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AUSLAND/1795: Indien - 800.000 Menschen in Kaschmir durch Konflikt traumatisiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Februar 2012

Indien: Bilder des Grauens - 800.000 Menschen in Kaschmir durch Konflikt traumatisiert

von Sana Altaf

Viele Störungen bleiben unbehandelt - Bild: © Sana Altaf/IPS

Viele Störungen bleiben unbehandelt
Bild: © Sana Altaf/IPS
Srinagar, Indien, 13. Februar (IPS) - Maheen aus Srinagar, einer Stadt im indischen Teil von Kaschmir, bekommt die Schreckensbilder nicht aus dem Kopf. Als Neunjährige musste sie mit ansehen, wie ihr älterer Bruder getötet wurde. Ein Jahr später blieb ein Nachbar bei einem Schusswechsel zwischen indischen Sicherheitskräften und Rebellen zerfetzt auf der Straße liegen. Nach weiteren zwei Monaten erlebte das Kind einen Bombenanschlag, bei dem fünf Menschen umkamen.

Das traumatisierte Mädchen reagierte auf das erlebte Grauen mit schweren Panik- und Ohnmachtsanfällen. Der Hausarzt verordnete Valium. Mit 15 Jahren diagnostizierten Ärzte der Psychiatrischen Klinik in Srinagar bei Maheen eine schwere post-traumatische Belastungsstörung (PTSD). Die heute 26-Jährige wird weiterhin medizinisch behandelt. Ihr Arzt hält die grausamen Erlebnisse ihrer Kindheit für die Ursachen ihrer psychischen Probleme.

Maheen ist in dem Himalaja-Hochtal kein Einzelfall. Der Jahrzehnte lange, gewaltsame Konflikt zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Aufständischen hat bei vielen Menschen schwere seelische Schäden hinterlassen. Nach einer 2011 vom 'Sher-e-Kashmir Insitute of Medical Sciences' durchgeführten Studie leiden im indischen Bundesstaat Kaschmir 55 Prozent der 10,1 Millionen Einwohner unter psychischen Störungen wie Angst- und Panikattacken, Depressionen, Zwangsvorstellungen, vor allem aber PTSD.

Anhand seiner Patientendatei schätzt der Psychiater Mushtaq Margoob, dass mehr als 800.000 Einheimische aufgrund traumatischer Ereignisse an PTSD leiden.

Der Zustrom von Patienten, den Kaschmirs einzige psychiatrische Klinik zu verkraften hat, ist von 1.200 (1989) auf 100.000 (2011) angewachsen. Eine 2008 im Shri-Maharaja-Hari-Singh-Hospital eingerichtete psychiatrische Ambulanz versorgt im Durchschnitt täglich 15 bis 200 meist junge Patienten.


Vor allem Frauen und Kinder betroffen

Der Psychiater Arshad Hussain erklärte: "Auch wenn es in Kaschmir keine umfassende Untersuchung über psychische Störungen bei Kindern gibt, hat der Konflikt bei den betroffenen Heranwachsenden zweifellos seelische Schäden, vor allem PTSD hinterlassen. Anders als Erwachsene, die die Hintergründe der Gewalt kennen, können Kinder schreckliche Erlebnisse wie etwa einen Bombenanschlag nicht verarbeiten."

Frauen und Kinder leiden am meisten unter dem Blutvergießen in der Region. Nach Angaben der Klinik für Psychiatrie sind 70 bis 80 Prozent der unter Depressionen leidenden Patienten Frauen. Die meisten sind verwitwet oder so genannte Halbwitwen - Frauen, deren Männer verschleppt wurden.

Trotz der steigenden Zahl von Patienten ist es in Kaschmir um deren Versorgung durch Fachpersonal schlecht bestellt. Neben der einzigen psychiatrischen Klinik gibt es in der Millionenstadt Srinagar in zwei Allgemeinkrankenhäusern psychiatrische Ambulanzen. Patienten aus dem Hinterland, die sich behandeln lassen wollen, müssen weite Wege zurücklegen. Für gestörte Kinder gibt es keinerlei Behandlungseinrichtungen.

Doch nicht nur der Mangel an Versorgungseinrichtungen lässt so viele seelisch Kranke unversorgt. Psychische Leiden seien mit Tabus belegt, die die meisten Menschen daran hindern, sich behandeln zu lassen, erklärte ein Soziologe. "Ihre Krankheit isoliert sie."
(Ende/IPS/mp/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2012