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AUSLAND/1715: Argentinien - Müttersterblichkeit nimmt zu, Haupttodesursache sind Abtreibungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juni 2011

Argentinien: Müttersterblichkeit nimmt zu - Haupttodesursache sind Abtreibungen

Von Marcela Valente

Schwangerer Teenager vor risikoreicher Entbindung - Bild: © Carolina Camps/IPS

Schwangerer Teenager vor risikoreicher Entbindung
Bild: © Carolina Camps/IPS

Buenos Aires, 10. Juni (IPS) - Argentinien hat im Kampf gegen die hohe Müttersterblichkeit einen Rückschlag erlitten. Im Vergleich zu den Nachbarländern Chile und Uruguay schneidet das südamerikanische Land dreimal schlechter ab. Die meisten dieser Todesfälle sind die Folge von Hinterhofabtreibungen. Denn Schwangerschaftsabbrüche sind in Argentinien verboten.

Nach den jüngsten Angaben des Gesundheitsministeriums lag die Müttersterblichkeit 2009 bei 55 pro 100.000 Lebendgeburten. Das ist gegenüber dem Vorjahr mit 44 pro 100.000 Lebendgeburten ein deutlicher Anstieg, den sich die Behörde mit dem Ausbruch der Schweinegrippe erklärt.

Doch seit mindestens 20 Jahren sind unsichere Aborte die Haupttodesursache werdender Mütter. Die Sterblichkeit nimmt nicht ab, obwohl sich Argentinien im Rahmen der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zur Armutsbekämpfung zu einer Reduzierung der Rate auf 13 zu 100.000 Lebendgeburten zwischen 1990 und 2015 verpflichtet hat.

Generell ist die Müttersterblichkeit in Südamerika mit durchschnittlich 130 Fällen pro 100.000 Lebendgeburten vergleichsweise hoch. Den Vereinten Nationen zufolge ist MDG 5 das Ziel, von dem die Länder der Region und vor allem die ländlichen Gebiete noch am weitesten entfernt sind. Die Müttersterblichkeit in den argentinischen Provinzen Jujuy oder Formosa liegt um das Doppelte über dem nationalen Durchschnitt.


Rechte unbekannt

Wie Mabel Bianco von der Stiftung für Frauenbildung und -forschung (FEIM) kritisiert, ist vielen Argentiniern gar nicht bekannt, dass sie einem Gesetz von 2003 zufolge ein Anrecht auf Schwangerschaftsberatung und kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln haben. Hinzu kommt das Problem, dass Ärzte und Gesundheitsberater vielerorts Mädchen und Frauen die Wahrnehmung dieser Rechte erschweren oder gar verweigern. So werden Teenager häufig nach Hause geschickt, wenn sie ohne Erziehungsberechtigten zur Sprechstunde erscheinen.

Eine Schuld, die der Staat gegenüber Argentiniens Frauen zu begleichen hat, ist Bianco zufolge die Legalisierung von Abtreibungen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten. Wie die Ärztin moniert, kommt es noch nicht einmal zu denjenigen Abbrüchen, die schon im Gesetz von 1922 in Einzelfällen vorgesehen waren. Es fehle das Protokoll, das einen solchen medizinischen Eingriff in den öffentlichen Krankenhäusern rechtens mache, sagte die Ärztin.

Das Gesetz sieht Abreibungen vor, wenn die werdende Mutter "verblödet oder dement" ist, die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung oder einen sexuellen Missbrauch zustande kam oder das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Frau gefährdet ist. Das Gesundheitsministerium hat zwar das erforderliche Protokoll erarbeitet, doch fehlt die Unterschrift des Ministers.


Initiative für das Recht auf Abtreibung

250 Organisationen versuchen seit vier Jahren mit Hilfe einer nationalen Kampagne den Frauen des Landes das Recht auf eine Abtreibung zu erstreiten. 2007 konnten sie 22 Abgeordnete hinter sich scharen, inzwischen sind 50 Abgeordnete zur Unterschrift bereit. "Jede Frau hat das Recht über eine Unterbrechung ihrer Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen zu entscheiden", heißt es in dem ersten Paragraphen der Vorlage, die zudem die Entkriminalisierung von Abtreibungen vorsieht.

Der Initiative zufolge sollen die Eingriffe künftig kostenlos in den öffentlichen Kliniken vorgenommen werden. Im Fall einer Vergewaltigung, der Gesundheitsgefahr für die werdende Mutter und schweren Schädigungen des Fötus sollen Abbrüche auch noch zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft möglich sein.

Bisher ist unklar, ob das Gesetz in diesem Jahr das Parlament passiert. "Wir wollen, dass es zumindest diskutiert wird", meint dazu die Psychoanalytikerin Marta Rosenberg. "Denn nur so werden wir erreichen, dass das Thema auf der politischen Agenda bleibt." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.abortolegal.com.ar/
http://www.feim.org.ar/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98324

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Juni 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2011