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GESCHICHTE/627: Kassenärztliche Organisation im Nationalsozialismus (idw)


Technische Universität Berlin - 05.10.2018

TU Berlin: Kassenärztliche Organisation im Nationalsozialismus

Pilotprojekt am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin erforscht die Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD) im Nationalsozialismus


Unter der Projektleitung von Prof. Dr. Samuel Salzborn wird in den kommenden zwei Jahren am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin die Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD) zwischen 1933 und 1945 untersucht und bisher unveröffentlichtes Quellenmaterial gesichtet und ausgewertet:
"Wir rechnen damit, auf Basis bisher unzugänglicher Quellen in erheblichem Maße neue Erkenntnisse über die Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus zu erlangen, etwa was die Formulierung von rassistischen und antisemitischen Kategorien auf pseudowissenschaftlicher Grundlage angeht - oder die Rolle der Kassenärztlichen Vereinigung beim Berufsausschluss jüdischer Kolleginnen und Kollegen", so Prof. Salzborn.

Die KVD war ein Zusammenschluss der 1932 vom Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) gebildeten regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen, welche die Sicherstellung der ambulanten Versorgung gewährten und die medizinischen Leistungen zwischen Kassenärzten und Krankenkassen abrechneten. Nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten 1933 stand die KVD unter der Aufsicht des Reichsarbeitsministers, führte das Reichsarztregister und regelte die Kassenzulassungen, wodurch es möglich war, sowohl politisch oppositionellen als auch jüdischen Kassenärzten die Zulassung zu entziehen. Mit der Entrechtung der größtenteils hoch qualifizierten Mediziner*innen verstieß die KVD nicht nur gegen das ethische Gebot der Kollegialität, sondern gefährdete damit auch die Gewährleistung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten.

Aufklärung der Vergangenheit

Finanziert wird das Forschungsprojekt von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), welche die Rechtsnachfolgerin der KVD ist. Neben der Finanzierung des Projektes ermöglicht die KBV auch erstmals Wissenschaftler*innen einen Zugang zum Aktenbestand der KVD, der sich heute im Besitz der Kassenärztlichen Bundesvereinigung befindet. Mit dem Projekt erhofft sich die Standesvertretung der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten Aufklärung der eigenen Vergangenheit und Impulse für ethische Fragen. Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, sagt dazu: "Mit dem Projekt 'KBV übernimmt Verantwortung' wollen wir die Vergangenheit unserer Vorgängerorganisation mit wissenschaftlicher Expertise systematisch aufarbeiten. Denn genau darum geht es: Sich der historischen Verantwortung zu stellen, die bis heute und für alle Zeit aus den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes erwächst. Jüdische Ärztinnen und Ärzte waren damals die Opfer, aber Ärzte waren auch Täter, die sich gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen sowie anderen Menschen schuldig gemacht haben. Das ist nicht nur ein 'Teil' unserer Geschichte, sondern es ist eine Wunde, die niemals heilt. Und wer die Vergangenheit kennt, wird Sorge dafür tragen, dass sie sich nicht wiederholt."


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution52

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Berlin - 05.10.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2018

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