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ETHIK/691: Für Patientenautonomie und ärztliche Fürsorge in der Psychiatrie (idw)


Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN) - 03.03.2009

Für Patientenautonomie und ärztliche Fürsorge in der Psychiatrie

DGPPN: Stellungnahme zur Anhörung im Deutschen Bundestag über Patientenrechte und Patientenverfügungen


Die Selbstbestimmung ist auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen ein Grundrecht. Psychische Störungen und Erkrankungen sind keineswegs gleichzusetzen mit Einwilligungsunfähigkeit oder einer generell eingeschränkten Willensfreiheit der Betroffenen. Aber psychisch Kranke, insbesondere mit chronischen Erkrankungen, können im Zustand der Willensfähigkeit mit einer Patientenverfügung Vorsorge zum Beispiel bezüglich ihrer Behandlungspräferenzen treffen für den Fall eines Krankheitsrezidivs mit eingeschränkter Willensfähigkeit.

Diese Konstellation betrifft nur einen bestimmten Teil der Patienten mit psychischen Erkrankungen. Die rechtliche Bedeutung solcher Verfügungen wurde in der Debatte über Gesetzentwürfe zur Frage der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen bisher nur unzureichend thematisiert. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) im Vorfeld der geplanten öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Thema Patientenrechte und Patientenverfügung hin, die am Mittwoch, den 4. März 2009, stattfinden soll. Für die DGPPN ist es ferner bedauerlich, dass in das Gremium der Experten kein Fachvertreter für Psychiatrie und Psychotherapie berufen wurde.

Patientenverfügungen haben grundsätzlich Gültigkeit, wobei für die wissenschaftliche Fachgesellschaft DGPPN, in der inzwischen 5.000 Mitglieder organisiert sind, kein Unterschied zwischen somatischen und psychischen Erkrankungen besteht. Vor dem Hintergrund des Primats eines Selbstbestimmungsrechts des Menschen, wie dies im Grundgesetz definiert ist, gehen alle Gesetzesentwürfe zum Zeitpunkt der Verfügung von der Fähigkeit des Einzelnen zum freien Willen aus. Bei einer psychischen Störung, und vor allem bei einer akuten Erkrankung, kann allerdings in einzelnen Fällen zweifelhaft sein, ob zum Zeitpunkt der Verfügung eine freie Willensbestimmung möglich war. Für die DGPPN sind die bisher dem Deutschen Bundestag vorgelegten Gesetzentwürfe ergänzungswürdig, da sie alle auf das Lebensende fokussiert sind. Eine gesetzliche Reichweitenbegrenzung zum Beispiel nur auf bestimmte, etwa zum Tode führende Krankheiten, kann die Wirksamkeit einer Patientenverfügung für diese Patientengruppe in Frage stellen. Gerade Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen wollen und sollen aber über ihre Behandlung im Falle einer erneuten Erkrankung eine verbindliche Festlegung treffen können. Umso bedauerlicher ist, dass der Rechtsausschuss des Bundestages weder Experten des Gebietes Psychiatrie und Psychotherapie noch Vertreter der Selbsthilfeorganisationen psychisch kranker Menschen oder der Angehörigen zur Anhörung eingeladen hat.


Behandlungsvereinbarung als optimale Form einer Patientenverfügung für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Nach Auffassung von DGPPN stellt eine zwischen einem Menschen mit psychischer Erkrankung sowie einem Arzt - gegebenfalls auch unter Einbezug der Angehörigen - gemeinsam ausgearbeitete Behandlungsvereinbarung eine sinnvolle Form einer Patientenverfügung dar. Auf diesem Wege ist es möglich, sowohl die Ablehnung bestimmter Behandlungsverfahren zu bestimmen als auch die Wahl bevorzugter Therapiealternativen nachhaltig zu dokumentieren. Als vorbildlich für ein solches Verfahren hat sich das "Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten" (PsychKG) im Bundesland Nordrhein-Westfalen herausgestellt. In diesem Gesetz ist die Bindung an Vorausverfügungen bereits heute ausdrücklich geregelt.

Im Falle von Vorausverfügungen ist allerdings darauf zu achten, dass diese nicht jegliche therapeutischen Maßnahmen ausschließen. Psychisch kranke Menschen haben das Recht auf eine adäquate und der Schwere ihrer Krankheit angemessene Behandlung. Bei einer unmittelbaren, erheblichen Gefährdung der eigenen Person oder einer Fremdgefährdung Dritter muss eine angemessene Behandlung immer möglich bleiben. Dies sehen die einschlägigen Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKGs) bzw. die Unterbringungsgesetze der Länder vor. Selbst wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung nicht akut gegeben ist, bestehen aus Sicht der Angehörigen wegen den oftmals existierenden Problemen an den Schnittstellen zwischen ambulantem, stationärem und rehabilitativem Versorgungsbereich, oftmals Schwierigkeiten, die medizinisch gebotene Behandlung bei dem Betroffenen tatsächlich umzusetzen. Umso mehr ist eine gute partizipative Arzt-Patienten-Beziehung, am besten unter Beteiligung der Angehörigen, unbedingt notwendig, um Hilfe dort geben zu können, wenn diese am meisten gebraucht wird.


Vorschläge der DGPPN zur Anhörung im Deutschen Bundestag

Die Berücksichtigung der besonderen Belange und der Entscheidungsfähigkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen bei Patientenverfügungen sollte unbedingt in den Gesetzesentwürfen ergänzt werden. In Anbetracht dessen sollten auf Empfehlung der DGPPN folgende Fragen in der Anhörung mit den Sachverständigen diskutiert werden:

• Inwieweit ist die besondere Situation einer Patientenverfügung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen in den vorliegenden Gesetzesentwürfen berücksichtigt?

• Welche rechtlichen Möglichkeiten sehen Sie, Festlegungen für die Gültigkeit von Patientenverfügungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu treffen?

• Müssen hinsichtlich der medizinischen Einschätzung des aktuellen Willens Menschen mit psychischen Erkrankungen spezielle Regelungen geschaffen werden?

• Welche Lösung sehen Sie für den rechtlichen Schutz von Willensbekundungen z.B. von Demenzkranken?


Kontakt:
Geschäftsstelle DGPPN
Dr. Thomas Nesseler
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
Reinhardtstraße 14, 10117 Berlin-Mitte
E-Mail: t.nesseler@dgppn.de

Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.dgppn.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution805


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN), Dr. Thomas Nesseler, 03.03.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2009