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KASSEN/1885: Medikation - Das Ende der Richtgrößen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2017

Medikation
Das Ende der Richtgrößen

von Dirk Schnack


In Schleswig-Holstein gilt eine neue Systematik. KV und Krankenkassen setzen künftig auf frühere Steuerung


In Schleswig-Holstein gilt schon seit Jahresbeginn eine neue Arzneimittelvereinbarung, auf die sich KV und Krankenkassen noch einen Tag vor Weihnachten 2016 geeinigt hatten. Die Richtgrößen wurden durch eine andere Auffälligkeitsprüfung, die MRG-Prüfung (Morbidity Related Groups, also krankheitsabhängige Fallgruppen) abgelöst.

Damit haben beide Verhandlungspartner ein Ziel erreicht: Die KV konnte die Ärzte von den ungeliebten Richtgrößen befreien, ohne dass die für die Krankenkassen prioritäre Frage der Kosten ausgeklammert wurde. Damit wurde eine Systematik reformiert, die seit 1998 Bestand hatte. Niedergelassene Ärzte mussten sich seitdem an Richtgrößen orientieren, wenn sie Arzneimittel für ihre Patienten verordneten. Das bedeutete: Ihnen stand für jedes Quartal ein Geldbetrag zur Verfügung, der sich an der Anzahl von Patienten in Statusgruppen orientierte: Mitglieder, Familienangehörige oder Rentner. "Jeder Gruppe wurde ein Teil des Budgets zugemessen. Das hatte aber nichts mit den tatsächlich auftretenden Krankheiten oder Bedürfnissen der Patienten zu tun", sagt Prof. Reinhard Schuster vom MDK Nord. Ärzte, die Patienten mit teuren Verordnungen behandelten, waren damit auf Patienten angewiesen, die nur wenige oder gar keine Arzneimittel benötigten. Die Folge war dennoch häufig, dass Ärzte ihr Richtgrößenbudget schon deutlich vor dem Quartalsende aufgebraucht hatten. Für jede weitere Verordnung drohten Sanktionen seitens der gemeinsamen Prüfstelle von Kassen und KV.

"Das war weder für Ärzte noch für Patienten befriedigend. Außerdem hat es junge Ärzte von der Niederlassung abgeschreckt, wenn sie für Verordnungen mit Sanktionen rechnen mussten", sagt Schuster zur früheren Situation.

Er war maßgeblich an der neuen Systematik beteiligt, die jetzt in Schleswig-Holstein umgesetzt wurde. Ziel war es, dass Ärzte Arzneien wieder so verordnen können, wie sie es aus rein medizinischen Gründen für sinnvoll halten. Ärzte mit kostenintensiven Behandlungsschwerpunkten bekommen dabei mehr Spielraum als Kollegen, die einen geringeren Verordnungsbedarf bei ihren Patienten haben.

Für die neue MRG-Systematik wird jeder Patient mit Verordnung einer morbiditätsbezogenen Gruppe zugeordnet. Die Gruppierung erfolgt auf Basis der verordneten Wirkstoffe. Wenn alle Patienten zugeordnet wurden, lassen sich die Durchschnittskosten einer MRG ermitteln - der Sollwert für alle Patienten in dieser Gruppe. Alle Sollwerte der Patienten eines Arztes ergeben dann sein Budget. Alle Arztbudgets einer Praxis ergeben das Praxisbudget.

Um die Kosten im Blick zu behalten, bekommt jeder Arzt prospektive und retrospektive steuernde Informationen etwa in Form von Quartalsberichten über die Verschreibungen seiner Praxis. "Daraus kann jeder Arzt ersehen, wie sein Verschreibungsverhalten im Vergleich zu Praxen seiner Fachgruppe im Bundesland liegt, jeweils bezogen auf die gleichen Morbiditätsgruppen", sagt Schuster. Die Auswertung zeigt dem Arzt, in welchen Arzneimittel- und Wirkstoffgruppen er sich bei den Kosten verbessern kann, wenn er auf andere Präparate umsteigt.

Zwar können auch nach der neuen Systematik noch arztindividuelle Regresse ausgesprochen werden, die KV erwartet aber, dass dies seltener der Fall sein wird. Vorgesehen ist neben der MRG-Prüfung auch eine Zielfeldprüfung, für die es ebenfalls Regresse geben kann. Wenn der Arzt seine Sollgröße um mehr als den Toleranzbereich überschreitet und die Prüfungsstelle nichts Entlastendes feststellen kann, werden die zwei Auffälligkeitsprüfungen arztindividuell in ihren Resultaten verglichen. Mit einem guten Ergebnis in einer Prüfung kann sich der Arzt für die andere entlasten.

Die MRG-Prüfung bezieht sich auf die Gesamtkosten einer Praxis, die Mengenkomponente ist dabei analog zur Richtgrößenprüfung enthalten. In der Zielfeldprüfung dagegen werden die Kosten je Behandlungstag - und nicht wie in anderen KVen je Dosis - geprüft.

Eine erstmalige regressrelevante Überschreitung führt in jeder Auffälligkeitsprüfung zur Beratung der Ärzte durch die Prüfungsstelle. Beratungen aus den Zeiträumen vor 2016 müssen angerechnet werden. 2017 und 2018 kommen nur Ärzte in die MRG-Prüfung, die 2016 in der Richtgrößenprüfung auffällig waren.

"Das mitgeteilte Steuerungsvolumen dient in der Prüfung nur als untere Schwelle. Egal, was sich 2017 ändert - dieser Budgetwert ist sicher", erläutert KV-Experte Timo Emcke. In der Prüfung errechnet die Prüfungsstelle 2019 mit den realen Verordnungen des Arztes und der Fachgruppe von 2017 dann ein neues Budget bzw. Prüfvolumen.

Die KV sieht einen Regress-Schutz schon darin, dass sie heute deutlich schneller auf die Ärzte zugehen kann, bei denen sich für die Prüfungen ein Problem abzeichnet. Grundsätzlich können nur fünf Prozent einer Fachgruppe geprüft werden. Außerdem können die Ärzte sich eine von ihnen nicht abänderbare Entlassmedikation aus dem Krankenhaus als Praxisbesonderheit anerkennen lassen. Laut KV sind auch die Vertragspartner auf Kassenseite stolz auf das neue Konzept. Die Ärzte sind nach KV-Eindruck zufrieden mit der neuen Regelung. Fest steht für die KV Schleswig-Holstein, dass die Ablösung der Richtgrößen ein Erfolg ist. "Die zugrunde liegenden Fallzahlen konnte kein Praxisverwaltungssystem exakt bestimmen und es brauchte Patienten, die nichts oder fast nichts verordnet bekamen, um den Freiraum für teure Patienten zu schaffen", gibt Emcke zu bedenken.


info

30 Mio Verordnungen flossen in die Berechnungen der Richtgrößen in Schleswig-Holstein ein.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201704/h17044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, April 2017, Seite 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2017

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