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AUSLAND/2417: HelferInnen unter Feuer - Medizinische Friedensarbeit im Süden Thailands (IPPNWforum)


IPPNWforum - Nr. 147, September 2016
Das Magazin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

HelferInnen unter Feuer
Medizinische Friedensarbeit im Süden Thailands

von Dr. Gabriella Arcadu und Dr. Louisa Chan Boegli


Friedensarbeit ist im Süden Thailands ein heikles, weil politisches Thema. Da die Angehörigen von Gesundheitsberufen privilegierten Zugang zu den Gemeinden und Dörfern haben, sind sie prädestiniert für eine Rolle als Friedensstifter. In einem Pilotprojekt eigneten sich Fachkräfte aus Konfliktzonen das Handwerkszeug der Friedensarbeit an.


Über den gewalttätigen Konflikt in Südthailand weiß die Weltöffentlichkeit wenig. Seit 2004 hat es 6.000 Tote und mehr als 11.000 Verletzte gegeben. Trotzdem findet man in den internationalen Medien wenig darüber. Es handelt sich um einen Identitätskonflikt zwischen der Minderheit malayischstämmiger Muslime und der buddhistischen Mehrheit, die das Land regiert. Der Konflikt beschränkt sich auf die vier südlichsten Provinzen, wo malayische Muslime die Bevölkerungsmehrheit ausmachen. Bewaffnete Aufständische kämpfen gegen die Regierungstruppen - für Selbstbestimmung und -verwaltung.

Eine Friedensinitiative der Regierung im Februar 2013 machte kurzzeitig Hoffnung, schlief aber aufgrund der halbherzigen Bemühungen beider Seiten nach sechs Monaten wieder ein. Danach wurden die Ereignisse durch den politischen Konflikt in Bangkok überschattet. Der Nationale Rat für Frieden und Ordnung, der im Mai 2014 an die Macht kam, erklärte, er wolle die Friedensverhandlungen zu einem Ergebnis bringen.

Das Projekt "Healing Under Fire" basiert auf der Zusammenarbeit der südthailändischen Initiative "Deep South Relief and Reconciliation" (DSRR) und der italienisch-schweizerischen Rugiagli-Initiative (RI). Beide haben die Vision, dass Gesundheitskräfte ein vernetzender Faktor in Konfliktregionen sein können. Das thailändische Gesundheitssystem besitzt eines der weltweit bestentwickelten Programmen für Gesundheitsarbeit in ländlichen Regionen. Gesundheitsfachleute haben selbst in den südlichen Konfliktregionen ein hohes Ansehen. Das hat damit zu tun, dass sie eine neutrale Rolle wahren und dass sie in Hinblick auf Geschlecht, Religion, Kultur und technische Spezialisierungen in integrierenden Teams arbeiten. Auch ihr sehr zurückhaltendes Verhalten schützt die Gesundheitskräfte davor, zum Angriffsziel in bewaffneten Konflikten zu werden. Da die Menschen aus Gesundheitsberufen privilegierten Zugang zu den Gemeinden und Dörfern haben, sind sie prädestiniert für eine Rolle als Friedensstifter.

Anfang 2013 suchte DSRR Partner für ein Projekt im Rahmen von "Health as a Bridge to Peace". Es ging darum, ÄrztInnen aus den Konfliktregionen auszubilden, um über ihre traditionelle Rolle hinaus in der Friedensarbeit tätig zu werden. Ziel war, die Kompetenzen in der Friedensarbeit und in der zivilen Konfliktlösung zu verbessern. Das Besondere dabei war, das diese Aktivitäten nahe der Konfliktzone stattfanden und sich an Angehörige von Gesundheitsberufen richteten, die vor Ort lebten und arbeiteten. Dabei wurde besonders darauf geachtet, die Sicherheit der beteiligten Personen nicht zu gefährden.

Im Juli 2013 wurden erstmalig Angehörige des Gesundheitswesens zu einem runden Tisch zur Rolle der Gesundheitsfachkräfte in der Friedensarbeit eingeladen. Aus der Diskussion entstand die Empfehlung, Menschen fortzubilden, die Interesse haben, eine Rolle im Friedensprozess zu spielen. Man entschied sich für einen Workshop, der die nötigen Fähigkeiten vermitteln sollte, schwierige Arbeitssituationen im Konflikt zu bewältigen, ohne dadurch den Konflikt zu verschärfen, und andererseits in den Kommunen Fundamente für ein gemeinsames Verständnis und für die Vermeidung von gewalttätigen Auseinandersetzung zu legen.

Sowohl thailändische als auch internationale ExpertInnen beteiligten sich Ende 2013 an diesem Workshop: Etwa 30 Gesundheitsfachkräfte, SozialarbeiterInnen und andere AkademikerInnen aus allen Konfliktregionen waren dabei, darunter neun Muslime. Die Hälfte der TeilnehmerInnen waren Frauen. Die TeilnehmerInnen erarbeiteten vier Aktionskonzepte, um Initiativen in die eigene Umgebung einzubringen. In jeder Gruppe beteiligten sich sowohl buddhistische als auch muslimische Gesundheitsfachleute. Der Leitung jeder Initiative gab ein internationaler "Pate" (Unterstützer) Rückhalt.

1) Initiative zur psychische Gesundheit, zur Wut- und Gewaltminderung: Ziel war die Minderung der Weitergabe von Gewalt von einer Generation an die nächste. Da sich posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern oft in Form von Ausagieren und aggressivem Verhalten äußert, sollten Kinder und Jugendliche aus gewaltbelasteten Familien angesprochen werden.

2) Medizinisches Curriculum: Diese Initiative sollte Health-and-Peace-Inhalte in die medizinischen und Pflege-Lehrpläne der Universität Yala in Südthailand verankern. Die Gruppe entwickelte einen Schritt-für-Schritt-Plan, nach dem zuerst das akademische Personal eingebunden und sensibilisiert werden sollte, um einen neuen Lehrplan zu testen. Dieses Curriculum sollte dann anderen Instituten vorgeschlagen werden.

3) Gegenseitiges Verstehen und Unterstützung des Friedensprozesses: Nach diesem Plan sollten sich Gesundheitsfachkräfte an den laufenden Friedensprozessen beteiligen. Hierbei geht es hauptsächlich um den Aufbau eines beruflichen Friedensnetzwerks für Gesundheitsfachkräfte, das Beteiligten einen Handlungsrahmen gibt, um sich mit Friedensarbeit einbringen zu können. Das Netzwerk sollte auch einen Rahmen bieten, um eine Gesundheitsversorgung anzubieten, die besser an die Erfordernisse der Region angepasst ist.

4) "Gesunde Moscheen": Dieser Plan befasst sich mit dem Zugang von der Opposition kontrollierter Gemeinden zur Gesundheitsversorgung. Das staatliche Gesundheitspersonal hat hier keinen Zugang. Die Strategie bindet lokale Imame und Behörden ein, um Moscheen in den abgeschnittenen Gegenden als Gesundheitszentren zu nutzen. Diese werden in den lokalen Gemeinschaften als sichere Orte wahrgenommen. Gesundheitsfürsorge und vertrauensfördernde Maßnahmen würden durch den Einsatz einer mobilen Grundversorgungsklinik unterstützt.

Sieben Monate nach dem Workshop fand eine gemeinsame Evaluation statt, mit dem Ergebnis, dass nicht alle WorkshopteilnehmerInnen bereit waren, in der Friedensarbeit zu beginnen. Die thailändische Kultur ist eine der Nicht-Einmischung, besonders was politische Angelegenheiten angeht. Andere Themen waren Angst vor Repressalien, der Verlust der Glaubwürdigkeit und der fehlende Zugang zu den bedürftigen Gemeinden.

Doch zumindest hatten ihnen die erworbenen Kenntnisse geholfen, sich den Herausforderungen der Arbeitsumgebung zu stellen und die medizinische Arbeit zu verbessern. Die "Peace-and-Health"-Botschaften erreichten viele TeilnehmerInnen. Die interessierten TeilnehmerInnen hatten darüber hinaus ein Grundgerüst an die Hand bekommen, um konkrete Friedensarbeit zu realisieren. Enge Beziehungen zwischen den TeilnehmerInnen bestehen fort. Einige Ärzte engagieren sich weiterhin in der humanitären und in der Friedensarbeit. Die Initiative "Gesunde Moscheen" hat sich in verschiedenen Konfliktzonen angesiedelt und den Zugang zur medizinischen Erstversorgung verbessert. Teams der medizinischen Fakultät planen, für die Studierenden vor Ort das gesamte Medical-Peace-Work-Curriculum ins Thailändische zu übersetzen. Die thailändische Islamische Medizinische Gesellschaft führt mit Unterstützung thailändisch-buddhistischer Organisationen weiterhin Health-and-Peace-Aktivitäten durch.

Wenn also in Südthailand Friedensarbeit auch ein heikles Thema ist, zeigten Gesundheitsfachkräfte doch ein großes Interesse an diesem Konzept. Im Laufe der Aktivitäten stellte sich heraus, dass immer zuerst eine Antwort auf akute Sicherheitsrisiken, Probleme und moralische Zwangslagen gefunden werden muss. Einigen der TeilnehmerInnen eröffnete die offene Diskussion über Medical Peace Work, Konfliktanalyse und den Friedensprozess einen tieferen Einstieg in die Friedensarbeit.

Wir müssen uns darauf konzentrieren, bestehende Aktivitäten von Gesundheitsfachleuten zu dokumentieren, die daran arbeiten, gewalttätige Konflikte zu verhindern bzw. zu lindern und zerstörten Gemeinden mit Wiederaufbaumaßnahmen zu helfen, die dauerhaften Frieden bringen.


Dr. Gabriella Arcadu und Dr. Louisa Chan Boegli referieren im Oktober 2016 auf dem Kongress "Medizin und Gewissen" in Nürnberg.


Der ausführliche Projektbericht zu "Healing under Fire" von DSRR und der Rugiagli-Initiative ist mehrsprachig online verfügbar. Mehr Informationen dazu finden Sie unter:
www.4change.eu/healing-under-fire.html

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Quelle:
IPPNWforum | 147 | September 2016, S. 22 - 23
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2017

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