Dr. med. Mabuse Nr. 178 - März/April 2009
"Wir wollen Koalitionen gegen Korruption schaffen"
Anja Uhling und Sonja Siegert werfen einen kritischen Blick auf das deutsche Gesundheitssystem und sprachen mit Angela Spelsberg, Koordinatorin der Arbeitsgruppe Gesundheit bei Transparency International
Wie die ARD-Sendung "Panorama" vom 22.1.09 berichtete, hat der bayerische Hausärzteverband mit der AOK vereinbart, dass die HausärztInnen von der Krankenkasse zukünftig das doppelte Honorar bekommen. Als "Gegenleistung" müssen sie bei möglichst vielen ihrer AOK-PatientInnen "entsprechende Codierungen vornehmen", also Patienten zu chronisch Kranken erklären, damit die Kasse mehr Geld aus dem neuen Risikostrukturausgleich bekommt - so heißt es in einem internen Schreiben des Verbandes an seine Mitglieder.
Mit solchen Vorgängen beschäftigt sich die Antikorruptions-Organisation Transparency International (TI). TI geht es dabei nicht um die Aufdeckung von Einzelfällen, sondern um die Sensibilisierung für das Thema, um das Analysieren von Strukturen und Bedingungen sowie um das gemeinsame Finden von Lösungsvorschlägen.
Die nichtstaatliche Organisation wurde 1993 in Berlin gegründet und hat inzwischen nationale Gruppierungen in über 100 Ländern, in denen man sich in regionalen und thematischen Arbeitsgruppen ehrenamtlich engagiert.
Schätzungen aus den USA und aus Großbritannien besagen, dass drei bis zehn Prozent der Ausgaben im Gesundheitssektor durch Betrug, Missbrauch und Korruption verschleudert werden. "Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass dieser Anteil in Deutschland geringer ausfällt", sagt Transparency Deutschland in seinem Grundsatzpapier "Transparenzmängel, Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen" von Juni 2008. "Das heißt: korruptionsbedingte Fehlsteuerungen in Höhe von ca. 20 Milliarden Euro jährlich!" Für diese Übertragung auf deutsche Verhältnisses wurde TI von Pharma- und Ärzteverbänden kritisiert; letztlich sind genaue Zahlen ohnehin nicht zu ermitteln, weil Korruption und Missbrauch selten angezeigt werden. Klar ist: Es geht um Schäden in sehr großer Höhe.
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"Wir wollen Koalitionen gegen Korruption schaffen"
Anja Uhling und Sonja Siegert im Gespräch mit Angela Spelsberg,
Koordinatorin der Arbeitsgruppe Gesundheit bei Transparency
International Deutschland
Frau Spelsberg, was versteht Transparency International unter Korruption?
Wir haben den Korruptionsbegriff relativ weit gefasst: Für uns ist das
nicht nur Bestechung oder Vorteilsnahme, sondern die "Ausnutzung einer
Machtposition zum persönlichen Nutzen oder Vorteil". Dazu gehören zum
Beispiel Ämterpatronage oder das Verschaffen von Vorteilen durch
Absprachen. Es sind Phänomene, die in unserer Gesellschaft normal
geworden sind. Um dies zu ändern, muss man die Menschen erst einmal
dafür sensibilisieren. Im Gesundheitswesen ist es besonders prekär,
weil kranke Menschen darauf angewiesen sind, auf vertrauenswürdige
Strukturen statt auf Verhältnisse zu stoßen, die von anderen
Interessen geleitet sind.
Können Sie Beispiele nennen?
Es handelt sich um klassische Korruption, wenn der Einkäufer eines
Krankenhauses mit dem Vertreter einer Pharmafirma für den eigenen
Vorteil spezielle Verträge aushandelt. Für uns mindestens ebenso
bedenklich sind Fälle von Abrechnungsbetrug. Oder dass Einflussnahme
auf die Entscheidungsebene verhindert, dass eine rationale Therapie
kostengünstig durchgesetzt wird. So ist zum Beispiel die Positivliste
gescheitert - eine Liste mit allen zu Lasten der Krankenkassen
verordnungsfähigen Medikamenten mit nachgewiesener Wirkung, möglichst
wenigen Nebenwirkungen, günstigem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Da geht es
um viel Geld und um viel Macht.
Sind Sie persönlich mit dem Thema Korruption oder Einflussnahme konfrontiert worden?
Ich bin in der Brustkrebsbewegung sehr konkret damit konfrontiert worden, als wir für Deutschland die Möglichkeit eines Mammographie-Screenings erreichen wollten und unsere Selbsthilfebewegung Schritt für Schritt immer stärker zum Beispiel von der Firma Roche vereinnahmt wurde. Wir waren irgendwann nur noch Teil der nationalen Marketingstrategie der Firma, wie uns die Produktmanagerin später auch wörtlich sagte. Wir sollten benutzt werden für die Vermarktung des neuen Brustkrebsmedikamentes Herceptin.
Dass man nicht in Abhängigkeit gerät, ist ein ganz entscheidender
Faktor für Qualität, besonders im Gesundheitswesen. Es ist leider
immer noch Usus, dass Kongresse, Fortbildungsveranstaltungen, Reisen
und noch schlimmer: die Forschung, also der gesamte medizinische
Wissenschaftsbetrieb von Pharmafirmen bezahlt werden.
Was wird bereits gegen Korruption getan?
Wir haben von der Bundesregierung gefordert, dass es einen
Antikorruptionsbeauftragten geben muss, der direkt dem Parlament
unterstellt ist - leider ohne Erfolg. Man hat argumentiert, dass die
Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und die Krankenkassen im Rahmen
ihrer Selbstverwaltung auch mit diesem Phänomen selbst fertig werden
müssen und können. Man hat lediglich "Stellen zur Bekämpfung von
Fehlverhalten im Gesundheitswesen" geschaffen, die seit 2004 in allen
KV und Krankenkassen tätig sein müssen, mit einer zweijährigen
Berichtspflicht.
Mit welchem Ergebnis?
Transparency hat sich inzwischen zweimal solche Berichte angeschaut.
Unsere Hauptkritik ist, dass das verantwortliche
Gesundheitsministerium überhaupt keine formalen Vorgaben gemacht hat,
sodass ein Bericht den Umfang von einer Zeile bis zu einem Dossier
haben kann. Es gibt auch keine Sanktionen, wenn er gar nicht oder
schlecht erstellt wird. Nicht einmal der Begriff "Fehlverhalten" ist
eindeutig definiert. Die Berichte sind außerdem nicht vergleichbar,
sodass man keine Zusammenfassung und kein Gesamtbild der
Korruptionslage im Gesundheitsbereich für das Bundesgebiet erstellen
kann.
Haben Sie Ihre Kritik den Verantwortlichen mitgeteilt?
Ja, in einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Und ich
habe den Eindruck, dass viele Gesundheitspolitiker verstehen, wo das
Problem liegt, dass aber der Machtzugriff nicht da ist.
Haben Sie den Eindruck, dass das deutsche Gesundheitswesen besonders intransparent und anfällig für Korruption ist?
Das Phänomen gibt es in allen Gesundheitssystemen, aber der Umfang des
Problems und die Art und Weise der Bekämpfung sind unterschiedlich.
Die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems sind aufgrund der
Selbstverwaltung diffus, undurchsichtig und deshalb sehr schlecht
analysierbar. Es ist enorm schwierig, Daten über das System zu
bekommen. Kostendaten auszuwerten ist immer Privileg derer, die nicht
unabhängig sind.
Wie ist das in anderen Ländern?
Im National Health Service in Großbritannien wurde eine zentrale
Stelle eingerichtet, die Fehlverhalten im gesamten Gesundheitswesen
systematisch erfasst, den Schaden abschätzt und dafür sorgt, dass
nicht nur das Geld zurückgeholt wird, sondern dass auch Sanktionen
erfolgen. In Deutschland sind Sanktionen dagegen gesetzlich gar nicht
vorgesehen. Im Moment wird, wenn es gut läuft, das Geld rückerstattet,
aber es gibt keinerlei berufsrechtliche Konsequenzen.
Braucht es andere, verschärfte Gesetze?
Teilweise ja. Man muss gesetzlich festlegen, dass und wie sanktioniert
wird. Ich glaube aber nicht, dass es mit Gesetzen allein geht. Wenn
die Mehrheit der Bevölkerung Korruption nicht als Problem ansieht,
dann können Sie auch mit den besten Antikorruptions-Gesetzen der Welt
nichts erreichen. Die Wertvorstellungen müssen genauso debattiert
werden, sonst funktioniert es nicht.
Ist Transparency International auch auf europäischer Ebene aktiv? Die Europäische Kommission arbeitet ja gerade an einer Richtlinie, die das Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel über Fachkreise hinaus unterlaufen könnte.
Transparency ist eine internationale Organisation, die einzelnen Ländergruppen stehen im Austausch. Außerdem sind wir Mitglied in einem europäischen Netzwerk gegen Betrug und Korruption im Gesundheitswesen, dem European Health Care Fraud and Corruption Network. Der Europarat erstellt im Moment auch eine Erklärung zur Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen, da stehen wir als Berater zur Seite.
Über den Vorschlag der Europäischen Kommission, das Werbeverbot
abzuschaffen, sind wir sehr besorgt. Die Argumentation, dass eine
bessere Information über Arzneimittel nur durch den Hersteller
geleistet werden kann, ist absurd. Nach Aufhebung des Verbotes
direkter Werbung in den USA sind die Ausgaben für Arzneimittel sofort
stark angestiegen, ohne dass das mit einer verbesserten Qualität der
Versorgung zu tun hätte. Die Initiative der Europäischen Kommission
stellt eine einseitige Interessenpolitik zugunsten der Hersteller von
Medikamenten und der von diesen beauftragten Werbewirtschaft dar - zu
Lasten der Kranken und Versicherten in Europa.
Wie sehen Sie die Rolle der evidenzbasierten Medizin (EBM) beim Thema Korruption? Sie stützt sich ja auf Erkenntnisse aus Studien, die idealerweise ohne Einfluss der Industrie entstehen und bestimmten Standards genügen müssen.
Die EBM ist natürlich sehr wichtig. Das Problem ist aber, dass es
immer weniger solcher Studien gibt! Das ist unsere größte Sorge: Die
Unabhängigkeit der Forschung ist nicht mehr gewährleistet. (Siehe
Kasten "Fragwürdige Kooperation".) Ein Beispiel ist die HPV-Impfung
gegen Gebärmutterhalskrebs. Sie ist sehr schnell eingeführt worden,
ohne sorgfältige Langzeittests. Man kann zu der Schutzwirkung noch gar
nicht viel sagen. Und noch weniger weiß man über Nebenwirkungen und
potenzielle Risiken. Die Empfehlung wurde aber unglaublich gepuscht
und schnell durchgezogen, es gab eine weltweite Kampagne. Da fassen
wir uns an den Kopf.
Ist Ihren ärztlichen KollegInnen bewusst, dass diese Kampagnen nicht immer auf wissenschaftlich einwandfreien Studien beruhen?
Die Problematik ist den KollegInnen klar, aber sie sagen: "Wenn ich
den Leuten das Mittel nicht gebe, gehen die zum nächsten Arzt, da
kriegen sie es." Das ist auch der Grund, warum wir unabhängige
Patienteninformation so wichtig finden: Die PatientInnen verlangen die
Präparate, die ihnen durch so genannte Information angeboten werden.
Wenn man nicht erkennen kann, dass die Information nur vom Hersteller
kommt, ist man aber fehlinformiert.
Wie sehen Sie die Rolle der Medien dabei?
Die ZDF-Sendung "Frontal 21" hat in der Sendung "Das Pharma-Kartell" vom 9. Dezember 2008 (http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/649184?inPopup=true) die Verbindung zwischen den Medien und der pharmazeutischen Industrie belegt: Die Redaktion hat eine Pharmafirma und ein Medikament erfunden, dafür eine Hochglanz-Werbebroschüre erstellt und Büroräume angemietet. Sie hat Marketing- und Anzeigenberater von der Apotheken-Umschau, dem Baur-Verlag und von Condé Nast (Herausgeber unter anderem von Vogue und Vanity Fair) eingeladen und um Vorschläge gebeten, wie man das als Kampagne in die Öffentlichkeit bringen kann - und zwar als "redaktionelle Artikel", die nicht als Werbung kenntlich gemacht sind. In der Sendung wird aufgedeckt, wie manche Medien mit so einem Werbeauftrag umgehen. Alle waren bereit, sich für einen Anzeigenauftrag bestechen zu lassen - und erklärten anschließend schriftlich dem ZDF, es herrsche in ihren Blättern eine strikte Trennung zwischen Anzeigenauftrag und redaktioneller Entscheidung.
Wir wissen auch, dass der Kommissionsvorschlag in Brüssel zur
Abschaffung des Verbotes der Direktwerbung an den Verbraucher zum Teil
auch auf Druck der Medien entstanden ist.
Haben Sie das Gefühl, gegen Windmühlenflügel zu kämpfen, oder sind Sie optimistisch, dass sich doch etwas ändert?
Der Weg ist noch weit, aber im Moment nimmt die Bevölkerung gerade durch die Finanzkrise stärker wahr, dass große Teile unseres Gemeinwesens nicht demokratisch kontrolliert und nicht geregelt sind. Zurzeit wächst das Bewusstsein, dass wir etwas dagegen tun müssen, dass sich Einzelne an unserem Solidarsystem extrem bereichern und dieses System und letztlich auch unsere Demokratie damit zerstören wollen.
Was ich ausdrücklich betonen möchte: Was wir hier besprechen, ist keine Anklage gegen einzelne Personen oder Institutionen, sondern es geht uns alle an. Es geht um Mechanismen, die letztlich die Basis, auf der wir alle leben, zerstören. Dazu gehört in vorderster Linie die Korruption.
Wir von Transparency sind nicht die Gutmenschen und die anderen nicht
die Bösen. Wir sind auch nicht die Weltpolizei oder die, die alles
aufdecken. Wir wollen Koalitionen mit Gleichgesinnten schaffen. Und
die versuchen wir in allen gesellschaftlichen Lagern zu finden.
Angela Spelsberg, geb. 1960, Ärztliche Leiterin des
Tumorzentrums Aachen, Mitglied im Vorstand von Transparency
International Deutschland, Koordinatorin der Arbeitsgruppe Gesundheit.
www.transparency.de
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Wer dealt was mit wem?
ÄrztInnen
Apotheken
Pharmafirmen
Versicherte
Kliniken
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Quelle:
Dr. med. Mabuse Nr. 178, März/April 2009, Seite 40
Herausgeber: Mabuse-Verlag GmbH
Kasseler Str. 1a (Ökohaus), 60486 Frankfurt am Main
Tel. 069-70 79 96-0, Fax: 069-70 41 52
E-Mail: redaktion@mabuse-verlag.de
Internet: www.mabuse-verlag.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2009
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