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INTERNATIONAL/003: Pakistan - Taliban verbieten Polio-Schluckimpfung in den Stammesgebieten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Juli 2012

Pakistan: "Süßes Gift" - Taliban verbieten Polio-Schluckimpfung in den Stammesgebieten

von Ashfaq Yusufzai


Polio-Schluckimpfung in Peschawar - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Polio-Schluckimpfung in Peschawar
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peschawar, Pakistan, 11. Juli (IPS) - In Pakistans nordwestlichen Stammesgebieten (FATA) entlang der Grenze zu Afghanistan machen die Taliban alle Bemühungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Regierung zunichte, die tückische Kinderlähmung im Land auszurotten. Die militanten Islamisten verbieten Polio-Schluckimpfungen in den sieben FATA-Bezirken, in denen sie das Sagen haben. Pakistan, Afghanistan und das westafrikanische Nigeria sind weltweit die letzten Länder, in denen Polio immer noch endemisch auftritt.

Nach WHO-Angaben hatte das eingeschleppte Virus zwischen 2009 und 2010 in bislang polio-freien Ländern zu 23 neuen Fällen von Kinderlähmung geführt. Seit Jahresbeginn wurden in Pakistan 22 Polioerkrankungen registriert, davon elf in den FATA-Gebieten.

Die Taliban begründeten ihr am 15. Juni ausgesprochenes Verbot der Schluckimpfung mit der Behauptung, die USA wollten mit diesem Impfstoff bewirken, dass sich die muslimische Bevölkerung verringere. Zehn Tage später ordneten sie in ihren Hochburgen Nord-Wasiristan und Süd-Wasiristan ein totales Impfverbot an. Nach Schätzungen des Gesundheitsexperten Tahseenullah Khan sind in Nord- und Süd-Waziristan 318.000 Kleinkinder von dem Impfbann der Taliban betroffen.

In einem einseitigen Pamphlet, das der pakistanische Taliban-Führer Mullah Nazir Ahmad hatte verteilen lassen, wurde die Schluckimpfung als "süßes Gift" angeprangert. Er warnte: "Die Amerikaner verfolgen ihre Ziele mit Hilfe der Medien, des Sports, mit Impfungen und mit der Koedukation von Jungen und Mädchen."

Allen Behörden und Organisationen, die mit dem Impfprogramm zu tun haben, wird gedroht, sie müssten die Verantwortung für die Folgen übernehmen. "Einerseits töten die Amerikaner mit ihren Drohnenangriffen unschuldige Frauen, Kinder und alte Leute, andererseits geben sie Millionen für Impfkampagnen aus", heißt es weiter.

"Das Impfverbot ist eine Gefahr für die weltweite Ausrottung der Kinderlähmung, denn von Pakistan aus könnte das Virus wieder in poliofreie Länder eingeschleppt werden", sagte der Arzt Khalid Khan, Mitarbeiter des WHO-Polio-Programms in den autonomen Stammesgebieten.

Und gerade dort halten sich standhaft zwei besonders resistente Stämme von Polio-Viren, WPV1 und WPV3. "Solange sie nicht ausgerottet sind, können sie Kindern überall auf der Welt gefährlich werden", bekräftigte Ashgar Ali, ein weiterer WHO-Mitarbeiter.

Er berichtete IPS, in den sieben FATA-Regionen würden ohnehin nicht einmal 45 Prozent der Kinder gegen Polio geimpft. Das Sofortprogramm des Premierministers zur Ausrottung der Kinderlähmung für 2012 soll allerdings 95 Prozent der Kinder erfassen.


Erfolg des Polio-Impfprogramms der Regierung gefährdet

"Wir hatten Schwierigkeiten mit dem Programm im Bezirk Khyber, doch jetzt stehen wir in Nord- und Süd-Wasiristsan vor neuen Problemen", berichtete der Arzt Fawad Khan, Leiter des Gesundheitsprogramms in den Stammesgebieten. "Erst kürzlich haben wir das Impfprogramm durch zusätzliche Termine ergänzt, um auch die Kinder zu erfassen, die die Routineimpfung verpasst hatten."

"Es wird schwierig werden, die Taliban dazu zu bringen, die Schluckimpfungen doch noch zuzulassen, denn als Gegenleistung verlangen sie die Einstellung der Drohnenangriffe", stellte Aamir Khan, Mitarbeiter des erweiterten Impfprogramms in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, fest. (Ende/IPS/mp/jt/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2012