Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


ARTIKEL/1458: Versorgung chronisch kranker Patienten - Fehler im Gesundheitssystem (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2017

VDEK
Fehler im System

von Anne Lütke Schelhowe


Bei den Gesprächen am Wasser wurde diesmal über die Herausforderungen der Versorgung älterer chronisch kranker Patienten diskutiert.

Failure of success: So beschrieb Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen bei den traditionellen "Gesprächen am Wasser" in der vdek-Landesvertretung in Kiel den Umstand, dass wir zwar wirkungsvolle Arzneimittel haben, die aber wiederum nicht so effektiv sind, dass sie Patienten heilen könnten. "Können wir wirklich sehenden Auges in die Situation hineinlaufen, dass Menschen heute 30 Jahre behandelt werden, und weil sie morgen älter werden, 40 Jahre lang? Ist das ein Versorgungskonzept?", fragte der Pharmazeut in seinem Impulsreferat zu den Herausforderungen für die gesetzliche Krankenversicherung in einer beständig alternden Gesellschaft. Glaeske schätzte das deutsche Gesundheitssystem auch im internationalen Vergleich zwar noch als sehr gut ein, weniger gut sei es dagegen im Bereich der Versorgung chronisch kranker Patienten. Dafür nannte er u.a. folgende Gründe:

Prävention zahle sich für die Kassen nicht unbedingt aus: Wenn in Prävention investiert und jemand lange damit gesund gehalten werde, könne der Patient dennoch einfach die Kasse wechseln. Glaeske schlug vor, für derartige Situationen über eine Ablösesumme zu diskutieren.

Unüberschaubare Arzneimittelmengen: Etwa 35 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen über 65 bekommen neun Wirkstoffe und mehr in Dauertherapie. Bei mehr als fünf Wirkstoffen steige jedoch die Gefahr für Wechselwirkungen, Unverträglichkeiten und unerwünschten Wirkungen. "Menschen über 65 gehen typischerweise zu vier Ärzten und alle mögen aus ihrer Sicht das Richtige tun, aber es fehlt an koordinierter Absprache", so Glaeske, der sich für einen vernünftig geführten Medikationsplan unter Einbeziehung der Apotheker aussprach.

Die Ineffizienz des Systems liege auch an der Arzt-Zentrierung. Es müsse stärker auf einen Professionen-Mix hingearbeitet werden, um andere Gesundheitsberufe aktiver in die Behandlung einzubinden. Für Delegation und Substitution sprach sich in der anschließenden Diskussion auch Prof. Sascha Köpke vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Uni Lübeck aus. Der gelernte Krankenpfleger sieht hier aber noch tiefe Gräben zu überwinden, obwohl "die Aufgaben, die wir übernehmen können, vielfältig sind". International gebe es viele Beispiele, die das belegten, z. B. Programme zur Hypertonie, wo Medikamente durch Pflegende verabreicht werden. "Viele Studien zeigen, dass sich die Mortalität signifikant verbessert. Aber das wäre bei uns undenkbar, weil die Delegationskraft bei uns nicht in der Lage wäre oder das machen wollte", so Köpke.

Eine weitere Hürde bei der Versorgung von chronischen Erkrankungen sieht Glaeske in der sektoralen Abschottung des Gesundheitssystems. Dabei gehe es nicht nur um die Sektorengrenzen zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen, sondern auch innerhalb der ambulanten Versorgung, z. B. zwischen Haus- und Fachärzten. Dem stimmte auch der dritte Diskutant Harald Stender, Koordinator Ambulante Versorgung des Kreises Dithmarschen, zu. Er appellierte an die neue Landesregierung, sich die ländlichen Regionen mit ihren Problemen anzuschauen und um Lösungen zu ringen. So wie aktuell auf Helgoland: "Die Klinik ist nicht lebensfähig. Es ist die Überlegung, dass die Klinik mit der Gemeinde zusammengeht, um sowohl die kassenärztliche Versorgung als auch den KV-Notdienst sowie die Notfallpraxis unterzubringen. Die Klinik wird mit denen, die noch da sind, zusammen ein MVZ", so Stender. Er plädiert dafür, das System durch Modellvorhaben und mehr Investitionen anzupassen. "Wir müssen in Schleswig-Holstein unsere gute Zusammenarbeit, die schon seit Jahrzehnten besteht, nutzen und aus den Gegebenheiten das Beste machen."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201707/h17074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juli/August 2017, Seite 23
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang