäten wie zum Beispiel Gamma-Oszillationen, die eine wichtige Funktion bei höheren geistigen Vorgängen erfüllen. Der neue Ansatz einer entfernungsabhängigen Hemmung könnte ein wichtiger Baustein in der Regulation von Hirnnetzwerken sein, die es ermöglicht, dass aus der Aktivität von 100 Milliarden einzelner, aber verbundener Nervenzellen ein Gedanke entsteht.


Originalveröffentlichung:
Michael Strüber, Peter Jonas, Marlene Bartos. (2015) Strength and duration of perisomatic GABAergic inhibition depend on distance between synaptically connected cells. Proceedings of the National Academy of Sciences USA. doi: 10.1073/pnas.1412996112
www.pnas.org/content/early/2015/01/08/1412996112

Kontakt:
Dr. Michael Strüber
Prof. Dr. Marlene Bartos
Physiologisches Institut
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
E-Mail: michael.strueber@sgbm.uni-freiburg.de
E-Mail: marlene.bartos@physiologie.uni-freiburg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution69

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Rudolf-Werner Dreier, 13.01.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2015


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