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DIAGNOSTIK/384: Moderne Bildgebung revolutioniert die Medizin (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2010

Der Traum vom Sehen
Moderne Bildgebung revolutioniert die Medizin

Von Uwe Groenewold


Radiologische Verfahren ersetzen immer häufiger große Operationen. Thema der Sonntagsvorlesung im Lübecker Rathaus.


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: In kaum einem anderen Bereich kommt diesem viel zitierten Satz so große Bedeutung zu wie in der Medizin. Laut einer Umfrage unter US-amerikanischen Ärzten ist die moderne Bildgebung mit CT und MRT das Fachgebiet, das die Medizin am weitesten vorangebracht hat. "Radiologische Verfahren", erläuterte kürzlich auch Prof. Jörg Barkhausen, Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, "revolutionieren die gesamte Medizin." Die Bilder, so der Klinikleiter bei einer Sonntagsvorlesung im Lübecker Rathaus, schaffen Fakten und ermöglichen eine klare Diagnose; die Bildgebung wird immer häufiger für minimal-invasive Therapieverfahren eingesetzt, die vermehrt große Operationen ersetzen können.

Der "Traum vom Sehen", wie es Prof. Barkhausen bezeichnete, ist beim Menschen seit vielen Jahrhunderten vorhanden; näher kam man ihm unter anderem mit der Erfindung des Mikroskops Ende des 16. Jahrhunderts. Der Blick ins Körperinnere ist jedoch erst seit etwas mehr als 100 Jahren möglich: Am 8. November 1895 entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen in Würzburg die von ihm so benannten X-Strahlen. Der Fund entsprang eher einem Zufall, als bei einem Experiment mit einer Kathodenstrahlröhre ein speziell beschichtetes Papier zu leuchten begann und das Flimmern auch dann noch zu erkennen war, als die Röhre mit dicker schwarzer Pappe umschlossen war.

Wenige Wochen später, am 22. Dezember 1895, durchleuchtete der Physiker die Hand seiner Frau Anna. Auf der Aufnahme sind Knochen und Ehering deutlich zu erkennen. Das in diesem Zusammenhang häufig veröffentlichte Foto zeigt jedoch nicht die Hand der Ehefrau, sondern die des Schweizer Anatoms Albert von Kölliker, aufgenommen am 23. Januar 1896. Kölliker war es auch, der die Umbenennung in Röntgenstrahlen vorschlug, während im englischen Sprachraum bis heute von "X-Rays" die Rede ist. "Über eine neue Art von Strahlen" hieß der erste wissenschaftliche Forschungsbericht, den Röntgen über seine Entdeckung verfasste und der bereits kurze Zeit später in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Nie zuvor hatte sich die Nachricht von einer wissenschaftlichen Entdeckung so schnell verbreitet wie im Falle der Röntgenstrahlen.

Die Auswirkungen auf die Medizin waren nachhaltig: "Eine Knochenverletzung ohne Röntgenbild zu untersuchen, ist heute nicht mehr vorstellbar", sagte Prof. Barkhausen. Die Qualität der Bildgebung und die Belastung durch Strahlen haben sich dabei in den vergangenen Jahrzehnten enorm weiterentwickelt: Betrug die Durchleuchtungszeit von Annas Hand noch zehn Minuten, sind heute nur wenige Sekunden Strahlung für ein ungleich detaillierteres Bild notwendig.

Röntgens Entdeckung bereitete den Boden für weitere bildgebende Verfahren, die im Laufe des Jahrhunderts entwickelt wurden: 1942 das Ultraschallgerät, 1953 die Positronen-Emissions-Tomografie (PET), 1971 die Computer-Tomografie (CT) und 1973 die Magnet-ResonanzTomografie (MRT). Die CT-Technik beispielsweise hat sich laut Prof. Barkhausen, an dessen Klinik kürzlich der eigenen Angaben zufolge modernste Computertomograf Schleswig-Holsteins installiert wurde, in den knapp 40 Jahren "rasend schnell" weiter entfaltet. Verfügten die ersten Geräte über gerade einmal 64 x 64 Bildpunkte und benötigten acht Minuten Belichtungszeit für eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, rotiert der Tomograf heute bis zu vier Mal pro Sekunde um den Patienten ("wie ein mittlerer Schleudergang"), nimmt maximal 640 Schichten pro Umdrehung auf und erzeugt mehrere Tausend hoch aufgelöste farbige Bilder pro Untersuchung, die das Organ oder den Körperteil mit extrem hoher Präzision und Aussagekraft darstellen. Die Untersuchung selbst dauert in aller Regel nur noch wenige Sekunden.

Dank ausgefeilter Computertechnologie ist es mit diesen Verfahren heute möglich, dreidimensionale Bilder aus dem Körperinneren zu erhalten, die nicht nur Anatomie abbilden, sondern auch tiefe Einblicke in körperliche Prozesse gewähren. So lässt sich mit dem MRT ein schlagendes Herz beobachten und dem Gehirn praktisch beim Denken zusehen. Das gesamte Spektrum an bildgebenden Verfahren wird heute bei praktisch allen inneren Erkrankungen zur Diagnose und bei immer mehr Erkrankungen auch zur Therapie genutzt.

Hier die wichtigsten Einsatzgebiete und aktuellsten Neuentwicklungen, über die Prof. Barkhausen berichtete: Brustkrebs: Brustkrebs ist mit 57.000 Neuerkrankungen pro Jahr das häufigste Krebsleiden von Frauen. Klassische Untersuchungsmethode ist die Röntgenaufnahme, die Mammografie. Bislang konnten analoge und digitale Mammografie die dreidimensionale Struktur der weiblichen Brust immer nur auf zweidimensionaler Ebene abbilden. Dies erschwert die Diagnose, insbesondere bei dichtem Drüsengewebe; außerdem können anatomische Strukturen Läsionen überlagern, die dann unentdeckt bleiben. Mit der digitalen Tomosynthese gelingt es erstmals, dreidimensionale, hochaufgelöste Röntgenbilder der Mammae zu erzeugen. Die neuartige Technologie erzeugt Bilder aus verschiedenen Betrachtungswinkeln, die am Computer zu einem dreidimensionalen Bild rekonstruiert werden. Dazu schwenkt die Röntgenröhre während der Untersuchung um die Brust und nimmt rund 25 Einzelbilder mit sehr niedriger Dosis auf. Mit den hochaufgelösten 3D-Bildern können Art und Größe von Läsionen sowie Mikroverkalkungen besser als mit herkömmlichen Methoden sichtbar gemacht werden; auf Dauer lässt sich so die Zahl falsch-positiver wie auch falsch-negativer Befunde reduzieren. Die Uniklinik in Lübeck verfügt als "eine von drei Kliniken in Deutschland" (Prof. Barkhausen) seit Dezember 2009 über ein Gerät zur Tomosynthese. "Die Methode ist noch kein klinischer Standard, ermöglicht aber eine hochpräzise Diagnostik. Wir setzen das Gerät derzeit vor allem bei unklaren Befunden nach einer herkömmlichen Mammografie ein", erläuterte Barkhausen. "Riesige Vorteile" sieht er in Zukunft für die Tomosynthese vor allem bei jüngeren, prämenopausalen Frauen mit dichtem Drüsengewebe. "Das Verfahren wird vielen Frauen helfen und dazu beitragen, belastende Biopsien zu ersetzen."

Herz- und Gefäßdiagnostik: Das Monopol, das das Herzkatheterlabor in den vergangenen 20 Jahren bei der Diagnostik von Durchblutungsstörungen der Kranzgefäße innehatte, bröckelt, glaubt Prof. Barkhausen. Jährlich finden bundesweit etwa 700.000 Herzkatheteruntersuchungen statt. "Der Herzkatheter ist eine der segensreichsten Untersuchungsmethoden der Medizin, der vielen Menschen das Leben gerettet hat. Es ist das genaueste Verfahren und das einzige, mit dem gleichzeitig auch eine Therapie stattfinden kann. Doch hat diese invasive Methode Konkurrenz durch die Computertomografie bekommen. Die Schichtaufnahmen sind inzwischen so schnell und präzise, dass sie die Herzkranzgefäße optimal darstellen können." Von wachsender Bedeutung in der Herz- und Gefäßdiagnostik ist außerdem die Magnetresonanztomografie, mit der exakt lokalisiert werden kann, an welchen Stellen eine Minderdurchblutung vorliegt. Hochrisikopatienten mit Verdacht auf Herzinfarkt, so die Empfehlung von Prof. Barkhausen, gehören nach wie vor umgehend ins Katheterlabor. Bei unklaren Beschwerden, die keine sofortige Katheterintervention rechtfertigen, sollte zunächst ein CT erfolgen. Bei der Therapie von Gefäßerkrankungen wächst ebenfalls die Bedeutung der Bildgebung: Ballonkatheterbehandlungen und Stentimplantationen erfolgen unter CT- oder MRT-Kontrolle. Bypassoperationen und andere gefäßchirurgische Eingriffe werden durch diese weniger belastenden Interventionen häufiger ersetzt.

Gutartige Tumoren der Gebärmutter: Moderne Ultraschallgeräte ermöglichen heute eine deutlich verbesserte Diagnostik von Myomen, gutartigen Tumoren der Gebärmutter, von denen 40 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter betroffen sind. Die exakte Diagnose öffnet neuen therapeutischen Optionen die Türen: Offene Operationen sind nach Angaben von Prof. Barkhausen nur noch selten notwendig; sie werden häufig ersetzt durch zwei innovative radiologische Verfahren, die Embolisation und eine fokussierte Ultraschallbehandlung. Bei der Embolisation wird der Tumor von der Nährstoffversorgung abgeschnitten, die versorgenden Blutgefäße werden per Katheter mit kleinsten Kunststoffpartikeln von innen verschlossen; der Tumor hungert in der Folge praktisch aus. Beim hochintensiven fokussierten Ultraschall (HIFU) erfolgt die Therapie gänzlich ohne Intervention. Der Ultraschall wird gebündelt und erhitzt das tumoröse Gewebe auf bis zu 100 Grad Celsius; das Gewebe nekrotisiert daraufhin. Die Behandlung erfolgt unter MRT-Kontrolle und ist wenig belastend. Die Patientin erholt sich innerhalb einer Stunde. HIFU wird bereits seit Mitte der 90er Jahre zur Therapie von Prostatakrebs eingesetzt.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201002/h10024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Februar 2010
63. Jahrgang, Seite 26 - 27
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2010