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AUSLAND/1845: Argentinien - Frauen droht höchstes HIV-Risiko durch feste Partner (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2012

Argentinien: Kondome kein Thema - Frauen droht höchstes HIV-Risiko mit festen Partnern

von Marcela Valente



Buenos Aires, 31. Mai (IPS) - Nicht beim Gelegenheitssex droht Frauen in Argentinien das höchste Risiko, sich mit dem HIV-Virus zu infizieren. Die größte Ansteckungsgefahr besteht beim ungeschützten Geschlechtsverkehr in einer festen partnerschaftlichen Beziehung. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine bislang unveröffentlichte Studie, die auf Interviews mit Frauen beruht, die zwischen 2009 und 2011 positiv getestet worden sind.

Das 'Argentinische Netzwerk von mit dem HI-Virus lebenden Frauen' und das 'Buenos-Aires-Netzwerk von mit dem HI-Virus lebenden Personen' hatten die Aussagen von 465 Frauen im Alter zwischen 17 und 70 Jahren ausgewertet. 51 Prozent waren zwischen 25 und 39 Jahre alt.

Die Aktivistinnen wollten den Umständen, die zur Infektion geführt hatten, auf den Grund gehen. "Es gab Fälle, in denen die Paare seit Jahren zusammengelebt hatten", berichtete Maria Eugenia Gilligan. "Wir hatten die Altersgrenze der befragten Frauen nach unten und oben erweitert. Dabei stellte sich heraus, dass immer mehr über 60-Jährige zu den Betroffenen gehörten."


Diagnose aus heiterem Himmel

Für 60 Prozent der befragten Frauen kam die Diagnose 'HIV-positiv' völlig überraschend. Eine 51-Jährige versicherte, sie sei dem Mann, mit dem sie seit elf Jahren zusammenlebt, immer treu gewesen. Sie wollte nicht glauben, dass sie HIV-infiziert ist.

Erste Ergebnisse des Berichtes mit dem Titel 'Estudio de Mujeres con Diagnóstico Reciente' (Studie zu jüngst diagnostizierten Frauen) waren aus Anlass des 'Internationalen Aktionstages für Frauengesundheit' am 28. Mai veröffentlicht worden.

Etwa 70 Prozent der betroffenen Frauen hatten die Sekundarstufe mit oder ohne Abschluss besucht, einige die Universität besucht oder einen anderen tertiären Bildungsweg hinter sich. Auch die Lebensbedingungen der befragten HIV-Patientinnen wurden hinterfragt. Jede zweite lebte in beengten Verhältnissen. 70 Prozent besaßen keinen Anspruch auf Sozialversicherung, und nur 46 Prozent hatten außer Haus einen Job.

Das Gino-Germani-Forschungsinstitut der Universität von Buenos Aires und das Zentrum für Bevölkerungsstudien hatten mit Unterstützung des argentinischen Gesundheitsministeriums und internationaler Organisationen wie UNAIDS und 'UN Women' die Untersuchung durchgeführt. Danach hatten sich 92 der HIV-infizierten Frauen beim ungeschützten Geschlechtsverkehr angesteckt. 73 gaben an, sie hätten in einer stabilen Beziehung mit dem Partner ungeschützten Sex.

Auch das Gesundheitsministerium, nach dessen amtlichen Statistiken 130.000 der 40 Millionen Argentinier mit dem HI-Virus leben, sehen im ungeschützten Geschlechtsverkehr die Hauptursache für eine HIV-Infektion. Ebenfalls offiziellen Zahlen zufolge wissen bis zu 50 Prozent der mit dem HI-Virus infizierten Argentinier nichts von ihrer Infektion.

"Es ist fast immer dasselbe. Die Frauen wussten nicht, dass ihr Partner HIV-positiv ist", erklärte die Aktivistin Gilligan. "Aus Furcht vor Gewalttätigkeit verzichten sie darauf, vom Partner die Benutzung eines Kondoms zu verlangen. Deshalb verwenden sie andere Mittel zu der Empfängnisverhütung." Viele dieser Frauen hätten schon früh Erfahrungen mit Gewalt und sexuellem Missbrauch gemacht, betonte sie.

Die aktuelle Untersuchung hatte ergeben, dass 44 Prozent der Frauen Ärger mit dem Partner bekamen, wenn sie von ihm verlangten, ein Kondom zu benutzen.

Die HIV-Infektion wurde nach Angaben der meisten Frauen zufällig entdeckt, bei einer Schwangerschaft, einem Schwangerschaftstest oder bei einer ärztlichen Routine-Untersuchung. Nur zehn Prozent unterzogen sich einen HIV-Test, nachdem sie entdeckt hatten, dass ihr Partner HIV-positiv war.


Vom medizinischen Personal schlecht behandelt

In dem Bericht wird auch kritisch diskutiert, wie diskriminierend das medizinische Personal häufig mit Frauen umgeht, bei denen eine HIV-Infektion festgestellt wurde. Etliche der Betroffenen klagten über eine feindselige Stimmung, andere fanden heraus, dass Familienmitglieder noch vor ihnen von ihrem HIV-positivem Ergebnis erfahren hatten. In vielen Fällen wurden sie in Anwesenheit Dritter wie Krankenschwestern oder Verwandten informiert.

Häufig wurden die Frauen ohne weitere Informationen und medizinische Beratung aus der Klinik entlassen. Manche verstanden nicht einmal, was man ihnen dort mitgeteilt hatte. "Sie sagten mir, ich sei 'reaktiv', was immer das bedeuten mag. Ich wusste also nicht, war ich jetzt HIV-positiv oder nicht", beschwerte sich eine der Befragten. (Ende/IPS/mp/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2012