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UMWELT/739: Gute Frage! Warum beginnt die Pubertät immer früher? (Gehirn und Geist)


Gehirn und Geist 11/2014
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Gute Frage!
Warum beginnt die Pubertät immer früher?

Von Günter Stalla



Zickenterror, Pickel und die erste große Liebe: Keine Lebensphase ist so anstrengend wie die Pubertät. Eltern sehen ihr meist mit Unbehagen entgegen, denn aus süßen Kindern werden nicht selten bockige Rebellen - und das immer früher! Der Pubertätsbeginn hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nach vorne verschoben, berichten Wissenschaftler. So stellten zwei dänische Studien mit mehr als 3500 Teilnehmern fest, dass Mädchen im Jahr 2006 im Schnitt mit 13,1 Jahren - rund drei Monate früher als noch 1991 - ihre erste Regelblutung bekamen. Außerdem begannen ihre Brüste bereits mit 9,9 Jahren zu wachsen; 15 Jahre zuvor lag das Durchschnittsalter noch bei 10,9 Jahren. Auch der Hoden von Jungen vergrößerte sich im Schnitt fast drei Monate eher, mit 11,7 Jahren.

Als einer der Gründe für diese Entwicklung gilt das verbreitete Übergewicht unter Jugendlichen. Denn in Fettgewebe, das Mädchen von Natur aus leichter aufbauen als Jungen, entsteht der Botenstoff Leptin, der die Pubertät vorantreibt. Je dicker ein Kind, desto früher kommt es in die Pubertät.

Den direkten Einfluss der Ernährung offenbarte 2012 auch eine Metaanalyse von Forschern der Universität Bonn. Bei Kindern, die viel tierisches Eiweiß aus Milchprodukten und Fleisch zu sich nahmen, begann die Pubertät etwa sieben Monate früher als bei jenen, die ihren Eiweißbedarf vor allem mit pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Hülsenfrüchten deckten.

Kunststoffpartikel stehen im Verdacht, die sexuelle Reife zu beschleunigen

Auch der Einfluss von Kunststoffpartikeln wird diskutiert: Vor allem so genannte Bisphenole stehen im Verdacht, die sexuelle Reife zu beschleunigen. Sie stecken etwa in Getränken aus Plastikflaschen oder in Lebensmitteln aus Konservendosen. Tierversuche haben gezeigt, dass die Moleküle ähnlich wie Östrogene wirken. Ihr Einfluss auf den Menschen ist jedoch schwer nachweisbar, da kaum jemand mehr ihnen nicht ausgesetzt ist, so dass in Studien eine Kontrollgruppe fehlen würde.

Das frühe Einsetzen der Pubertät bedeutet nicht nur, dass Kinder heute eher selbstständig werden - es kann auch negative Folgen haben. Bei übergewichtigen Mädchen etwa führt der frühzeitige Anstieg des Östrogenspiegels dazu, dass sich die Wachstumsfugen der Knochen schneller schließen. Dadurch bleiben sie im Schnitt kleiner als Normalgewichtige. Häufig wird von frühreifen Kindern auch erwartet, dass sie sich erwachsener verhalten. Wenn die körperliche Entwicklung zu schnell voranschreitet, kann die Psyche aber oft nicht mithalten.


Günter Stalla ist Professor für Klinische Neuroendokrinologie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München.


Quelle: Cheng, G. et al.: Beyond Overweight: Nutrition as an Important Lifestyle Factor Influencing Timing of Puberty. In: Nutrition Reviews 70, S. 133-152, 2012

Weitere Quellen im Internet:
www.spektrum.de/artikel/1306768



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© 2014 Günter Stalla, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Gehirn und Geist 11/2014, Seite 68-69
URL: http://www.spektrum.de/pdf/68-69-gug-11-2014-pdf/1311369
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2014


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