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UMWELT/590: Kinderkrebs um Atomkraftwerke - Falsch negative Forschungsergebnisse befürchtet (IPPNW)


IPPNW - Donnerstag, 26. November 2009
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Kinderkrebs um Atomkraftwerke

Falsch negative Forschungsergebnisse bei Schweizer Studie befürchtet


Der Schweizer Studie zu Kinderkrebs um Atomkraftwerke (CANUPIS-Studie) droht, dass die Forschungs-Ergebnisse durch ungenügende statistische Nachweiskraft gefährdet werden. Darauf macht die Schweizer IPPNW heute in einem "Letter to the Editor", veröffentlicht im Schweizer Krebsbulletin 4/2009 aufmerksam. Die Deutsche IPPNW unterstützt die Schweizer Kollegen in ihrer formulierten Kritik: "Eine Forschung mit ungenügender statistischer Nachweiskraft ist wie ein Blick durch eine unscharfe Brille. Man kann dabei nicht die genauen Details erkennen und es drohen falsch negative Schlüsse", so Reinhold Thiel, Mitglied des Vorstandes der IPPNW Deutschland.

Zudem hat die deutsche IPPNW aufmerksam registriert, dass in das internationale Beratungsgremium der CANUPIS-Studie auch Prof. Maria Blettner, Leiterin des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), berufen wurde. Blettner war gemeinsam mit Dr. Peter Kaatsch vom Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz federführend bei der deutschen KiKk-Studie (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken). Deren Ergebnis sorgte im Dezember 2007 bundesweit für Schlagzeilen: Je näher ein Kind an einem Atomkraftwerk wohnt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es an Krebs oder Leukämie erkrankt. Doch Blettner wiegelte die eigenen Resultate ab und stellte folgende wissenschaftlich unhaltbare Behauptung auf: "Aufgrund des aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens kann die von deutschen Kernkraftwerken emittierte ionisierende Strahlung grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert werden". "Wenn Frau Prof. Blettner ihren Einfluss nun auch in der Schweizer Kinderkrebsstudie geltend macht, muss man sich um die Neutralität der Ergebnisbewertung sorgen," so der IPPNW-Kinderarzt Dr. Winfrid Eisenberg.

Den Leserbrief im Schweizer Krebsbulletin finden Sie hier:
http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/091126LetterToTheEditorSKB.pdf


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Hintergrundpapier

Ungenügende statistische Nachweiskraft für Schweizer Studie zu Kinderkrebs um Atomkraftwerke

Seit dem 1. Sept. 2008 wird in der Schweiz an der CANUPIS-Studie gearbeitet; mit Ergebnissen ist nicht vor 2011 zu rechnen. CANUPIS ist das Acronym für "Childhood Cancer and Nuclear Power Plants in Switzerland". Die Studie soll prüfen, ob Kinder, die in der Nähe eines der vier Schweizer Atomkraftwerks-Standorte leben oder aufgewachsen sind, ein erhöhtes Risiko haben, an Krebs, insbesondere an Leukämie zu erkranken. Ein solcher Zusammenhang war für Deutschland mit der im Dezember 2007 veröffentlichten KiKK-Studie (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) eindeutig nachgewiesen worden.

CANUPIS wurde von der Krebsliga Schweiz (KLS) und dem schweizerischen Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegeben. An der Finanzierung sind auch Schweizer Energieunternehmen beteiligt, die allerdings, um Interessenkonflikte zu vermeiden, ihre Beiträge an das BAG überweisen müssen. Die Studie wird ausgeführt vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM), Direktor: Prof. Dr. med. Matthias Egger, in Verbindung mit dem Schweizer Kinderkrebsregister (SKKR) an der Universität Bern. Federführend ist die Leiterin des SKKR, Privatdozentin Dr. C. Kuehni.

Bezüglich des Studiendesigns war KiKK als "Fall-Kontroll-Studie" angelegt, d.h. jedes in der Umgebung eines der 16 deutschen AKW-Standorte an Krebs erkrankte Kind unter 5 Jahren wurde mit drei gesunden Kindern gleichen Alters und gleichen Geschlechts aus der gleichen Region hinsichtlich der Wohnentfernung zum nächsten AKW-Abluftkamin verglichen.

In der Schweiz wäre ein solches Design wegen der zu geringen Zahlen statistisch von vornherein nicht aussagekräftig gewesen. Deshalb hat man sich bei CANUPIS für eine gesamtschweizerische Langzeitstudie, eine sog. "Kohorten-Studie" entschieden: Alle zwischen 1985 und 2007 geborenen Schweizer Kinder (nicht nur die bis 5 J., sondern bis 15) werden erfasst; die Wohnorte der an Krebs erkrankten Kinder ab Geburt bis zur Diagnose mit den Wohnorten der gesunden Kinder in Bezug auf die Entfernung zu einem AKW-Standort verglichen.

Die statistische Nachweiskraft ("statistical power") der CANUPIS-Studie wird allerdings bezweifelt: Heute ist im "Schweizer Krebsbulletin" Nr. 4/2009 ein Originalartikel "Sufficient Statistical Power for CANUPIS ?" (Ausreichende statistische Nachweiskraft der CANUPIS-Studie?) von Claudio Knüsli, Hagen Scherb und Martin Walter zu lesen.

Eingehende statistische Berechnungen veranlassen die Autoren zu dem Schluss, das Risiko von falsch negativen Studienresultaten müsse als inakzeptabel hoch eingestuft werden, falls das Ausmaß des Krebserkrankungsrisikos in der Umgebung von Atomkraftwerken in der Schweiz und in Deutschland im ähnlichen Bereich liegt.

Die Autoren schlagen deshalb vor, es möge ergänzend untersucht werden, ob die Resultate der Schweizer Studie von denjenigen der deutschen KiKK-Studie signifikant verschieden sind.

Die deutsche IPPNW hat aufmerksam registriert, dass in das internationale "Wissenschaftliche Advisory Board" (Beratungsgremium) der CANUPIS-Studie auch Prof. Maria Blettner, Leiterin des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Universität Mainz, berufen wurde. Blettner war gemeinsam mit Dr. Peter Kaatsch vom Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz federführend bei der KiKKStudie; bei der Vorstellung der eindeutigen Ergebnisse fiel sie durch folgende wissenschaftlich unhaltbare Behauptung auf: "Aufgrund des aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens kann die von deutschen Kernkraftwerken emittierte ionisierende Strahlung grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert werden".

"Dabei hat Frau Prof. Blettner die extreme Strahlensensibilität von Embryos, Feten, Säuglingen und Kleinkindern nicht berücksichtigt; ferner vertraut sie hinsichtlich des "aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens" auf veraltete Berechnungsmodelle zur Radionuklidverteilung in der AKW-Umgebung, zur Inkorporation von Radioisotopen mit Atmung, Essen und Trinken, zur Verweildauer in verschiedenen Organen, zu Dosis-Wirkungsbeziehungen etc.", so der IPPNW-Kinderarzt Dr. Winfrid Eisenberg. "Wenn Frau Prof. Blettner ihren Einfluss nun auch in der Schweizer Kinderkrebsstudie geltend macht, muss man sich um die Neutralität der Ergebnisbewertung sorgen."

Quelle:
http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Hintergrundpapier_canupis-studie.pdf


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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - vom 26. November 2009
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges /
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2009