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MELDUNG/460: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 18.11.11 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen


→  ForscherInnen der Uni Graz entwerfen erstmals 3D-Modell des Botenstoffes ATGL
→  Gelungene Verbindung: virtuelles Screening und Zellkulturforschung
      Interferon-Hemmstoff entdeckt
→  Herzchirurgen der Universitätsmedizin Mainz implantieren künstliche Hauptschlagader
      erstmals erfolgreich über die Herzspitze


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Karl-Franzens-Universität Graz - 16.11.2011

ForscherInnen der Uni Graz entwerfen erstmals 3D-Modell des Botenstoffes ATGL

Haben wir Hunger oder treiben Ausdauersport, wird zusätzliche Energie benötigt, die der Körper meist aus den angelegten Fettdepots mobilisieren muss. Um diese Lager wieder zugänglich zu machen, ist das Protein ATGL ("Adipose Triglyceride Lipase") unerlässlich, das bereits 2004 von WissenschafterInnen der Karl-Franzens-Universität Graz entdeckt wurde. ATGL bewältigt den ersten Schritt in der so genannten Lipolyse, der Aufspaltung der gespeicherten Fette. WissenschafterInnen des Instituts für Molekulare Biowissenschaften der Uni Graz ist es gelungen, erste Einblicke in die dreidimensionale Struktur und die Funktionsweise des Proteins ATGL zu gewinnen.

Durch so genanntes "Down-sizing", durch die Verkürzung der Aminosäure-Reihen auf die kleinste stabilste Einheit, werden Informationen gewonnen, die mittels Computer zu einem aussagekräftigen Modell weiterverarbeitet werden. Mithilfe des 3D-Modells wird es möglich, die Positionen einzelner Aminosäuren zu bestimmen. Das kann beispielsweise bei der gezielten Optimierung von Pharmazeutika behilflich sein. Diese innovativen Forschungsergebnisse sind kürzlich im renommierten Fachjournal "PLoS One" online erschienen.

Kürzung der Aminosäure-Reihe

Die ForscherInnengruppe um Ass.-Prof. Dr. Monika Oberer hat in einem ersten Schritt das Protein ATGL, welches aus 483 einzelnen Aminosäuren zusammengesetzt ist, an verschiedenen Stellen durch die Einführung von Mutationen gekürzt. In einem biochemischen Verfahren wurden diese gekürzten Varianten des Proteins dann auf den Erhalt der biologisch relevanten Eigenschaften hin untersucht. "Es zeigte sich, dass ATGL mit einer Länge von 254 Aminosäuren die kleinste Einheit des Proteins darstellt", erklärt Oberer. "Bemerkenswert war, dass die Fähigkeit, Triglyceride zu spalten, auch in dieser Minimaldomäne bewahrt werden konnte." Die Experimente haben auch ergeben, dass die Andockstellen für die zur Aktivierung von ATGL wichtigsten Proteine, nämlich "CGI-58" und "G0S2", in der ersten Hälfte der ATGL liegen.

Kontakt:
Ass.-Prof. Dr. Monika Oberer
Karl-Franzens-Universität Graz
Institut für Molekulare Biowissenschaften
E-Mail: m.oberer@uni-graz.at

Originaltitel der Arbeit:
Cornaciu I, Boeszoermenyi A, Lindermuth H, Nagy HM, Cerk IK, et al. (2011):
"The Minimal Domain of Adipose Triglyceride Lipase (ATGL) Ranges until Leucine 254 and Can Be Activated and Inhibited by CGI-58 and G0S2", Respectively.
PLoS ONE 6(10): e26349.
doi:10.1371/journal.pone.0026349.

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/de/image156373
Der Abbau von gespeicherten Fetten in Form von Triacylglycerol wird von spezifischen Enzymen vollzogen: Adipose triglyceride lipase (ATGL) katalysiert den ersten und geschwindigkeitsbestimmenden Schritt und spaltet dabei Triacylglycerol in Diacylglycerol und ein Molekül freier Fettsäure (FA). Die Aktivität von ATGL wird durch das Protein "CGI-58" verstärkt, und durch das Protein "G0S2" gehemmt. Das entstandene Diacylglycerol wird von der "Hormon sensitiven Lipase" (HSL) weiter in Monoacylglycerol und ein Molekül freier Fettsäure gespalten. Im letzten Schritt spaltet dann Monoglyzerid Lipase (MGL) das Monoacylglycerol in glycerol und eine weitere frei Fettsäure.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution35

Quelle: Karl-Franzens-Universität Graz, Mag. Gudrun Pichler, 16.11.2011


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Paul-Ehrlich-Institut / Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel - 16.11.2011

Gelungene Verbindung: virtuelles Screening und Zellkulturforschung - Interferon-Hemmstoff entdeckt

Interferon alpha spielt eine zentrale Rolle bei schweren Autoimmunerkrankungen. Bis heute gibt es keine Hemmstoffe. Jetzt ist es Wissenschaftlern des Paul-Ehrlich-Instituts in Kooperation mit Forschern der ETH Zürich gelungen, durch Kombination computerbasierter molekularer Designverfahren mit optimierten In-vitro-Assays einen Hemmstoff der Interferon-alpha-Ausschüttung zu identifizieren. Der innovative Forschungsansatz könnte über die konkrete Wirkstoffsuche hinaus für die schnelle Identifikation von Hemmstoffen wichtiger Protein-Proteininteraktionen Bedeutung erlangen. Über die Forschungsergebnisse berichtet Angewandte Chemie vorab online ('Hot Paper'; DOI: 10.1002/anie.201105901)

Typ-I-Interferone wie Interferon alpha gehören zum angeborenen Immunsystem des Menschen, ohne sie sind Menschen nicht lebensfähig. Aber es gibt auch eine Schattenseite dieser wichtigen Botenstoffe unseres Immunsystems: So sorgen ständig erhöhte Spiegel von Interferon alpha beispielsweise für chronische Entzündungsreaktionen, die zu Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes führen können. Bislang steht kein Wirkstoff zur Verfügung, mit dem es gelingt, diese Interferonwirkung bzw. -ausschüttung gezielt zu hemmen. Auf der Suche nach einem Wirkstoff, der die Interaktion zwischen dem Interferonrezeptor, der für alle Typ-I-Interferone der gleiche ist, und Interferon-alpha verhindert, haben sich Forscher ganz unterschiedlicher Disziplinen zusammengetan: Wissenschaftler des Institute of Pharmaceutical Sciences der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, Schweiz, unter Leitung von Prof. Gisbert Schneider, und Immunologen des Paul-Ehrlich-Instituts um die Nachwuchsgruppenleiterin PD Dr. Zoe Waibler. Schneider und seine Mitarbeiter musterten virtuell mehr als 500.000 Substanzen auf ihre potenzielle Bindungsfähigkeit an einen Oberflächenbereich des Interferon alpha. Dieser wurde mithilfe von Computerverfahren als wichtig für die Wechselwirkung mit dem Rezeptor vorhergesagt. Um geeignete Substanzen zu identifizieren, flossen in diese 3D-Konformationsstudien neuartige Softwaremethoden ein, die an der ETH Zürich entwickelt worden waren: "Innovative Ansätze zur computergestützten Proteinstrukturanalyse haben uns die entscheidenden Hinweise gegeben, wo und wie wir suchen müssen. Diese Studie verdeutlicht das enorme Potenzial transdisziplinärer Konzepte für die Wirkstoffforschung", so Schneider.

Die sechs vielversprechendsten Kandidaten wurden ausgewählt und von Waibler und ihren Mitarbeitern in Zellkulturassays eingesetzt. Die PEI-Forscher verwendeten hierzu plasmazytoide dendritische Zellen - Hauptproduzenten von Interferon alpha, die sie aus Knochenmark gewinnen. In vorangegangenen Forschungsarbeiten hatten Waibler und Kollegen bereits nachgewiesen, dass die Zugabe des modifizierten Vacciniavirus Ankara, kurz MVA, zu einer ausgeprägten Interferon-alpha-Antwort führt. MVA ist ein stark abgeschwächtes und dadurch ungefährliches Pockenvirus. Zwei der sechs Testsubstanzen schieden aufgrund mangelnder Löslichkeit aus. Unter den vier verbliebenen Kandidaten aber landeten die Forscher gleich einen Volltreffer: "Während die drei anderen Substanzen keine Wirksamkeit zeigte, hemmte eine dieser niedermolekularen chemischen Verbindungen die Interferonbildung effizient. Wir waren selbst überrascht von der unglaublichen guten Ausbeute aus der Verbindung unserer beider Methoden", berichtet Waibler. In weiteren Experimenten wiesen die PEI-Forscher nach, dass durch die neue Substanz die Interferon-alpha-Ausschüttung auch auf andere Gefahrensignale wie beispielsweise andere Viren oder Doppelstrang-DNA gehemmt wurde. Allerdings stellten sie auch fest, dass bei hohen Wirkstoffkonzentrationen eine zelltoxische Wirkung einsetzt. Der nächste Schritt wird daher sein, aus der neu entdeckten Leitsubstanz weitere Kandidaten abzuleiten, die selektiv und noch spezifischer die Bindung von Interferon an den Rezeptor hemmen und auch in hohen Konzentrationen keine Toxizität aufweisen.

Über die konkrete Suche eines Hemmstoffs der Interferon-alpha-Wirkung hinaus dürfte der methodische Ansatz der beiden Wissenschaftler noch bedeutsam werden. Möglicherweise lassen sich durch die innovative Kombination dieser sehr unterschiedlichen Technologien in kurzer Zeit viele weitere Substanzen ausfindig machen, die bestimmte Protein-Protein-Interaktionen hemmen können.

Weitere Informationen finden Sie unter
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/anie.201105901/abstract
Abstract des Papers

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution430


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Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 17.11.2011

Mitten durchs Herz - Herzchirurgen der Universitätsmedizin Mainz implantieren künstliche Hauptschlagader erstmals erfolgreich über die Herzspitze

Verfahren wurde in Mainz entwickelt

Herzchirurgen der Universitätsmedizin Mainz haben ein neues minimal-invasives Verfahren entwickelt, um Erkrankungen der Hauptschlagader mittels einer speziell gefalteten Gefäßprothese zu versorgen. Dabei wählen sie nicht den bisher üblichen Zugang über die Leistenarterie, sondern erstmals über die Herzspitze des schlagenden Herzens.

So können sie auch schwerkranke Patienten, bei denen der Zugang über die Leistenarterie oder andere Gefäße nicht möglich ist, künftig minimal-invasiv therapieren - und ihnen so einen belastenderen offenen Eingriff ersparen. Jetzt kam das neue Verfahren erstmals zum Einsatz.

Bei verschiedenen Eingriffen an der Hauptschlagader stellen minimal-invasive Verfahren in der Regel die Methode der Wahl dar, da sie für den Patienten weniger belastend sind und ein vergleichsweise niedrigeres Risiko haben als ein offener operativer Eingriff. Deshalb wurde auch an der Universitätsmedizin Mainz intensiv daran gearbeitet, Patienten solche innovativen Operationsmethoden anzubieten, um die Hauptschlagader ohne große offene Operation zu behandeln. In diesen Fällen werden zusammengefaltete Stentgraftprothesen über die Leistenarterien in den Körper des Patienten eingebracht und in der endgültigen Zielposition entfaltet und fixiert. Wenn diese Zugänge nicht in Betracht kommen, blieb bei Patienten, die eigentlich für ein derartiges Verfahren geeignet wären, bisher nur die große und ausgedehnte offene Operation übrig.

In Mainz wurde jetzt erstmals ein neues Verfahren angewendet. Das von Prof. Dr. Ernst Weigang, Leiter der Sektion endovaskuläre Gefäßchirurgie an der Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, entwickelte Konzept greift die Erfahrungen bei der so genannten "transapikalen Implantation von Aortenklappen" - also dem Ersatz der Aortenklappe über die Herzspitze - auf. Über einem kleinen Hautschnitt unterhalb der Brustfalte wird ein Führungsdraht über die Herzspitze durch die Herzkammer und die Aortenklappe bis in die Hauptschlagader hineingeführt. Durch diesen schieben die Ärzte eine zusammengefaltete Hauptschlagaderprothese schrittweise über die Herzspitze in das Innere des Herzens und von da über die Aortenklappe hinweg bis in die aufsteigende Hauptschlagader. Dort wird die Prothese so lange vorangeschoben, bis sie in der Zielposition angekommen ist und dort entfaltet. Anschließend werden die Einführungsdrähte zurückgezogen und die Herzspitze mit einer Naht verschlossen. Die neue Operationsstrategie wurde jetzt erstmals erfolgreich gemeinsam mit Kollegen der Radiologie und der Anästhesie durchgeführt. Der Patientin geht es gut. "Das Besondere dabei ist", so Univ.-Prof. Dr. Christian Friedrich Vahl, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, "dass das Herz hier nicht das Zielorgan der chirurgischen Prozedur ist, sondern das Zugangsorgan. Man benötigt also das Herz als Weg, um an einer Stelle außerhalb des Herzens eine therapeutische Prozedur durchzuführen. Fortschritte in der Chirurgie waren in der Vergangenheit vielfach mit einer Weiterentwicklung der Zugangswege verbunden."

"Natürlich ist es auch eine emotionale Schwelle, aus dem Herz ein Organ für einen Zugangsweg zu einem anderen Organ zu machen. Denn bisher wurde das Herz chirurgisch oder interventionell nur behandelt, wenn es um das Herz selbst ging", kommentiert Prof. Dr. Ernst Weigang. Trotzdem kann der Gefäßchirurg sich gut vorstellen, dass dieses Verfahren bei solchen Patienten, die anders nicht behandelt werden können, eine wichtige Behandlungsoption werden könnte.


Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Christian-Friedrich Vahl
Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie
E-Mail: christian.vahl@unimedizin-mainz.de

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet.


Weitere Informationen finden Sie im Internet unter
www.unimedizin-mainz.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution1431

Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dipl.-Betriebswirtin (FH) Caroline Bahnemann, 17.11.2011


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2011