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BILDUNG/639: "Ein Einser-Abi macht noch keine guten Ärzte, ein durchschnittliches aber auch nicht!" (idw)


Westfälische Wilhelms-Universität Münster - 24.07.2009

"Ein Einser-Abi macht noch keine guten Ärzte, ein durchschnittliches aber auch nicht!"


Weg mit dem Numerus Clausus als Zulassungsbeschränkung für das Medizinstudium und eine höhere Zahl von Studienplätzen in diesem Fach - diese Forderungen stellen die beiden nordrhein-westfälischen Ärztekammern und die Krankenhausgesellschaft NRW in einer gemeinsamen Stellungnahme. Hintergrund ist die hohe Zahl unbesetzter Stellen in den Krankenhäusern zwischen Rhein und Weser. "So einfach ist das nicht - leider", bewertet Prof. Dr. Wilhelm Schmitz diese Vorschläge mit Skepsis. Er ist Dekan der Medizinischen Fakultät an der Universität Münster (WWU), die derzeit von Interessenten für einen Medizin-Studienplatz regelrecht überlaufen wird.

Bei der Zulassung setzen die Münsteraner allein auf die Abitur-Durchschnittsnote - und stehen damit unter den deutschen Medizin-Fakultäten nicht alleine da. "Aus guten Gründen", wie Schmitz sagt. Rund 130 angehende Mediziner können in Münster pro Semester ihr Studium aufnehmen - eine Zahl, die durch eine landesweit geltende "Kapazitätsverordnung" festgelegt und nach oben gedeckelt ist. Auf die Vergabe eines Großteils davon hat die Universität selbst gar keinen Einfluss: Durch verschiedene Quoten, so für die Abiturbesten eines Jahrgangs, Interessenten mit anzurechnenden Wartezeiten, solche aus dem Ausland und für Härtefälle, ist knapp die Hälfte der Studienplätze - 48 Prozent - bereits vorbestimmt. Übrig bleiben knapp 70 Medizin-Studienplätze, bei denen die Fakultät eigene Kriterien anlegen könnte.

"Könnte", so der Studiendekan der Medizinischen Fakultät in Münster, Dr. Bernhard Marschall. Denn einerseits schreibe der Gesetzgeber auch für diesen Anteil vor, dass die Abitur-Note maßgeblich, nämlich zu 51 Prozent, in die Entscheidung einfließen muss. Ergänzend habe die Hochschule allenfalls die Möglichkeit, die Einzelnoten des Abiturs zu gewichten oder den - Mitte der 1990er Jahre wegen Bedeutungslosigkeit abgeschafften - "Medizinertest" anzuwenden. Darüber hinaus blieben nur Auswahlgespräche. Das Problem dabei: Auf die knapp 70 Studienplätze der so genannten Hochschulquote bewarben sich in Münster - derzeit eine der gefragtesten Medizin-Fakultäten in Deutschland - im letzten Wintersemester 1.638 Kandidaten mit erster Ortswahl für diesen Standort. Tendenz: steigend. Selbst wenn dort dreimal so viele Auswahlgespräche durchführt würden, wie Studienplätze zur Verfügung stehen, senkte das Numerus clausus in Münster - derzeit zwischen Note 1,2 und 1,4 - höchstens um ein oder zwei Zehntel.

"Wenn wir aber Bewerbungsgespräche führen wollten, würde das einen immensen Aufwand bedeuten. Soll ein solches Gespräch nicht nur eine Farce sein, müsste es mindestens eine halbe, besser eine Stunde dauern und von wenigstens zwei, besser vier Hochschullehrern geführt werden. Macht in der Summe 720 Professorenstunden pro Halbjahr - Zeit, die in der Ausbildung dringend benötigt wird", rechnet Dr. Marschall vor. Zudem habe eine Vielzahl an Vergleichsstudien gezeigt, dass es zwischen Studierenden, die Tests oder Gespräche absolvierten, und solchen, die allein nach ihrer Abi-Note ausgesucht wurden, im Studium kaum Leistungsunterschiede gebe. "Riesiger Aufwand, minimaler Nutzen", lautet daher Marschalls Einschätzung zur solchen zusätzlichen Auswahlkriterien.

Ein anderer Aspekt wurmt den Studiendekan noch mehr: Forderungen nach Abschaffung oder Senkung des Numerus Clausus würden den Eindruck vermitteln, dass Bewerber mit einem guten Abitur keine guten Ärzte werden würden. Das ist seiner Meinung nach eine mehrfach widerlegte und sogar gefährliche Annahme. "Ein Kandidat mit der Abi-Note 1,2 ist kein weltfremder Exot. Wer über die drei Jahre einer gymnasialen Oberstufe hinweg beständig gute Noten erreichen will, braucht nicht nur die Fähigkeit, möglichst effizient Wissen zu erwerben, sondern auch ein erhebliches Maß an Engagement und Motivation." Dass beides auch im Studium nicht nachlasse, belegt laut Marschall die in der Medizin bundesweit sehr niedrige Abbrecherquote.

Auf strikte Ablehnung stößt in Münster die - in der aktuellen Verlautbarung nicht enthaltene, an anderer Stelle aber schon laut gewordene - Forderung nach einer Absenkung des Numerus Clausus im Bereich der hausärztlichen Versorgung. Ein solcher Vorschlag degradiere dieses Berufsziel zu einem "Mediziner zweiter Klasse". Dekan Schmitz hierzu: "Gerade hier brauchen wir aber Kollegen mit einem umfassenden medizinischen Fachwissen, mit ausgezeichneten kommunikativen Fertigkeiten und einer fundierten sozialen Kompetenz."

Das Problem eines drohenden Ärztemangels in der ärztlichen Versorgung sehen Schmitz und Marschall nicht im Ausbildungssystem, sondern woanders: Die Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem böten den Absolventen kaum noch ausreichenden Spielraum, um ihre Kompetenzen kreativ und lohnend einzubringen. Hierin liege die beobachtete Abwanderung in andere Arbeitsfelder und in das Ausland begründet. Des Weiteren führe auch die zunehmende Feminisierung zu einer Verknappung der aktiven Ärzteschaft: Knapp 70 Prozent der Studienanfänger seien mittlerweile Frauen. Nach Abschluss der Ausbildung würden davon jedoch nur rund zwei Drittel am Patienten arbeiten. Auch die neuen Arbeitszeitschutzgesetze reduzierten das ärztliche Potenzial: Während es früher nicht unüblich gewesen sei, dass Ärzte 24 oder 36 Stunden am Stück arbeiteten, werden heute mehr Stellen benötigt, um dieselbe Zahl von Patienten zu versorgen. Auf diese Entwicklungen im Gesundheitssystem sei noch nicht adäquat reagiert worden.

Ebenso wie bei der Studienplatzvergabe warnen Schmitz und Marschall auch bei der Erhöhung der Studierendenzahl vor übereilten Schritten. Natürlich könne man die Anzahl an Studienplätzen erhöhen, falls das politisch gewünscht sei. Aber eines müsse dabei klar sein: "Wer das fordert, muss dafür viel Geld in die Hand nehmen. Mehr Studienplätze bei gleich bleibender Finanzierung würden zwangsläufig auf Kosten der Ausbildungsqualität gehen und uns noch stärker als bisher gegenüber dem Ausland benachteiligen".


Weitere Informationen finden Sie unter
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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution72


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster, Norbert Frie, 24.07.2009
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2009