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ARTIKEL/1143: Interview - "Kunden" auf dem Heil-Markt (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 28/29 vom 16. Juli 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Kunden" auf dem Heil-Markt

Gespräch mit den Hausärzten Angelika Richter-Manecke und Dr. Gerd Manecke

Von Manfred Idler


UZ: Anfang Juli haben sich CDU und FDP auf ein Eckpunktepapier zur Gesundheitsreform geeinigt, in dem es u. a. um Beitragserhöhungen geht. Wer ist hauptsächlich davon betroffen?

ANGELIKA RICHTER-MANECKE: Von den Plänen der Bundesregierung sind alle in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherten, und hier in erster Linie Erwerbslose, Geringverdiener, Rentner und Familien betroffen.

Zum einen soll es eine prozentuale Beitragserhöhung auf 7,3 Prozent Arbeitgeberanteil und 8,2 Prozent Arbeitnehmeranteil aller Kassen geben, mit dem Novum, dass der Arbeitgeberanteil auf 7,3 Prozent festgeschrieben wird, also bei zukünftigen Beitragserhöhungen die Versicherten allein zur Kasse gebeten werden. Hier wird übrigens eine alte Forderung der BDA (Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände) umgesetzt.

Der zweite Teil der Beitragserhöhungen besteht darin, dass jede Kasse wie bisher einheitliche, für jeden Versicherten gleich hohe Zusatzbeiträge erheben kann, nur mit dem Unterschied, dass deren Höhe jetzt nach oben offen ist. Erst wenn dieser Betrag 2 Prozent des Bruttoeinkommens überschreitet, soll es einen steuerfinanzierten "Sozialausgleich" geben. Dass dieser Sozialausgleich aber kaum zum Tragen kommen werde, wird dann von unserer Bundesregierung gleich vorgerechnet: Bei einem Zusatzbeitrag von 16,- Euro und 800,- Euro Bruttoeinkommen finde er ja noch nicht statt.

DR. GERD MANECKE: Unsere Praxis befindet sich in Hanau im Einzugsgebiet von Arbeiterwohnvierteln. Schon 2003, als unter Rosa-Grün die sogenannte Praxisgebühr sowie die Zuzahlungen bei Medikamenten etc. eingeführt wurden, konnten sich gerade viele Rentner und Geringverdiener einen Praxisbesuch und das Einlösen von Rezepten in der Apotheke nicht mehr leisten. Es wurde also schon 2003 mit diesen Extrazahlungen der Kranken nicht nur die paritätische Finanzierung verletzt, sondern auch das Solidaritätsprinzip: Für die gleiche Leistung zahlen die besser Verdienenden mehr ein und die Gesunden bezahlen genauso wie die Kranken. Dies gilt heute nicht mehr in vollem Umfang. Durch die "kleine Kopfpauschale", wie die Zusatzbeiträge auch genannt werden, wird nicht nur der Arbeitnehmeranteil an den Kosten erhöht, sondern es findet auch eine Umverteilung zwischen den Arbeitnehmern, von unten nach oben statt.

UZ: Ist ein umfassendes Gesundheitssystem, das die Risiken abdeckt, überhaupt finanzierbar?

ANGELIKA RICHTER-MANECKE: Ein Hauptproblem bei der Finanzierung des Gesundheitssystems sind die niedrigen Löhne in unserem Land. Die Ausgaben der GKV haben sich in den letzten Jahren im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt kaum verändert, aber die Lohnquote ist gesunken. Es sind also zum einen kämpferische Gewerkschaften, die. ordentliche Lohnerhöhungen durchsetzen, gefordert. Andererseits: Schaffte man die privaten Krankenversicherungen ab, und bezöge alle Einkommen, also nicht nur die Arbeitseinkommen in voller Höhe in die Erhebung von Beiträgen mit ein, wäre die Finanzierung kein Problem. Es gibt Berechnungen der Gewerkschaften, die dann sogar eine deutliche Beitragssenkung prognostizieren. Und da haben wir die Ausgabenseite noch gar nicht beleuchtet: Wie viele unnötige ja sogar schädliche Untersuchungen und Behandlungen finden statt, weil in unserem Gesundheitswesen das Profitstreben eine so große Rolle spielt? Fast jeder zweite Patient, der eine Praxis aufsucht, hat psychosomatische Beschwerden, was ja unter dem zunehmenden Druck z. B. am Arbeitsplatz kein Wunder ist; aber das herrschende Medizinverständnis ist großteils bei der "Apparatemedizin" stehen geblieben. "Gesprächsmedizin" wird weiterhin schlecht bezahlt und nimmt in der Ausbildung der Ärzte nur eine kleine Rolle ein. Dr. Rösler will zudem die Einkommen der Hausärzte - die sich sowieso am unteren Ende der ärztlichen Einkommensskala befinden - absenken. Das geht in diese Richtung: noch weniger Hausärzte, weitere Verschlechterung der Basisversorgung - mehr Zusatzversicherungen und Gerätemedizin - oder anders ausgedrückt: mehr Profite für Versicherungskonzerne und Geräteindustrie; na was für ein Zufall!

UZ: Ist mit den momentanen Erhöhungen ein Endpunkt erreicht oder werden weitere Schritte in Richtung Klassenmedizin folgen?

DR. GERD MANECKE: Schon im Koalitionsvertrag von CDU und FDP ist die Rede vom Gesundheitswesen als Markt; der einzige der wachse. Und tätsächlich arbeitet jeder 10. Beschäftigte der BRD im Gesundheitswesen, werden hier jährlich ca 260 Milliarden umgesetzt. Da gibt es diverse Begehrlichkeiten. Weder die Pharma- noch die Medizingeräteindustrie wie z. B. Siemens wollen sich ihre Maximalgewinne nehmen lassen. Die Versicherungskonzerne und ihre Banken hätten gern eine auf das Minimum begrenzte Basisversorgung durch die GKV und möchten den Versicherten gern ihre "Zusatzversicherungen" verkaufen. Im Bereich der Zahn- oder auch der Krankenhausbehandlung haben wir das schon. Dass sich solche Zusatzversicherungen Geringverdiener nicht leisten können, versteht sich von selbst, und da sind wir bei der Zweiklassenmedizin schnell angelangt. Im Eckpunktepapier spricht die Bundesregierung großblumig von einer Krankenversicherung, die "unabhängiger von konjunkturellen Entwicklungen" ist. Da aber die, dem Gesundheitssektor insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel an die Grundlohnsumme gekoppelt sind, die aller Voraussicht nach durch den weiteren Ab- und Umbau "normaler" Arbeitsplätze zugunsten anderer Beschäftigungsverhältnisse weiter schrumpfen wird, heißt dies im Klartext, dass die Betroffenen also die Patienten ( so nenne ich ganz altmodisch immer noch diejenigen, die mittlerweile längst offiziell als Kunden bezeichnet werden!) immer mehr selbst dafür aufkommen müssen. Im Regierungskauderwelsch heißt dies: "wir müssen die Voraussetzungen für mehr Transparenz und Wahlmöglichkeiten für die Versicherten schaffen und die Eigenverantwortung stärken."

UZ: Seht ihr Möglichkeiten der Gegenwehr?

DR. GERD MANECKE: Das A und O sind die Reaktionen der Betroffenen und ihrer Organisationen, insbesondere der Gewerkschaften. Hier wurden bislang zur Kopfpauschale deutliche Aussagen gemacht. Aber vom Reden und Drohen, vom ballen der Faust in der Tasche alleine wird eine solche Politik nicht gekippt. Notwendig ist ein in die breite Öffentlichkeit getragener Protest auf der Straße, für den es schon jetzt durch Information zu werben gilt.

ANGELIKA RICHTER-MANECKE: Ein Schrift in die richtige Richtung zeigte sich bei den Aktionen von CAMPACT unter der Mitwirkung von Verdi, Sozialverbänden und des VdÄÄ (Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte) zur Kopfpauschale. Über 140.000 Teilnehmer zeigten Herrn Dr. Rösler die rote Karte zu seinen Plänen. Auch die Demos in Stuttgart und Berlin machen Mut. Ringen wir darum, dass der von den Gewerkschaften angekündigte heiße Herbst auch wirklich heiß wird. Nach dem Motto von ver.di: Gerecht geht anders!

Die Fragen stellte Manfred Idler

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, 28/29
16. Juli 2010, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2010

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