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UMWELT/618: Innenraumschadstoffe und Entstehung von Allergien - Gefährlicher Schimmel (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter September 2010

Gefährlicher Schimmel

Von Tilo Arnhold


Die Zellen auf dem Cover der Juni-Ausgabe des American Journal of Respiratory and Critical Care Medizine leuchten grellbunt. Viel farbiger als das Original. Dass sich das angesehene Journal dafür entschied, die Zellen zum Titelfoto zu machen, liegt weniger an dem, was darauf zu sehen ist. Stattdessen ist es Ausdruck der Anerkennung für die wissenschaftliche Leistung, die dahinter steht. Denn mit diesen Aufnahmen konnten Leipziger Allergieforscher experimentell nachweisen: Schimmelpilzgifte verstärken Allergien. Hinweise aus epidemiologischen Studien, dass Umweltschadstoffe das Allergierisiko steigern, gab es zwar schon länger, aber es fehlten die Beweise dafür. "Wir konnten am Beispiel von zwei Schimmelpilzgiften zum ersten Mal in vivo, also im lebenden Organismus, zeigen, dass diese die Symptomatik des allergischen Asthmas verstärken", erklärt Dr. Tobias Polte vom UFZ. Im Mausmodell konnten die Forscher zudem die dafür verantwortlichen Mechanismen aufzeigen. Schimmelpilzgifte, auch als Mykotoxine bezeichnet, sind sekundäre Abbauprodukte von Schimmelpilzen. Mykotoxine verändern die Funktion dendritischer Zellen, die bei der Initiierung der Immunantwort des Organismus durch die Aktivierung und Differenzierung von T-Helfer-Zellen eine wichtige Rolle spielen. Durch die unter Mykotoxinbelastung veränderten dendritischen Zellen kommt es zu einem Übergewicht an T-Helfer-2-Zellen, die die allergische Reaktion vermitteln und dadurch zu einer verstärkten allergischen Immunantwort führen. Ein Schimmelpilzbefall im Haushalt kann also nicht nur Schimmelpilzallergien auslösen, sondern auch andere Allergien, z.B. gegen Pollen, wesentlich verstärken und die Betroffenen noch stärker leiden lassen.


Chronisches Leid

Schätzungen zufolge leiden weltweit über 300 Millionen Menschen an Allergien. Die atopische Dermatitis und das allergische Asthma sind inzwischen die häufigsten chronischen Krankheiten bei Kindern. Allein in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Zahl der Fälle in Westeuropa verdoppelt. Ein Zusammenhang mit Lebensstil und Umwelt ist naheliegend. Seit mehreren Jahren wird deshalb zum Thema Allergien in Leipzig intensiv geforscht. Im Rahmen von umweltepidemiologischen Studien (LARS, LISA, LINA) wird untersucht, ob und wie Umwelt belastungen das Immunsystem von Kindern beeinflussen und dadurch das Allergierisiko erhöhen. Die Immunologen des UFZ fanden zusammen mit ihren Kooperationspartnern beispielsweise heraus, dass Renovieren in der Schwangerschaft das Allergierisiko des Kindes erhöht oder dass Fußbodenkleber Bronchitis auslösen kann. In den Lösungsmitteln von Fußbodenklebern sind oft flüchtige organische Substanzen - so genannte VOCs - enthalten. Dazu gehören auch Chlorbenzol oder Styrol, die schon in niedrigen Konzentrationen für Entzündungsreaktionen in der Lunge sorgen können, wie UFZ-Forscher bei Zellkulturen aus menschlichen Lungenzellen feststellen mussten. Die Polte-Arbeitsgruppe versucht nun, auch hier einen direkten Zusammenhang zwischen einer VOC-Belastung und der Ausprägung allergischer Symptome herzustellen und die verantwortlichen Mechanismen im Mausmodell zu identifizieren.


Teamarbeit

Die neuen Forschungsergebnisse über Schimmelpilze zeigen, dass die Kooperation zwischen UFZ und der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig Früchte trägt. Seit 2007 leitet Tobias Polte eine gemeinsame Nachwuchsgruppe, die an der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie (Direktor: Prof. Dr. Jan Simon) sowie am UFZ angesiedelt ist. Die Nachwuchsgruppe besteht aus zwei Wis senschaftlern, zwei Doktoranden und zwei technischen Assistentinnen. Mit 250.000 Euro jährlich unterstützen die Helmholtz-Gemeinschaft und das UFZ fünf Jahre lang diese Gruppe, die sich der Erforschung der Rolle von Innenraumschadstoffen bei der Entstehung von Allergien verschrieben hat. "Durch die Möglichkeiten, die die Labore im Max-Bürger-Forschungszentrum und am Medizinisch-Experimentellen Zentrum der Universität bieten, konnte das Spektrum der Untersuchungsmethoden für den Gesundheitsbereich am UFZ ausgeweitet werden", freut sich Polte. "Damit können wir nicht nur auf epidemiologische Studien und Zellkulturen zurückgreifen, sondern auch auf die Ergebnisse aus tierexperimentellen Versuchen an der Universität. Das ist wichtig, denn das Immunsystem ist sehr komplex, und ganz ohne die Überprüfung im Mausmodell sind solche grundlegenden Ergebnisse nicht möglich." Die Allergieforschung ist ein wichtiger Mosaikstein, um das Gesamtbild vieler so genannter Zivilisationskrankheiten besser zu verstehen. Dazu trägt auch das Leipziger Forschungsprogramm LIFE (Leipziger Interdisziplinärer Forschungskomplex zu molekularen Ursachen umwelt- und lebensstilassoziierter Erkrankungen) bei, an dem die Nachwuchsgruppe zusammen mit den Departments Proteomics und Umweltimmunologie in einem Verbundprojekt beteiligt ist. In dem Projekt soll unter anderem der Effekt von Weichmachern, die in der Plastikindustrie zum Einsatz kommen und als gesundheitlich bedenklich gelten, auf die Entstehung allergischer Erkrankungen untersucht werden. Weitere neue Erkenntnisse über die Auswirkungen der Umwelt auf Allergien beim Menschen sind also zu erwarten.


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Preis für Leipziger Allergieforscher

Für eine Publikation zur Allergie verstärkenden Wirkung von Schimmelpilzgiften und den dafür verantwortlichen Mechanismen ist die Helmholtz-Hochschul-Nachwuchs gruppe von Dr. Tobias Polte vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der Universität Leipzig mit dem Brigitte-Gedek-Preis ausgezeichnet worden. Die Deutsche Gesellschaft für Mykotoxinforschung verleiht den Brigitte-Gedek-Wissenschaftspreis alle zwei Jahre an herausragende Wissenschaftler/innen, die bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Forschung an Schimmelpilzgiften erbracht haben. Der Preis ist mit 10.000 Euro do tiert. Die Publikation ist im renommierten American Journal of Respiratory and Critical Care Medizine (AJRCCM) erschienen.


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Mykotoxine

Neben klassischen Organschäden können die Schimmelpilzgifte auch krebserregend und erbgutschädigend wirken, Immunsystem und Zentralnervensystem negativ beeinflussen oder Allergien auslösen bzw. verstärken. Bisher sind rund 200 verschiedene Toxine bekannt, die von etwa 300 Schimmelpilzarten gebildet werden. Der Einfluss auf die Zellteilung wird beispielsweise in der Medizin zur Bakterien- und Virenbekämpfung genutzt. So beruht Penicillin, das älteste bekannte Antibiotika, auf Giften des gleichnamigen Schimmelpilzes.

Das von der Arbeitsgruppe untersuchte Schimmelpilzgift Patulin kann sich in angefaultem Kernobst bilden und über die Obstpresse in daraus hergestellte Säfte geraten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, ein Mikrogramm Patulin pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag nicht zu überschreiten. Kleinkinder erhalten aber gerade im ersten Jahr verhältnismäßig viele Produkte aus Obst. Die neuen Erkenntnisse aus Leipzig legen daher nahe, die Patulinkonzentration in Lebensmitteln auch in Zukunft weiter zu überwachen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Eine Belastung durch Mykotoxine führte in Allergensensibilisierten Mäusen sowohl im akuten als auch im chronischen Asthmamodell zu einer Verstärkung der Entzündung in der Lunge. Im chronischen Modell kommt es zusätzlich zu einer vermehrten Bildung von Bindegewebe. Das Bild zeigt eine Bronchiole mit einer erhöhten subepithelialen Einlagerung von Bindegewebsproteinen. Diese extrazellulären Matrixproteine (z.B. Kollagen) wurden durch eine Färbung von Lungenpräparaten mit einem spezifischen Farbstoff sichtbar gemacht (blaue Farbe). Mikroskopische Aufnahme: Nicole Schütze, UFZ/Universität Leipzig

Der Schimmelpilz Aspergillus fumigatus kommt von der Antarktis bis zur Sahara praktisch überall vor. Er kann Allergien und Asthma auslösen. seine rauchgrüne Farbe, verursacht von einem Pigment ind en Sporen, verhalf ihm zu seinem Namen: fumus (lat.) bedeutet Rauch.


UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Tobias Polte
Dept. Umweltimmunologie
E-Mail: tobias.polte@ufz.de

Mehr Informationen:
www.ufz.de/index.php?de=17302


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Quelle:
UFZ-Newsletter September 2010, S. 10-11
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2010