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INTERNATIONAL/018: Wie ein Tsunami - Nicht ansteckende Krankheiten bedrohen Entwicklungsländer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Februar 2013

Gesundheit: Wie ein Tsunami - Nicht ansteckende Krankheiten bedrohen Entwicklungsländer

von Isolda Agazzi



Genf, 8. Februar (IPS) - Ein Tsunami braut sich am Horizont zusammen, und die Welt ist darauf nicht vorbereitet. Dieses Mal handelt es sich nicht um eine massive Wand aus Wasser, sondern um eine Flutwelle von Krankheiten. Experten sagen, dass die internationale Staatengemeinschaft rasch handeln muss, um den Aufprall dieser Welle zu verhindern.

"Nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs, Diabetes und chronische Atemwegsbeschwerden führen weltweit zu den meisten Todesfällen", sagte Jeffrey Sturchio von der US-Beratungsfirma 'Rabin Martin' auf einer Konferenz der Internationalen Vereinigung der Pharmazeutikhersteller und -verbände (IFPMA), die am Weltkrebstag am 4. Februar in Genf stattfand.

"Etwa 36 Millionen Menschen sterben jedes Jahr an nicht übertragbaren Krankheiten, 80 Prozent davon in Ländern mit mittleren und geringen Einkommen", erklärte er. "In den nächsten Jahren wird diese Zahl um 17 Prozent steigen, in Afrika sogar um 25 Prozent."

Im Vergleich dazu sterben an den ansteckenden Krankheiten Tuberkulose und Malaria auf der ganzen Welt jährlich etwa ein bis zwei Millionen Menschen. "Die Krankheitslast verlagert sich zu den nicht ansteckenden Krankheiten. Da Entwicklungsländer auch noch gegen Infektionskrankheiten zu kämpfen haben, tragen sie eine doppelte Bürde", warnte Sturchio.

Die Entwicklungsländer scheinen der bevorstehenden Krise allerdings nicht die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. "Im Jahr 2010 waren HIV- und AIDS-Infektionen für 3,5 Prozent aller Todesfälle weltweit verantwortlich, Malaria für 1,5 Prozent, Krebs für 12,6 Prozent und Herzkrankheiten für 14 Prozent", sagte Cary Adams von der Vereinigung für internationale Krebskontrolle am Rande der Genfer Konferenz.


Krebsgefahr steigt massiv an

Diese Daten sollten bereits ausreichen, damit Regierung die nicht ansteckenden Krankheiten höher auf ihre Liste nationaler Prioritäten setzen. "Im Afrika südlich der Sahara verursachten HIV/AIDS 13,3 Prozent der Todesfälle, Malaria 6,7 Prozent und Krebs 4,5 Prozent", erklärte Adams. Die Gesundheitsminister der afrikanischen Staaten würden Krebs deshalb in den Hintergrund schieben. "Tatsächlich wird sich das Ausmaß des Problems in den nächsten 15 Jahren verdoppeln. Es nähert sich ein Tsunami nicht-übertragbarer Krankheiten, und wir müssen heute schon dagegen angehen."

Um diese enorme Gefahr auszubremsen, schlossen sich vier Gesundheitsverbände - die Internationale Diabetesvereinigung, die Vereinigung für internationale Krebskontrolle, der Weltgesundheitsverband und die Vereinigung gegen Lungenkrankheiten und Tuberkulose - zur Allianz der nicht übertragbaren Krankheiten zusammen. Mit einem Netzwerk aus mehr als 2.000 nichtstaatlichen Organisationen in über 170 Ländern versucht das Bündnis in der globalen Debatte über nicht übertragbare Krankheiten der Zivilgesellschaft eine größere Stimme zu geben.

Die Allianz hat auch dazu beigetragen, dass die Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 2011 ein hochrangiges Treffen einberief, auf dem nicht ansteckende Krankheiten offiziell zu einer "Herausforderung von epidemischen Ausmaßen" erklärt wurden. Um dagegen vorgehen zu können, müssten die Regierung, die Zivilgesellschaft und der private Sektor mitarbeiten.

"Das ist nicht einfach", gab Adams, der Vorsitzende der Allianz, zu bedenken. "Wir haben versucht, eine gemeinsame Agenda auszuarbeiten und einen Konsens zu finden. Einige Nichtregierungsorganisationen wollten aber nicht mit uns reden, weil wir mit dem privaten Sektor zusammenarbeiten. Wir versuchen, die Privatwirtschaft einzubinden, ohne dass wir damit unsere Integrität und Unabhängigkeit aufs Spiel setzen."

Dennoch haben die Bemühungen weitergeführt. Vor fünf Jahren standen nicht übertragbare Krankheiten nur selten auf der Tagesordnung. Die politische Erklärung der UN und eine Reihe nachfolgender Aktionen haben allerdings große Wirkung gezeigt. Das Ergebnis ist ein Aktionsplan, der bis 2025 reicht und darauf abzielt, die durch nicht ansteckende Krankheiten verursachten Todesfälle in diesem Zeitraum um 25 Prozent zu senken.


Zu wenige finanzielle Ressourcen

Die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen, sind allerdings gering. Beobachter rechnen nicht damit, dass Gelder für eine massive globale Kampagne ohne weiteres verfügbar sein werden. "In Wahrheit sieht es so aus, dass in den vergangenen 20 Jahren Milliarden US-Dollar an offizieller Entwicklungshilfe an die Länder des Südens gegangen sind und vor allem für den Kampf gegen HIV/AIDS verwendet wurden. Es ist unrealistisch anzunehmen, dass sich diese Erfolgsgeschichte wiederholen wird", sagte Sturchio.

Der Experte plädierte dafür, bereits getätigte Investitionen zu nutzen und im Umlauf befindliche Finanzmittel neuen Zwecken zuzuführen. "Hunderte HIV-Kliniken, die in Subsahara-Afrika eröffnet wurden, können auch für die Behandlung von nicht übertragbaren Krankheiten genutzt werden. Wenn Patienten in diese Krankenhäuser kommen, können sie außerdem auf andere Infektionen getestet werden und Impfungen erhalten."

Nach Ansicht von Margaret Kruk, Professorin an der Columbia Universität in New York, muss die gesundheitliche Grundversorgung neu konzeptioniert werden, um gegen das Problem der nicht übertragbaren Krankheiten in Ländern mit geringen und mittleren Einkommen angehen zu können. "In der Theorie können viele Dienstleistungen im Bereich der nicht übertragbaren Krankheiten auch bei der Basisversorgung angeboten werden", meinte Kruk. Dazu gehörten etwa die Vorbeugung von Hepatitis B, Impfungen, Raucherentwöhnung sowie Tests des Cholesterin- und Glukosespiegels, Mammografien und Reihenuntersuchung möglicher Depressionen.

Die Erstversorgung in Entwicklungsländern sei aber nicht in der Lage, auf die Herausforderungen zu reagieren, sagte Kruk. "Die Patienten würden nicht im Rahmen einer ganzheitlichen Methode betrachtet." Die größten Probleme sieht die Medizinerin im Afrika südlich der Sahara, wo sich die nationalen Gesundheitsstrategien in den vergangenen 50 Jahren auf den Kampf gegen Infektionskrankheiten sowie auf die Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Kindern konzentrierten. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs355/en/index.html
http://www.research-europe.com/index.php/2012/12/cary-adams-ceo-union-for-international-cancer-control/
http://www.un.org/News/Press/docs/2011/ga11138.doc.htm
http://www.ipsnews.net/2013/02/tsunami-of-diseases-waiting-to-hit/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2013