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ETHIK/795: Klappe zu, Baby tot? (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 92 - 4. Quartal 2009
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Klappe zu, Baby tot?

Von Eckhardt Meister


Der Deutsche Ethikrat sorgt für Zündstoff. Bereits mit seiner allerersten Stellungnahme hat das neue Expertengremium, das Bundesregierung und Parlament in bioethischen Fragen beraten soll, eine Kontroverse entfacht. Der Grund: Der 26-köpfige Rat empfahl mehrheitlich die Abschaffung von Babyklappen und anderen Angeboten der anonymen Geburt.


An Mahnungen und Warnungen hatte es nicht gefehlt. Nicht wenige Beobachter der deutschen Biopolitik hatten es als "Illusion" bezeichnet, anzunehmen, mit dem neuen "Deutschen Ethikrat", den die Große Koalition an die Stelle des von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Lehen gerufenen "Nationalen Ethikrates" setzte, werde auch eine andere Biopolitik Einzug halten. So sehr auch allgemein begrüßt wurde, dass das Expertengremium per Einsetzungsbeschluss des Parlaments endlich die gebotene demokratische Legitimierung erhielt, die es damals schon allein deshalb nicht haben konnte, weil Schröder den Rat als Gegenwicht zu der von ihm als zu konservativ erachteten Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" des Deutschen Bundestags konzipiert hatte; so sehr auch generell als richtig erachtet wurde, dass künftig nur noch ein Gremium die Politik in bioethischen Fragen beraten sollte; so wenig bestand Anlass, auf einen Richtungswechsel in der Biopolitik zu hoffen. Zu schwer wogen die weit reichende personelle Kontinuität bei der Besetzung des Rates sowie die Tatsache, dass die Bundesregierung alles daran setzte, auch diesen Rat als eine "abgeordnetenfreie Zone" zu konstruieren.

Auch wenn das damals von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) ins Feld geführte Argument, es sei wenig sinnvoll, dass sich das Parlament selbst berate, durchaus etwas Bestechendes hatte, langjährige Beobachter vermochte es nicht darüber zu täuschen, was hier eigentlich gespielt wurde. Kritischen Abgeordneten, die sich als Gentechnikexperten in ihren Fraktionen einen Namen gemacht hatten und denen die Enquete-Kommission eine Plattform geboten hatte, sich über die Parteigrenzen hinweg Gehör zu verschaffen, sollte diese Plattform klammheimlich entzogen werden.

Auch die Lesart, nach der hinter dem Ziel der "abgeordnetenfreien Zone" der Gedanke stand, die Themen, denen sich der Rat annehmen sollte, seien letztlich viel zu speziell, als das Politiker bei der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen einen substantiellen Beitrag leisten könnten, konnte nie wirklich überzeugen. Dies schon deshalb nicht, weil mit Edzard Schmidt-Jortzig (FDP), Wolf-Michael Catenhusen (SPD), Jürgen Schmude (SPD) und Erwin Teufel (CDU) gleich vier ehemalige politische Schwergewichte dem Rat angehören. Nimmt man die Ex-Staatsekretärinnen Ulrike Riedel und Kristiane Weber-Hassemer hinzu, die allerdings nur zeitweise in der Politik Fuß fassen konnten, sind es sogar sechs.

Nein, das eigentliche Motiv für das Konzept des "Deutschen Ethikrates" war, den Hüppes, Röspels und Wodargs sollte endlich ein Maulkorb verpasst werden. So wurde bei der Besetzung des "Deutschen Rates", der zwar erkennbar weniger einseitig als der von Gerhard Schröder weiland noch handverlesene "Nationale Ethikrat" besetzt wurde, denn auch darauf geachtet, dass im Ergebnis bei den Mehrheiten alles beim Alten blieb.

Vor diesem Hintergrund ist die Stellungnahme des Rates, mit der dieser mehrheitlich die Abschaffung von Babyklappen empfiehlt, denn auch keine wirkliche Überraschung. Überraschend ist vielmehr die Schwäche der Argumente, mit denen die Mehrheit der Mitglieder diese Empfehlung begründet.

So heißt es in der Stellungnahme des Rates, in der sich 19 von 26 Mitgliedern für die Abschaffung der Babyklappen aussprechen, die bisherigen Angebote der anonymen Kindsabgabe seien "ethisch und rechtlich sehr problematisch, besonders weil sie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und auf Beziehung zu seinen Eltern" verletzten. Auch sei es nicht wahrscheinlich, dass "Frauen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ihr Neugeborenes töten oder aussetzen, durch die Angebote überhaupt" erreicht würden. Die frühere Staatsekretärin Ulrike Riedel (Bündnis 90/Die Grünen), die maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass der Ethikrat das Thema überhaupt aufgriff, ist gar überzeugt, Babyklappen schafften eine Nachfrage, die es vorher gar nicht gegeben habe.

Es ist schon erstaunlich: Da behaupten dieselben Leute, die in den 90er Jahren für die Legalisierung der Abtreibung mit dem Argument eingetreten sind, keine Frau würde leichtfertig abtreiben, die nach dem grausigen Fund der Leichen mehrerer neugeborener Kinder ab 1999 von privaten und kirchlichen Vereinigungen geschaffenen Babyklappen würden heute Frauen animieren, Kinder auszusetzen, die sie andernfalls versorgen und aufziehen würden. Oder anders formuliert: Frauen treiben Kinder, die sie nicht gewollt haben, in den ersten drei Monaten zwar keinesfalls leichtfertig ab, setzen sie aber, nachdem sie diese entbunden haben, im Alter von neun Monaten leichtfertig in einer Babyklappe aus. Wer soll eigentlichen einen solchen Unsinn glauben? Noch dazu in einem Land, in dem Abtreibungen verharmlost werden, indem die Kosten für vorgeburtliche Kindstötungen erstattet, Scheine ausgestellt werden, die eine straffreie Kindstötung ermöglichen und von vielen weiterhin geleugnet wird, dass ungeborene Kinder Menschen sind.

Erstaunen muss die Empfehlung des Ethikrates aber auch insofern, als es sich bei der Problematik der Anonymen Geburt - ganz anders als bei der Abtreibungsproblematik - ja keineswegs um ein Massenphänomen handelt. Nach Angaben des "Deutschen Ethikrates" gibt es bundesweit etwa 80 Babyklappen und rund 130 weitere Angebote zur anonymen Geburt. In den vergangenen zehn Jahren seien dort mehr als 500 Kinder abgegeben worden. Doch selbst wenn kein einziges von ihnen durch die Babyklappe vor einem tragischen Tod bewahrt wäre, wird man wohl fragen müssen: Rufen durchschnittlich 50 anonym geborene Kinder pro Jahr ernsthaft nach dem Eingreifen eines Staates, der ungerührt zusieht, wie jedes Jahr hunderttausende Kinder im Mutterleib getötet werden?

Insofern wundert es denn auch nicht, dass die Kritik an der mehrheitlichen Stellungnahme des Ethikrates entsprechend scharf ausfiel. Allen voran die Bundesvorsitzende der ALfA, Claudia Kaminski, übte massive Kritik an dem Mehrheitsvotum des Rates. "Natürlich ist es besser, wenn ein Mensch über seine Herkunft Bescheid weiß. Außer Frage steht auch, dass jede anonyme Geburt das Recht von Menschen, Kenntnis über ihre Abstammung zu erlangen, verletzt. Wer jedoch glaubt, deshalb Babyklappen und andere Angebote der anonymen Geburt schließen zu müssen, macht das Bessere zum Feind des Guten und schüttet das Kind mit dem Bade aus", erklärte Kaminski.

Babyklappen, erinnerte Kaminski, habe es in der Geschichte immer gegeben. Meist seien es Klöster gewesen, bei denen sogenannte Findelkinder abgegeben werden konnten. "Niemand kann ernsthaft behaupten wollen, dass durch derartige Liebestaten die Würde des Menschen nachhaltig verletzt worden sei", so Kaminski weiter. Dass Babyklappen nicht in jedem Fall eine nachgeburtliche Kindstörung verhindern könnten, sei ebenso wenig ein Argument gegen solche Einrichtungen wie die Behauptung, Mütter, die ein neugeborenes Kind trotzdem in freier Wildbahn aussetzten, würden von solchen Angeboten nicht erreicht. "Falls dem tatsächlich so wäre, dann muss die Werbung für solche Angebote verbessert werden. Ein Staat, der mit liberalen Abtreibungsgesetzen dazu beigetragen hat, dass der Wert eines Menschenlebens heute vielerorts nicht mehr gesehen wird, kann sich da nicht so billig aus der Verantwortung stehlen." Auch wiege das "Recht auf Leben zweifelsfrei höher als das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung", so Kaminski.

Ähnlich äußerte sich auch der Augsburger Weihbischof Anton Losinger. Losinger, selbst Mitglied im "Deutschen Ethikrat", hatte gemeinsam mit fünf weiteren Ratsmitgliedern ein Sondervotum abgegeben, das in der Stellungnahme des Gremiums aufgenommen wurde. Darin heißt es: "Für Frauen in einer Notlage, die von offenen Hilfsangeboten nicht erreicht werden, kann das Angebot der anonymen Kindesabgabe in einer sogenannten Babyklappe oder aber bereits die Geburt des Kindes ohne Preisgabe der Identität der Mutter eine letzte Alternative dazu sein, ihr Kind unversorgt auszusetzen." "Es besteht immerhin die reale Möglichkeit der Rettung eines Kindes vor dem Tod durch die Angebote der anonymen Kindesabgabe, so dass diese im Hinblick auf den Lebensschutz bestehen bleiben müssen", erklärte Losinger, der sich ebenso wie die fünf anderen Ratsmitglieder für die Beibehaltung von Babyklappen ausgesprochen hatte. Da zudem das Recht auf Leben im Grundgesetz über dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung angesiedelt sei, bedürften die Angebote der anonymen Kindesabgabe auch keiner zusätzlichen gesetzlichen Regelung.

Unterzeichnet haben das Sondervotum neben Losinger der Leiter des Zentrums für Chirurgie im Klinikum Augsburg Eckhard Nagel, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien e.V. Peter Radtke, der Freiburger Moraltheologe und katholische Priester Eberhard Schockenhoff, der ehemalige Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Erwin Teufel sowie die frühere Vorsitzende Richterin und Staatssekretärin Kristiane Weber-Hassemer.

Scharf kritisierte auch die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann die Stellungnahme des Ethikrates: Das Expertengremium gehe von fragwürdigen und ungesicherten Annahmen aus, sagte die Bischöfin der hannoverschen Landeskirche, die ebenfalls eine Babyklappe betreibt. Laut Käßmann, Schirmherrin des Projekts "Mirjam - ein Netzwerk für das Leben", hat das Angebot keinen Anreiz für die "Entsorgung" von Kindern geweckt.

Zustimmung signalisierte dagegen der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), der ebenfalls selbst Babyklappen unterhält. Deren Bundesvorsitzende Maria Elisabeth Thoma erklärte: "Wir teilen die Meinung des Ethikrates, dass der Weg der anonymen Kindsabgabe zumindest juristisch in eine Sackgasse führt und auch im Hinblick auf den Lebensschutz keine befriedigende Lösung darstellt."

Eilfertig begrüßt wurde die Stellungnahme des Expertengremiums auch von den Koalitionsparteien: Für die FDP erklärte etwa die Vorsitzende des Familienausschusses Sybille Laurischk, anonyme Geburten und Babyklappen verhinderten keine Tötungsdelikte. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ingrid Fischbach (CDU) kündigte gar an, die Union werde "in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zur vertraulichen Geburt schaffen und die Beratungsangebote für schwangere Frauen in Not ausbauen". Der "Rheinischen Post" erklärte Fischbach, die logische Folge sei, "dass dann auch die Babyklappen abgeschafft werden müssen". Fischbach erklärte, die vom Ethikrat angeregte Übergangsfrist von einem Jahr für den Fortbestand der Klappen nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung erscheine ihr zu kurz. Diese Frage müsse aber in den Beratungen geklärt werden.

Heißt in der Konsequenz: Die schwarzgelbe Koalition wusste schon offenbar vor der Veröffentlichung der Stellungnahme des Ethikrates, wie sie mit den Babyklappen verfahren wollte. Damit erhält auch der weit verbreitete Eindruck, dass sich die Politik den "Deutschen Ethikrat" genauso wie seinen Vorgänger vor allem als Akzeptanzbeschaffer für längst gemachte politische Pläne hält, nun neue Nahrung. Schade, eigentlich.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Sollen abgeschafft werden: Babyklappen und -fenster sowie andere Angebote der anonymen Geburt.
- Ingrid Fischbach, CDU
- Weihbischof Anton Losinger
- Dr. Claudia Kaminski


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 92, 4. Quartal 2009, S. 21 - 23
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2010