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AUSLAND/1933: Libanon - Zu wenig Hilfsleistungen für die wachsende Zahl syrischer Flüchtlinge (ÄoG)


Ärzte ohne Grenzen - 7. Februar 2013

Libanon

Hilfsleistungen decken die Bedürfnisse der wachsenden Zahl syrischer Flüchtlinge nicht ab



Beirut/Berlin, 7. Februar 2013. Die Syrer, die vor den heftigen Konflikten in ihrem Heimatland geflohen sind, um im Libanon Sicherheit zu finden, erhalten keine angemessene humanitäre Hilfe und leben unter prekären Bedingungen. Das ergibt eine detaillierte Studie, die heute von der medizinischen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen veröffentlicht wird.

Der Bericht "Misery beyond the war zone" (Elend jenseits des Kriegsgebietes) von Ärzte ohne Grenzen zeigt unter anderem, dass von den 220.000 Syrern, die bis jetzt im Libanon Zuflucht gesucht haben, viele nicht die nötige Gesundheitsversorgung erhalten. Die Studie enthüllt eine markante Verschlechterung der humanitären Situation im Libanon, größtenteils wegen der Verzögerungen bei der Registrierung. Denn im Libanon, wo die Mehrheit der Flüchtlinge Zuflucht suchen, hängt der Anspruch auf formale Hilfe von der Registrierung ab. "Die Registrierung sollte keine Bedingung sein, um in einer Notsituation Hilfe zu erhalten", ermahnt Bruno Jochum, Direktor von Ärzte ohne Grenzen in Genf. "Der Zugang zu humanitärer Hilfe wird durch die Schwierigkeiten bei der Registrierung ernsthaft behindert. Die Hilfsleistung muss beschleunigt und ausgedehnt werden", betont Jochum.

Syrische Flüchtlinge und andere Vertriebene im Libanon haben keinen Zugang zu freier Gesundheitsversorgung und angemessenen Unterkünften. Die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Flüchtlinge und die libanesischen Heimkehrer bleiben prekär. Mehr als 50 Prozent der von Ärzte ohne Grenzen befragten Menschen sind in mangelhaften Strukturen wie unangemessenen Sammelunterkünften, Bauernhöfen, Garagen, unfertigen Rohbauten oder alten Schulen untergebracht, ob sie nun registriert sind oder nicht. Die meisten dieser Unterkünfte bieten kaum oder gar keinen Schutz vor Kälte und Nässe. Diese unzumutbaren Lebensbedingungen tragen zur Verschlechterung der gesundheitlichen Situation bei.

Die Studie von Ärzte ohne Grenzen wurde im Dezember 2012 beendet und umfasste 2.100 syrische Flüchtlingsfamilien. 75 Prozent der Befragten leben unter Bedingungen, die der Härte des Winters nicht angepasst sind. Die Menschen, die vom Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) registriert wurden, haben ein Anrecht auf Gutscheine für Nahrung und Brennmaterialien und auf die Übernahme eines Teils der Gesundheitskosten. Mehr als 40 Prozent der Befragten waren jedoch nicht offiziell registriert.

"Wir sind in einer kritischen Situation, haben nicht genug zu essen und wir wissen nicht, an wen wir uns wenden können", sagt ein Flüchtlingsvater. "Die einzige Nahrung, die wir erhalten, kommt von solidarischen libanesischen Nachbarn. Als Erwachsene können wir uns mit einer Mahlzeit pro Tag begnügen, aber von unseren Kindern können wir das nicht verlangen. Wenn wir nicht Angst vor den Bombardements in Homs hätten, würden wir sofort zurückkehren."

Knapp einer von vier Interviewten gab an, keine Hilfe erhalten zu haben, während 65 Prozent sagten, dass sie nur teilweise Unterstützung erhielten, die die Bedürfnisse der Familie nicht deckten. In weiten Teilen des Libanon stößt die Kapazität der Gastgemeinden, Flüchtlinge aufzunehmen, an ihre Grenzen. Den Familien, die schon früh ankamen, geht das Geld aus, um Nahrung und Unterkunft zu bezahlen. Sie haben auch keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung.

Die medizinische Situation hat sich in den vergangenen sechs Monaten deutlich verschlechtert. Mehr als die Hälfte aller Interviewten kann sich die Behandlung chronischer Krankheiten nicht leisten und nahezu ein Drittel musste eine Behandlung unterbrechen, weil die Weiterführung zu teuer war. Impfungen für Kinder, rezeptpflichtige Medikamente, Betreuung von Frauen während der Schwangerschaft und Geburtshilfe sowie medizinische Grundversorgung sind oft außer Reichweite.

Der Zugang zu medizinischer Versorgung für die verletzlichsten Bevölkerungsschichten - ob registriert oder nicht, ob palästinensische Flüchtlinge aus Syrien oder libanesische Heimkehrer - erfordert allerhöchste Priorität und unverzügliches Handeln. Alle Flüchtlinge müssen bei ihrer Ankunft im Libanon umgehend Hilfe erhalten und Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.

"Die Geldgeber müssen sich dazu verpflichten, das Notwendige zu tun, um den wachsenden Bedürfnissen der Flüchtlingsbevölkerung im Libanon zu begegnen. Nationale und internationale Akteure müssen die Methoden und das Ausmaß der geleisteten Hilfe evaluieren", betont Jochum. "Ärzte ohne Grenzen ruft alle Behörden und Agenturen dazu auf, die Einrichtung von Empfangszentren für Neuankömmlinge zu beschleunigen und umgehend zugängliche Unterkünfte zu schaffen, die den winterlichen Bedingungen standhalten können. Nur so kann dem zunehmenden Flüchtlingsstrom begegnet werden."

Seit der Ankunft tausender syrischer Flüchtlinge, die seit November 2011 vor dem Konflikt in ihrem Land flüchten, hat Ärzte ohne Grenzen die Aktivitäten ausgeweitet. Im Jahr 2012 hat die Organisation in der Bekaa-Ebene und in Tripolis mehr als 23.000 Konsultationen durchgeführt. Seit November 2012 hat Ärzte ohne Grenzen an die syrischen Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene mehr als 25.500 lebensnotwendige Hilfsgüter verteilt und Mitte Januar 2013 damit begonnen, den Flüchtlingen Gutscheine für Brennmaterial zu geben, so dass nun 300 Familien zwei Monate lang heizen können. Bis heute hat Ärzte ohne Grenzen das Personal von 50 auf 112 Mitarbeiter verdoppelt und baut die Aktivitäten weiter aus.

Im Norden Syriens arbeitet Ärzte ohne Grenzen in drei Krankenhäusern in Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrolliert werden. Medizinische Teams bieten Nothilfe und chirurgische Versorgung an. Zwischen Juni 2012 und Anfang Januar 2013 haben Teams der Organisation mehr als 10.000 Konsultationen und 900 chirurgische Eingriffe durchgeführt. In angrenzenden Ländern wie Jordanien, dem Libanon und Irak unterstützt Ärzte ohne Grenzen zudem Flüchtlinge aus Syrien, Palästina und dem Irak mit medizinischer und chirurgischer Hilfe.

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen
Pressemitteilung vom 7.2.2013
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Pressestelle: Telefon: 030/22 33 77 00
E-Mail: office@berlin.msf.org
Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8 .Februar 2013