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GESCHICHTE/593: 350 Jahre Christian-Albrechts-Uni - Pioniere und Höhepunkte aus der Kieler Medizin (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2015

350 Jahre Medizinfakultät
Pioniere und Perspektiven

Zum Jubiläum der Hochschule zeigt die Medizinische Fakultät Meilensteine aus Kiel.
Eine Ausstellung zeigt ausgewählte Ärzte und deren Arbeit.

Von Dirk Schnack


Kiel ohne seine Medizinische Fakultät ist nicht vorstellbar. Ein wichtiges Areal mitten in der Stadt ist geprägt von der Medizin an der Christian-Albrechts-Universität (CAU). Dieses Gelände zwischen Feldstraße und Düsternbrooker Weg wird in einigen Jahren sein Gesicht vollkommen verändert haben. Das derzeit vorherrschende Durcheinander von Krankenversorgung, Forschung und Lehre wird aufgehoben. Es entsteht ein moderner Campus, der für die Studierenden Offenheit und Geborgenheit zugleich ausstrahlen soll.

Bevor es soweit ist, feiert die CAU und mit ihr die Medizinische Fakultät ihr 350-jähriges Jubiläum. Medizin ist nicht nur eine der vier Gründungsfakultäten in der Landeshauptstadt, sondern eine mit zahlreichen bedeutenden Ärzten und Forschern. Die Internisten Quincke und Frerichs, die Chirurgen Esmarch, Neuber und Küntscher, die Gynäkologen Michaelis und Semm, der Physiologe Meyerhof, die Anatomen Flemming, von Kupfer und Bargmann, die Biochemiker Buchner und Netter zählen zu den Medizinern, die in Kiel gearbeitet und Meilensteine gesetzt haben. 26 dieser bedeutenden Persönlichkeiten stellt die Fakultät in einer aufwendigen Ausstellung anlässlich der 350-Jahrfeier vor. "Damit sollen die Forscher und ihre Entdeckungen aus der Vergangenheit geholt und gezeigt werden, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit in die Medizin eingegangen und in ihrem heutigen Alltag gegenwärtig sind. Wir wollen zeigen, wie sich die in Kiel gemachten Entdeckungen heute äußern", sagt der Koordinator der Ausstellung, Prof. Michael Illert.

Die Ausstellung wird in wenigen Tagen (22. März) im Gropiusbau der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung der Fakultät in der Brunswiker Straße eröffnet. In dem ältesten noch genutzten Gebäude der Fakultät wird auch ein Blick darauf gerichtet, wie sich die Fakultät mit ihren zahlreichen Instituten und Kliniken in der Stadt entwickelt hat und wie die Medizin der Zukunft aussehen könnte. Für das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt öffnete die Fakultät vorab die Ausstellung.


Das Franziskanerkloster hinter dem Markt im Jahr 1665: Zwischen dem Gebäude und dem Stadtgraben, dem heutigen Kleinen Kiel, entsteht das erste Universitätsgebäude in Kiel. Es ist der Beginn einer langen und abwechslungsreichen Geschichte, die immer wieder von externen Einflüssen bestimmt wird. Wie abwechslungsreich, zeigt ein Kurzabriss der Entwicklung. Im Jahr 1715 zerfallen die Universitätsgebäude schon wieder und die Zahl der Studierenden nimmt ab. 1768 der Neubau am Schloss durch Katharina II. von Russland. Weitere 50 Jahre später die Gründung der ersten Universitätskliniken mit neuen fachlichen Bereichen und einer steigenden Zahl von Patienten. 1862 gibt es die neuen Akademischen Heilanstalten im hinteren Schlossgarten. Weitere 53 Jahre später, Europa befindet sich im Ersten Weltkrieg, sind die Fachgebiete schon stark ausdifferenziert und neue Institute und Kliniken geschaffen. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg befindet man sich 1965 kurz vor dem Abschluss des Wiederaufbaus der Fakultät. Sie bekommt das Gesicht, das viele Ärzte, die heute in Schleswig-Holstein leben, kennen.

Viele der in Kiel arbeitenden Ärzte haben die Medizin verändert.

Bis heute hat sich daran schon wieder viel geändert. Die Fächer sind noch weiter ausdifferenziert und die räumliche Verdichtung der Kliniken ist weiter vorangeschritten. In wenigen Jahren wird das Areal sein Gesicht komplett verändert haben. Man darf gespannt sein, welche Persönlichkeiten dann dort arbeiten und welche Entwicklungen von Kiel ausgehen werden. Fest steht, dass dies in der langen Geschichte der Fakultät zu viele waren, um sie in einer Ausstellung abbilden zu können. 26 davon wurden ausgewählt, deren Portraits und Ergebnisse multimedial noch bis Januar 2016 präsentiert werden. Sie zeigen, was in Kiel geleistet wurde und wie sich diese Entwicklungen heute äußern. "Vieles davon hat die Medizin verändert" sagt Prof. Michael Illert, Koordinator der Ausstellung. Wie stark diese Veränderungen teilweise waren, zeigt der Blick auf einige der ausgewählten Mediziner, deren Leistung das Ärzteblatt anhand der Ausstellungsportraits beschreibt:

Walther Flemming hat als Erster das Chromatin, den Träger der Erbsubstanz, beschrieben. Neben der DNA, dem Träger des genetischen Codes, besteht es aus Molekülen, die die räumliche Anordnung der DNA kontrollieren. Mutationen oder Umweltfaktoren können diese räumliche Ordnung stören, was die Ursache für Krebs, Diabetes, Epilepsien, Herzinfarkt oder auch psychische Störungen sein kann. Bei der Mitose kann es zudem zu fehlerhaften Verteilungen von Bruchstücken oder gar ganzen Chromosomen kommen. Flemming beschrieb erstmals mithilfe von Lebendbeobachtungen an Zellen der Salamanderlarve die zeitliche Abfolge der Zellteilungsstadien und prägte den Begriff Mitose. Das sich im Zellkern besonders anfärbende Fadengerüst nannte er Chromatin. Durch histologische Untersuchungen an Pflanzen- und Tierzellen erkannte der 1905 in Kiel gestorbene Flemming, dass die Mitose ein speziesübergreifender Prozess ist. Die Kernhülle der Mutterzelle löst sich dabei auf und das Chromatin kondensiert zu kompakten Strukturen (später als Chromosomen bezeichnet). Die Chromosomen ordnen sich sternförmig in der "Äquatorialplatte" an und weisen Längsteilungen auf. Zur Bildung der Tochterzellkerne werden die gespaltenen Strukturen auseinandergezogen, von neuen Kernhüllen umschlossen und wieder dekondensiert. Flemming postulierte, dass dieser grundlegende Ablauf eine zentrale Rolle für die Zellteilung spielt. Dass das Chromatin die Erbinformation einer jeden Spezies beinhaltet und die Längsteilung in den Chromosomen eine vorangegangene Verdoppelung des Chromatins widerspiegelt, war zu seiner Zeit noch unbekannt. In der Ausstellung sind nicht nur Flemmings Mikroskop, sondern auch seine Originalzeichnungen der Mitose zu sehen. Flemming wurde 1876 Professor für Anatomie an der CAU und arbeitete bis 1902 als Direktor des Instituts.

Hans Meyer arbeitete von 1910 bis 1920 an der Dermatologischen Klinik der CAU und gilt als Pionier der Strahlentherapie. Er entwickelte technische Innovationen, publizierte klinische Erfahrungen und trieb die biologische Forschung voran. Meyer war der erste Dozent für das Fach "Röntgenkunde", wie die Radiologie damals genannt wurde, in Deutschland. Später entwickelte er sich zu einem bedeutenden Wissenschaftsorganisator mit dem Ziel, die Strahlentherapie als eigenständiges klinisches und universitäres Fach zu etablieren. Dabei trieben ihn das Wissen um die Grenzen der Methode und das Bemühen an, die Nebenwirkungen zu verringern oder zu vermeiden. Meyer habilitierte sich 1911 in Kiel, wo er drei Jahre später das Institut für Strahlenbehandlung gründete und leitete. 1916 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt, bevor er 1920 nach Bremen wechselte und 16 Jahre lang das dortige Strahlenhaus leitete.

Otto Fritz Meyerhof hat die quantitativen Verhältnisse der Stoffumwandlungen bei der Energiegewinnung ohne Sauerstoff untersucht, besonders die anaerobe Glykolyse. Für diese Forschungen erhielt er 1922 den Nobelpreis. Später haben er und seine Mitarbeiter weitere Substanzen gezeigt, die vor der anaeroben Glykolyse Energie für die Muskelkontraktion liefern und damit eine sauerstofffreie, maximale Energiebereitstellung für die ersten Sekunden der Muskelarbeit sichern. Unter dem Aspekt der Energieerhaltung weisen Meyerhofs Analysen weit über die konkrete Entdeckung einzelner Stoffwechselwege hinaus. "Er war ein großer Physiologe und Mitbegründer der neuen Disziplin Biochemie", steht für die Fakultät heute fest. Zur Zeit seines Wirkens erhielt er in Kiel aber trotz eines Nobelpreises nie die ihm zustehende Anerkennung. Zwölf Jahre lang, von 1912 bis 1924, arbeitete Meyerhof am Physiologischen Institut der CAU. Die schuf nach der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 1922 an Meyerhof zwar eine Professur für Biochemie, um die sich Meyerhof auch bewarb. Auf der Liste wurde er aber nicht berücksichtigt. Meyerhof blieb als Nobelpreisträger Privatdozent auf einer Assistentenstelle. "Es gibt Hinweise darauf, dass seine jüdische Abstammung der Grund für die Nichtberücksichtigung war", sagt Illert. Die Yale-Universität dagegen machte ihm ein Angebot für eine Professur. Als Reaktion darauf schuf das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin eine Stelle als Abteilungsleiter für Meyerhof, der später noch in Heidelberg arbeitete und 1938 über Frankreich in die USA emigrierte, wo er bis zu seinem Tod 1951 als Professor an der Universität Philadelphia lehrte und forschte.

Johann Friedrich August von Esmarch dagegen erhielt schon zu Lebzeiten große Anerkennung auch in Kiel. Der 1823 in Tönning geborene Chirurg lernte in England die "St. John's Ambulance Association" zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen kennen. Davon inspiriert gründete er 1881 in Kiel den ersten Samariterverein Deutschlands und errichtete 1882 die erste Samariterschule. In ihr erlernten Laien die Grundlagen und Methoden der Ersten Hilfe. Der erste Kurs fand 1882 in Kiel unter Esmarchs Leitung statt, bei überwältigendem Interesse der Bevölkerung. Das Konzept der Samaritervereine, die Einbindung von Laien und die tatkräftige Unterstützung durch Esmarch führten deutschlandweit zu einer lawinenartigen Gründung lokaler selbstständiger Samaritervereine mit angeschlossenen Schulen. Der damals schon bekannte Esmarch war der entscheidende Initiator und Unterstützer eines von Laien getragenen Rettungssystems. Auf seinem Konzept bauen viele der in der Bundesrepublik und im Ausland tätigen Rettungsorganisationen auf. Esmarch habilitierte sich 1849 in Kiel, war 44 Jahre lang Direktor der Klinik für Chirurgie in den Akademischen Heilanstalten und ab 1857 ordentlicher Professor für Chirurgie und Augenheilkunde. Esmarch war Sanitätsoffizier in vier Kriegen, wurde 1870 zum Generalarzt befördert und führte noch heute benutzte Operationstechniken (OP in der Blutleere) und medizinische Hilfsmittel (Dreieckstuch) ein.

Hugo Salomon - Seine Leistung ist dagegen nur wenigen bekannt. Als Doktorand in Kiel war Salomon Mitentdecker des Helicobacter. In seiner medizinischen Dissertation beschrieb er auf Basis erster Berichte von Bizzozero (1893) schrauben- bis komma-förmige Bakterien in der Magenschleimhaut verschiedener Säugetiere. Er gilt damit als einer der ersten Beschreiber von Bakterien, die dem Helicobacter pylori stark ähneln, lange vor dem Nobelpreis an Marshall & Warren im Jahr 2005. Allerdings berichtete Salomon, dass diese Spirillen im menschlichen Magen und bei einigen anderen Spezies fehlen. Die verschiedenen morphologischen Formen dieser Bakterien wurden spezifisch in den unterschiedlichen Bereichen der Magenschleimhaut beschrieben. Ebenso wurden die Beweglichkeit des Bakteriums und der Geißel-Besatz sowie die Fähigkeit zur Invasion in Belegzellen mit der Ausbildung von Vakuolen nachgewiesen. Aufwendige Kultivierungsverfahren blieben erfolglos, aber die Übertragung des Erregers auf Versuchstiere gelang, ebenso die Beschreibung pathologischer Veränderungen bei der Neuinfektion. Im Rahmen einer medizinischen Dissertation dürften solche Beobachtungen selten gelingen; das spätere Vergessen der Ergebnisse von Dissertationen ist dagegen gar nicht so selten, wie die Aussteller in ihrem Portrait über Salomon feststellen. Salomon blieb übrigens nach seiner Promotion nicht lange in Kiel. Nach Stationen in Marburg, Frankfurt und Wien emigrierte er 1921 nach Argentinien, wo er 1954 starb.

Heinrich Irenäus Quincke arbeitete 30 Jahre als Direktor der Inneren Medizin in Kiel und war 1882 der Erstbeschreiber und Namensgeber des Angioödems, einer akuten, tiefen Schwellung von Haut und Schleimhaut. Besonders betroffen sind Augenlider und Lippen. Ein Befall des Darmes geht einher mit Bauchkrämpfen, Erbrechen und Durchfall. Dramatisch ist eine Beteiligung der Luftwege, die zu lebensbedrohlicher Atemnot führen kann und als akuter Notfall sofort behandelt werden muss. Das "Quincke-Ödem" ist eine Wasseransammlung in tiefen Schichten von Haut und Schleimhaut. Verantwortlich ist eine krankhafte Veränderung der Blutgefäßwände: Flüssigkeit tritt aus diesen aus und sammelt sich im lockeren Bindegewebe an. Zwei Varianten treten auf: Die allergisch/pseudoallergisch (mit Nesselsucht) bedingte Variante wirkt über Histamin und ist vor allem durch Nahrungsmittel und Medikamente bedingt. Die zweite Variante geht auf einen genetisch bedingten oder erworbenen Mangel eines Bluteiweißes zurück. Beide Mechanismen lösen zwar die gleichen Beschwerden aus, aber der verursachende Mechanismus muss diagnostiziert werden, da jede Variante ihren spezifischen Therapieansatz hat. Bevor Quincke 1878 nach Kiel kam, hatte er sich in Berlin habilitiert und war Institutsdirektor in Bern. Wie vielseitig er war, zeigt eine einzigartige Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, die den Internisten zum Ehrenmitglied ernannte. Quincke hatte neue chirurgische Operationsmethoden für die Lungenkavernen entwickelt.

Karl Lennert ist wegen seiner großen Verdienste um die Onkologie Namensgeber des Kieler Krebszentrums. Er gilt als weltweit renommierter Experte für die bösartigen tumorbildenden Erkrankungen der Lymphknoten, der malignen Lymphome. Als er 1963 die Leitung des Kieler Instituts für Pathologie übernahm, schuf er hier eine neuartige medizinische Institution, um die Erforschung dieser seltenen Krankheiten voranzubringen. In dem 1964 gegründeten Kieler Lymphknotenregister treffen täglich Gewebeproben aus ganz Deutschland ein und werden von Spezialisten diagnostiziert. Über 300.000 Proben lagern heute im Archiv - ein Schatz für die Forschung. In den folgenden Jahren entwickelten Lennert und seine Mitarbeiter ein vollkommen neues Verständnis der Lymphome, das die neuesten biologischen Erkenntnisse über die Abwehrprozesse im menschlichen Körper berücksichtigte. 1974 publizierte Lennert die sogenannte "Kiel-Klassifikation der Non-Hodgkin-Lymphome", eine moderne Systematik dieser Krankheiten, die eine verbesserte Behandlungsgrundlage liefert. Am Kieler Lymphknotenregister wurde erstmals eine deutschlandweite klinische Studie dieser Krankheiten initiiert - ein Modell, das aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken ist. Lennert war von 1963 bis 1989 Professor für Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie und Direktor des gleichnamigen Instituts. 2012 starb Lennert in Kiel.

Kurt Semm war Pionier der minimal-invasiven Chirurgie. Sein besonderer Beitrag war die Verbesserung und Verfeinerung des Verfahrens, die Entwicklung neuer Instrumente und Hilfsmittel für das Vorgehen. Für das geschlossene Operationsfeld mussten alle Instrumente in Miniaturform und zur Führung außerhalb des Bauches neu erfunden werden. Hier hält die CAU die "kongeniale Zusammenarbeit" Semms mit seinem Bruder, einem Ingenieur, für entscheidend. Semm führte auch Trainingskurse zum Einüben und Verbreiten der spezifischen manuellen Fertigkeiten ein. Schon 1967 hatte Semm die Laparoskopie zur gynäkologischen Diagnostik an der Frauenklinik in München eingeführt. Semms Ziel war jedoch eine minimal-invasive, möglichst unblutige und schonende Chirurgie. Die endoskopische Technik wollte er nicht nur - wie damals schon allgemein anerkannt - zu diagnostischen Zwecken einsetzen, sondern das Spektrum erweitern. Dafür entwickelte er als gelernter Feinmechaniker viele Instrumente selbst, wie einen automatischen CO2-Insufflator, einen Uterusmanipulator, sowie Geräte zur Überprüfung der Eileiterdurchgängigkeit und zum Training des laparoskopischen Operierens, den Pelvitrainer. Die Einführung des neuen OP-Verfahrens hatte Ende des 20. Jahrhunderts erhebliche Kontroversen in der Ärzteschaft ausgelöst. Semm zeigte sich jedoch als Visionär mit Überzeugungskraft und trug so erheblich dazu bei, der minimal-invasiven Chirurgie zum Standardverfahren zu verhelfen. Der in München geborene Semm hatte 1945 zunächst eine Lehre als Feinmechaniker begonnen, bevor er studieren konnte. Von 1970 bis 1995 war er Direktor der Frauenklinik an der Kieler Uni.

Paul Heinz Heintzen gilt als Pionier der digitalen Revolution in der medizinischen Bildgebung. Seine Leistung beschreibt die CAU folgendermaßen: "Die Röntgentechnik erlaubte in der Mitte des 20. Jahrhunderts zwar die filmische Aufzeichnung des schlagenden Herzens nach Kontrastmittelinjektion, aber nicht die Bestimmung von Funktionsparametern. Um die in diesen Angiogrammen dargestellten Herzkammern in Form und Funktion vermessen zu können, nahm Heintzen Fernsehbilder auf und übertrug diese Bild für Bild über einen Zwischenspeicher in einen Prozessrechner. In diesem wurden die Bilder in einem technisch hochkomplizierten Verfahren miteinander verrechnet. Die 1976 beschriebene digitale Subtraktionsangiographie war der erste schlagzeilenträchtige Erfolg dieser Technik. Diese Pionierleistung war der Beginn der digitalen Bildverarbeitung in der Medizin. Mit ihr konnten wichtige Herzparameter wie Schlagvolumen, Blutbeschleunigung und weitere für die Diagnose und Prognose von Herzfehlern entscheidende Messgrößen erstmalig exakt bestimmt werden. Dies öffnete in der Kardiologie die Tür zu einer neuen Dimension der klinischen Behandlung und der Forschung." Heintzen wurde 1925 in Essen geboren. 1954 kam er an die Klinik für Pädiatrie in Kiel, wo er sich 1959 habilitierte. 1965 erhielt er eine Professur für Kinderkardiologie und Biomedizinische Technik an der Medizinischen Fakultät und wurde Direktor der gleichnamigen Klinik. Im selben Jahr begann er mit seiner Vorlesungstätigkeit, die er bis zu seinem Todesjahr 2009 durchhielt. Insgesamt war Heintzen 99 Semester an der Uni tätig.

Gerhard Küntscher ist für die CAU ein Revolutionär in der Behandlung von Knochenbrüchen, die früher ein wochenlanges Liegen in Extensionsbetten erforderlich machten. Küntscher nahm umfangreiche biomechanische Untersuchungen vor, bevor er gemeinsam mit Ernst Pohl einen Marknagel entwickelte, der operativ von einem Ende des gebrochenen Knochens durch die Markhöhle über die Bruchstelle hinweg zum anderen Ende eingeführt wurde. Damit schuf er eine stabile Verbindung zwischen den Knochenteilen und die Patienten konnten nach wenigen Tagen die Klinik verlassen, ohne im Extensionsbett gelegen zu haben. Die Vorstellung der ersten Fälle löste im Jahr 1940 erhebliche Kontroversen aus. Küntscher arbeitete jedoch unbeeindruckt an der Verbesserung des Verfahrens. Damit gelang es ihm auch, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und die Folgekosten für relativ banale Knochenfrakturen zu reduzieren. Neben der Entwicklung des Marknagels beschäftigte sich Küntscher auch mit einem Hochfrequenzmetallsucher zum Finden von Metallteilen im Körper und forschte zur Kallusbildung, zum Kraftfluss im Knochen und zu Ermüdungsbrüchen. Der in Zwickau geborene Küntscher kam 1930 an die Chirurgische Universitätsklinik in Kiel, wo er sich 1935 habilitierte. Er trat bereits 1931 in die NSDAP ein, war Mitglied der SA und NS-Dozentenführer. Ab 1942 war er beratender Chirurg des deutschen Heeres. Seine Rolle während der NS-Zeit wird auch in der aktuellen Serie des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes beleuchtet. Nach dem Krieg wurde Küntscher Chefarzt in Schleswig und Hamburg. 1951 wurde er als außerplanmäßiger Professor der Medizinischen Fakultät wieder eingesetzt, zehn Jahre später erlosch seine Lehrbefugnis. 1965 wurde er Ehrendoktor der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Küntscher starb 1972 in Glückstadt.


22. März wird die Ausstellung über 350 Jahre Universitätsmedizin in Kiel in der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung eröffnet. Sie läuft bis zum 31. Januar 2016.


Online
Weitere Informationen rund um die Ausstellung in der Pharmazie- und Medizinhistorischen Sammlung gibt es im Internet unter der Adresse
www.medizin350.uni-kiel.de


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201503/h15034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:

www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Walther Flemming hat mit dem Chromatin als Erster den Träger der Erbsubstanz beschrieben. Ein Mikroskop, mit dem er in Kiel geforscht hat, ist in der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung zu sehen.

- Ein Funkeninduktor, der auf das Wirken von Hans Meyer in Kiel hinweist. Der Pionier der Strahlenkunde gründete hier 1914 das Institut für Strahlenbehandlung.

- Walther Flemming
- Heinrich Irenäus Quincke

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, März 2015, Seite 6 - 9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2015

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