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AUSLAND/2089: Ägypten · Kampf gegen Zeitbombe Hepatitis C - Orale Therapien wecken neue Hoffnung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. April 2014

Ägypten: Kampf gegen Zeitbombe Hepatitis C - Orale Therapien wecken neue Hoffnung

von Cam McGrath


Bild: © Cam McGrath/IPS

In Ägypten wird es bald kostengünstige Interferon-Alternativen für Hepatitis-C-Infizierte geben
Bild: © Cam McGrath/IPS

Kairo, 11. April (IPS) - Mohamed Ibrahim erfuhr erst von seiner Erkrankung, als er Blut spenden wollte. Die Klinik teilte ihm mit, dass er Antikörper des Hepatitis-C-Virus (HCV) in sich trage. Wahrscheinlich hatte er sich bereits als Kind infiziert, als er während einer Operation eine Bluttransfusion erhalten hatte.

"Ich brauchte viel Blut, und damals wurden noch keine Kontrollen durchgeführt", sagt der 24-jährige Ägypter. Ihm ist bewusst, dass das Virus allmählich seine Leber zerstören wird. Wenn er sich nicht weiter behandeln lässt, wird er voraussichtlich spätestens mit 40 an Leberzirrhose oder Leberkrebs erkrankt sein.

Die bisherige Therapie, der er sich seit der Diagnose unterzieht, ist teuer und hat nicht viel gebracht. "Die Nebenwirkungen sind genauso schlimm wie die Krankheit selbst", berichtet Ibrahim. "Ich kann außerdem nicht in Ländern wie Dubai oder Saudi-Arabien Geld verdienen, weil sie erst nach einer Blutuntersuchung eine Arbeitsgenehmigung erteilen."


Land mit höchster Hepatitis-C-Prävalenz

Ibrahim gehört zu den schätzungsweise acht bis zehn Millionen Ägyptern, die mit Hepatitis C leben. Ägypten gilt als das Land mit der weltweit höchsten Verbreitung der Krankheit. Zehn bis 14 Prozent der rund 85 Millionen Einwohner sind laut offiziellen Daten infiziert. Etwa zwei Millionen brauchen dringend eine Behandlung. Leberversagen infolge von Hepatitis C ist mit mehr als 40.000 Fällen jährlich eine der Haupttodesursachen in dem Land.

Inzwischen gibt es aber Hoffnung durch neuartige Behandlungsmethoden. Vor Kurzem vereinbarte die Regierung in Kairo mit dem US-Pharmaunternehmen 'Gilead Sciences', das oral verabreichte Medikament 'Sovaldi' zu einem Bruchteil des Preises zu kaufen, zu dem es in den USA gehandelt wird. So kostet die Dosis für eine zwölfwöchige Behandlung in Ägypten umgerechnet 900 US-Dollar, während in den USA dafür 84.000 Dollar anfallen.

Das ägyptische Gesundheitsministerium wird Sovaldi voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2014 staatlichen Fachkliniken zugänglich machen, sobald das Präparat im Land registriert sein wird. Studien haben ergeben, dass Sovaldi bei der Behandlung von HCV vom Typ 4 in bis zu 97 Prozent der Fälle hochwirksam ist. Dieser Virustyp ist der in Ägypten am weitesten verbreitete.

Das neue Medikament gilt als wesentlich fortschrittlicher als das bisher in Ägypten übliche 'Interferon', dass über 48 Wochen in Kombination mit 'Ribavirin' verabreicht wird. Diese Therapie kostet etwa 7.000 Dollar. Das Interferon wird über die Pharmafirmen Roche und Merck geliefert und zeigt lediglich eine Wirksamkeit von 60 Prozent. Viele Patienten klagen über gravierende Nebenwirkungen wie Anämie und chronische Depressionen.

In ägyptischen Apotheken ist Interferon ohne ärztliches Rezept erhältlich. Da die wöchentliche Injektion aber 150 Dollar kostet, ist die über 48 Wochen durchgeführte Behandlung für die meisten Menschen im Land nicht bezahlbar. Das in Ägypten hergestellte Interferon 'Reiferon Retard' kostet zwar nur ein Drittel, soll aber nur eine Wirksamkeit von weniger als 50 Prozent haben.

Seit 2006 hat die Regierung mehr als 250.000 HCV-Infizierte in besonderen Gesundheitseinrichtungen behandelt, die dem Nationalen Komitee für die Kontrolle viraler Hepatitis angegliedert sind. Interferon-Injektionen werden zum reduzierten Preis oder kostenlos für nicht krankenversicherte Ägypter bereitgestellt. Etwa die Hälfte der Patienten erleidet aber binnen sechs Monaten einen Rückfall.

Eine 2010 veröffentlichte Studie der Nationalen Akademie der Wissenschaften in den USA geht davon aus, dass sich jedes Jahr mehr als 500.000 Menschen in Ägypten mit HCV anstecken. Forscher führen die hohe Verbreitung der Krankheit darauf zurück, dass das Virus im Land etwa 20 Mal häufiger vorkomme als im globalen Durchschnitt. Als weitere Faktoren führt die Studie an, dass medizinische Instrumente in Krankenhäusern häufig nicht sterilisiert und Blutkonserven ohne vorherige Kontrolle verabreicht werden.


Folgenschwere Kampagne gegen Bilharziose

Die ägyptische Regierung bestreitet diese Angaben energisch. Die hohe HCV-Rate im Land hänge vor allem damit zusammen, dass Menschen, die sich vor Jahrzehnten angesteckt hätten, nun erkrankt seien. Viele hatten sich während einer nationalen Gesundheitskampagne gegen die durch Wasser übertragene Krankheit Bilharziose in den 1960er und 1970er Jahren infiziert. Ägyptern in ländlichen Gebieten wurden Medikamente mit nicht sterilisierten Spritzen injiziert. Dadurch verbreitete sich Hepatitis C zunächst unbemerkt weiter.

"Die Ärzte wussten damals noch nichts über das Hepatitis-C-Virus, das erst 1987 entdeckt wurde. Damals wurden Glasspritzen mehrfach verwendet", erklärt der Chirurg Refaat Kamel, der auf Tropenkrankheiten spezialisiert ist. "Sobald eine Nadel infiziert ist, verbreitet sich die Krankheit schnell."

Forschungsergebnisse zur Reproduktion von HCV haben zur Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten geführt. Sovaldi wurde im Dezember 2013 von der US-Nahrungs- und Arzneimittelkontrollbehörde FDA zugelassen. Klinische Versuche hatten zuvor ergeben, dass das Medikament effizient ist und kaum Nebenwirkungen hat. Sovaldi erreicht direkt infizierte Leberzellen und hemmt die Bildung von Enzymen, durch die sich das Virus reproduzieren kann.

FDA hat auch den Wirkstoff 'Olysio' von 'Jansen Therapeutics' zugelassen, dessen Preis um etwa ein Viertel unter dem von Gileads Medikament liegt. Auch Pharmafirmen wie AbbVie, Bristol-Myers Sqibb und Merck arbeiten mit Hochdruck an eigenen oral verabreichbaren Medikamenten.


Weitere Tests mit Sovaldi nötig

Die Wirksamkeit von Sovaldi gegen HCV 4 ist bisher allerdings erst erwiesen, wenn es zusammen mit Interferon und Ribavirin verabreicht wird. Weitere Tests müssen erst noch zeigen, ob das Medikament ohne wöchentliche Interferon-Gaben effizient ist oder ob es auch mit anderen antiviralen Arzneien kombiniert werden kann.

"Versuche mit Sovaldi und Ribavirin haben ähnliche Erfolgsquoten ergeben. In mehr als 96 Prozent der Fälle wurde eine Heilung erzielt", sagt Mohamed Abdel Hamid, Direktor des staatlichen Forschungslabors für virale Hepatitis. "Das Medikament könnte auch anschlagen, wenn es drei Monate lang ohne Interferon genommen wird. Das wissen wir aber noch nicht." Hamid sieht Sovaldi auch wegen der oralen Darreichung als gute Alternative, denn langfristige intravenöse Behandlungen können zu vielen Problemen führen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/04/new-treatments-may-defuse-viral-time-bomb/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2014