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FORSCHUNG/1954: Krankmachende Erreger hebeln viele Abwehrmechanismen aus (Uni Konstanz)


Universität Konstanz - Montag, 16.03.2009

Krankmachende Erreger hebeln viele Abwehrmechanismen aus

Interview mit Prof. Dr. Christof Hauck


Immer wieder plagen Bakterien, Viren oder Parasiten die Menschen. Professor Christof R. Hauck ist Inhaber des Lehrstuhls für Zellbiologie und beschäftigt sich seit rund 15 Jahren mit den zellbiologischen Grundlagen von Infektionen. In der aktuellen Folge der Interviewreihe "Im Gespräch" geht es darum, was den Menschen für Mikroben so anziehend macht und wie Erreger die Immunabwehr des Menschen aushebeln.

Der Mensch ist ständig von Bakterien umgeben, wovon aber nur ein Bruchteil krankmachende Eigenschaften hat. Auch solchen Krankheitserregern sind wir nicht schutzlos ausgeliefert. "Unser Körper hat viele bakterizide Mechanismen, die grundsätzlich Keime in Schach halten und dafür sorgen, dass die Besiedlung mit Bakterien auf die Körperoberfläche oder den Darm beschränkt bleibt", sagt Hauck. Doch leider sind krankmachende Erreger oft erstaunlich gute "Zellbiologen", welche diese Abwehrmechanismen gezielt aushebeln können. "Unsere körpereigenen Abwehrmechanismen setzen fast immer an der Außenhaut der Bakterienzelle an. Manche Bakterien bilden deshalb eine Kapsel aus quasi inertem Material oder ahmen die Oberflächeneigenschaften unserer Körperzellen nach, so dass sie nicht als fremd erkannt und nicht angegriffen werden. Andere Bakterien dringen gleich ganz in unsere Körperzellen ein und bleiben in diesem geschützten intrazellulären Raum, wo sie für viele unserer Abwehrstoffe, wie beispielsweise Antikörper, nicht zu erreichen sind", erklärt Hauck.


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Wie unterscheiden sich die gefährlichen von den harmlosen Bakterien?
Inwieweit ist unser Immunsystem lernfähig?

Antworten auf diese Fragen gibt Prof. Dr. Christof Hauck in dem nun folgenden Interview vom 16. März 2009.


Im Gespräch mit Prof. Dr. Christof Hauck

Immer wieder plagen Bakterien oder Viren die Menschen. Wie erkennen Erreger ihren Wirt? Warum können uns manche Mikroben krank machen und wie nehmen sie mit unseren Zellen Kontakt auf? Professor Christof R. Hauck, Inhaber des Lehrstuhls für Zellbiologie, beschäftigt sich mit diesen und weiterführenden Fragen. "Im Gespräch" hat sich bei dem Wissenschaftler nach Details erkundigt.



Was macht den Menschen für Erreger so anziehend?

Der Mensch bietet einen optimalen Lebensraum für viele Mikroben. Unser Körper besteht aus rund 100 Billionen Zellen. Etwa ebenso viele der deutlich kleineren Bakterienzellen, insgesamt etwa ein Kilogramm, tragen wir ständig mit uns herum.



Aber nicht alle sind gefährlich...

Nein. Der Großteil der uns begleitenden Bakterienarten macht uns nicht krank - diese Mikroben befinden sich vor allem im Darm, in der Mundhöhle und beispielsweise auf der Haut. Diese normale Bakterienflora, die so genannten kommensalen Bakterien, sind überaus wichtig für unsere Gesundheit, beispielsweise bilden sie für uns Vitamin K. Ohne Kommensalen könnten wir uns gar nicht richtig entwickeln, auch unser Immunsystem bildet sich in Abwesenheit dieser harmlosen Keime nicht richtig aus. Natürlich gibt es auch Bakterien, die uns krank machen und einen Menschen innerhalb von wenigen Tagen töten können.


Wie unterscheiden sich denn die gefährlichen von den harmlosen Bakterien...

Diese Frage ist gar nicht mehr so einfach zu beantworten, denn wir wissen heute, dass die Übergänge von harmlosen zu krankmachenden Bakterien oft fließend sind. Bei manchen Bakterienarten, beispielsweise dem eigentlich harmlosen Darmbakterium Escherichia coli, kennt man auch verschiedene Varianten, die Reisedurchfälle (Montezuma's Rache), chronische Harnwegsinfekte oder schwerwiegende Erkrankungen wie Nierenversagen verursachen können. Im Unterschied zu den harmlosen Bakterien besitzen diese Varianten eine leicht veränderte genetische Ausstattung. Dadurch verfügen sie über sogenannte Virulenzfaktoren, die ihnen ihre krankmachenden Eigenschaften verleihen.



Wie kann so ein Virulenzfaktor aussehen?

Im einfachsten Fall setzen die Erreger Giftstoffe frei, Toxine, die unsere Immunabwehr außer Gefecht setzen oder unsere Nerven paralysieren, zum Beispiel bei Diphterie oder Tetanus. Andere Erreger, wie Salmonellen oder der Magengeschwüre und Magenkrebs auslösende Keim Helicobacter besitzen als Virulenzfaktor auf ihrer Oberfläche winzige molekulare Injektionsnadeln, über die sie bei Kontakt kleinste Mengen von Eiweißen injizieren und damit unsere Körperzellen für ihre Zwecke umfunktionieren.



Aber der Körper entwickelt doch Gegenstrategien?

Unser Körper hat viele bakterizide Mechanismen, die grundsätzlich Keime in Schach halten und dafür sorgen, dass die Besiedlung mit Bakterien auf die Körperoberfläche oder den Darm beschränkt bleibt. Gerade die krankmachenden Erreger hebeln leider viele dieser Abwehrmechanismen aus.


Wie kann man sich dieses Aushebeln von Abwehrmechanismen vorstellen?

Unsere körpereigenen Abwehrmechanismen setzen fast immer an der Außenhaut der Bakterienzelle an. Manche Bakterien bilden deshalb eine Kapsel aus quasi inertem Material oder ahmen die Oberflächeneigenschaften unserer Körperzellen nach, so dass sie nicht als fremd erkannt und nicht angegriffen werden. Andere Bakterien dringen gleich ganz in unsere Körperzellen ein und bleiben in diesem geschützten intrazellulären Raum, wo sie für viele unserer Abwehrstoffe, wie beispielsweise Antikörper, nicht zu erreichen sind.



Aber unser Immunsystem ist doch lernfähig.

Ja, es kann neue molekulare Strukturen, die mit einem Erreger in den Körper gelangen, erkennen und innerhalb von wenigen Tagen eine effektive, zielgerichtete Immunantwort dagegen aufbauen. Auf dieser Fähigkeit beruhen letztlich alle Impfstoffe. Bei manchen hochspezialisierten Bakterien laufen aber selbst solche Ansätze bislang ins Leere. Nehmen Sie Gonokokken, die eine der weltweit häufigsten Geschlechtskrankheiten, den Tripper, hervorrufen. Diese Bakterien sind in der Lage, ihre Oberflächenmoleküle ständig durch raffinierte genetische Mechanismen zu variieren, das heißt diese Mikroben ziehen sich quasi täglich ein anders aussehendes Mäntelchen an, unsere Immunabwehr wird abgehängt.


Wie kann aber ein Erreger, der seine Oberfläche ständig ändert, trotzdem immer "seinen" Wirt finden?

Damit stellen Sie eine Frage, die Infektionsbiologen weltweit ebenfalls brennend interessiert. Klar ist, dass viele Bakterien über ganz bestimmte Anheftungsfaktoren, Adhäsine, verfügen. Dadurch ist es den Erregern möglich, fest an das Gewebe ihres Wirtes, beispielsweise an die Schleimhaut im Nasen-Rachenraum, im Darm oder im Urogenitaltrakt zu binden, ein wichtiger erster Schritt bei vielen Infektionskrankheiten. Wir haben herausgefunden, dass Adhäsine variabel sein können und trotzdem immer eine ganz bestimmte Zielstruktur auf der Wirtszelle erkennen. Man kann sich das Prinzip so vorstellen, wie bei zwei verschiedenen Automodellen, die völlig unterschiedlich aussehen, also wie die Adhäsine sehr variabel sind. Bei beiden Automodellen ist aber die gleiche Öse zum Abschleppen eingebaut, so dass sie den identischen Abschlepphaken "erkennen". Auf die Bakterien und unsere Zellen übertragen, versuchen wir, die kleinen "Ösen" und die dazu passenden "Abschlepphaken" auf unseren Körperzellen zu finden. Wenn wir diese Strukturen kennen, können wir in Zukunft vielleicht die Infektion durch bestimmte Keime schon frühzeitig unterbinden oder neue Ansatzpunkte für Impfstoffe aufzeigen.


Welches sind die derzeit gefährlichsten Viren, Bakterien und Parasiten?

Weltweit gehen immer noch 20 Prozent aller Todesfälle auf Infektionskrankheiten zurück. Man spricht von den "Großen Drei", AIDS (ein Virus), Tuberkulose (ein Bakterium) und Malaria (ein einzelliger Parasit), die gemeinsam für mehr als sechs Millionen Tote jährlich verantwortlich sind. Unter anderem, weil auch in diesen Fällen bisher kein wirkungsvoller Impfstoff zur Verfügung steht. Aber keine Sorge: wir forschen nicht an diesen gefährlichen Erregern.



Was dient Ihnen als Untersuchungsmaterial?

Wir arbeiten vor allem mit isolierten menschlichen Zellen, präsentieren ihnen verschiedene Modell-Erreger in unterschiedlichen Varianten und schauen uns dann insbesondere auf der molekularen und zellulären Ebene genau an, was passiert.



Seit wann beschäftigen Sie sich mit Zellforschung?

Seit rund 15 Jahren.



Und wie groß ist Ihre Arbeitsgruppe?

Wir sind im Moment 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.


Vom 24. bis 27. März ist in Konstanz der erste gemeinsame Kongress der deutschen und schweizerischen zellbiologischen Gesellschaften. Sie organisieren den Kongress. Um was geht es dabei?

Es geht generell um alle Aspekte, welche die Zelle betreffen. Die Zelle ist ja der zentrale Punkt, um den viele Themenfelder der Biologie kreisen. Die Zellbiologie liefert auch die Antworten auf viele medizinisch wichtige Fragen wie Tumorwachstum, Wundheilung oder Erregerabwehr. Zwei besonders aktuelle Themen der diesjährigen internationalen Fachtagung behandeln die Fortschritte in der Stammzellforschung und die Alterung von Zellen. Hierzu wird es auch einen öffentlichen Abendvortrag in deutscher Sprache mit dem provokanten Titel "Ist Altern heilbar?" geben, auf den ich bereits sehr gespannt bin.



Montag, 16.03.2009
Quelle: http://www.uni-konstanz.de/news/imgespraech/


Christof R. Hauck hat an der Universität Heidelberg Biologie mit den Schwerpunkten Zellbiologie, Genetik und Mikrobiologie studiert und 1997 in Tübingen am Max-Planck-Institut für Biologie unter der Anleitung von Prof. Thomas Meyer promoviert. Der Wissenschaftler konzentriert sich auf die Untersuchung von zellulären Adhäsionsmolekülen und ihre Bedeutung für physiologische Vorgänge wie die Zellmigration, aber auch ihre Rolle als Rezeptoren für bakterielle Krankheitserreger. Christof R. Hauck war Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Biologie, Tübingen und am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin (1997 - 1998). Für seine Arbeiten im Zusammenhang mit Erreger-Wirtszell-Interaktionen erhielt Herr Hauck im Jahr 1997 die Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft.

Als Stipendiat der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) hat sich Christof R. Hauck von 1998 bis 2000 am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien weitergehend mit Zelladhäsionsrezeptoren und insbesondere den von Integrinen ausgehenden Signalen befasst. Der Wissenschaftler leitete eine Nachwuchsforschergruppe am Zentrum für Infektionsforschung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, wo er an der Schnittstelle von Infektionsbiologie und Zellbiologie die Interaktion und Kommunikation zwischen humanpathogenen Erregern aus den Gattungen Neisseria, Haemophilus sowie Staphylococcus und verschiedenen Wirtszelltypen untersuchte. Seine Arbeiten wurden 2002 von der Robert-Koch-Stiftung mit dem Robert-Koch-Postdoktorandenpreis ausgezeichnet. Im Jahr 2004 habilitierte sich Christof R. Hauck an der Fakultät für Biologie der Universität Würzburg in den Fächern Zellbiologie und Mikrobiologie.

Nach mehreren Angeboten nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Zellbiologie der Universität Konstanz an, wo er seit 2006 mit seiner Arbeitsgruppe die physiologische Funktion von zellulären Adhäsionsmolekülen und ihre Ausnutzung durch bakterielle Krankheitserreger erforscht.


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Quelle:
Universität Konstanz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2009