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FORSCHUNG/032: Wenn Bakterien Grippe haben - Neuer Weg zur Aktivierung des bakteriellen Immunsystems (idw)


Universität Wien - 31.03.2011

Wenn Bakterien Grippe haben

Neuer Weg zur Aktivierung des bakteriellen Immunsystems entdeckt


Auch Mikroorganismen können durch Viren infiziert werden. Sie entwickeln dabei Abwehrmechanismen, um feindlichen Angriffen zu widerstehen. Ein wichtiger Teil der Aktivierung des mikrobiellen Immunsystems ist die Reifung kurzer RNA-Moleküle (crRNAs). Emmanuelle Charpentier, ehemals Gruppenleiterin an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien und jetzt am schwedischen Laboratory for Molecular Infection Medicine Sweden (MIMS) der Universität Umeå. tätig, hat gemeinsam mit ihrem Team und den KollegInnen am Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) der Universität Würzburg einen neuen Weg zur Aktivierung der crRNAs gefunden.

Utl. 2: Die in der aktuellen Ausgabe von "Nature" präsentierten Ergebnisse werfen neues Licht auf die Übertragung von Virulenz bei Krankenhauskeimen und die Immunität von Bakterienstämmen bei der Herstellung von Milchprodukten.

Mikroorganismen sind ständigen Angriffen durch Viren, in diesem Fall Bakteriophagen, oder ringförmigen Nukleinsäuren anderer Bakterien ausgesetzt, so genannten Plasmiden. Diese fremden Gene können das Genom des Wirts zur Selbstzerstörung umprogrammieren oder ihm neue Eigenschaften zur Antibiotika-Resistenz verleihen.

Um sich gegen eine Infektion zu schützen, entwickelten Mikroorganismen ein ausgeklügeltes Abwehrsystem. CRISPRs, Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, sind Genabschnitte für ein Protein (Cas) und zusätzlichen sogenannten Spacern - Abschnitten, die spezifisch fremde Gene erkennen und deren Zerstörung bestimmen. Der CRISPR/Cas-Mechanismus ist erst seit wenigen Jahren bekannt, viele Details um seine Regulation und Mechanismen sind noch unklar. Völlig neue Erkenntnisse liefert nun die Forschungsgruppe von Emmanuelle Charpentier, die ehemals an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien arbeitete und jetzt am Laboratory for Molecular Infection Medicine Sweden (MIMS) der Universität Umeå tätig ist, in Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam um Jörg Vogel am Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) der Universität Würzburg.

Umprogrammierung der mikrobiellen Wirtszelle

Wie funktioniert das Immunabwehrsystem CRISPR/Cas in Mikroorganismen? Wenn Bakterien und Archaeen Virus- oder Plasmid-Angriffen ausgesetzt sind, werden kurze Stücke der feindlichen DNA in das Bakterium injiziert und in den CRISPR-Genkomplex eingebaut. Diese Veränderung des Genoms führt zur Umprogrammierung der mikrobiellen Wirtszelle, die die eingebauten Genabschnitte als immunologisches Gedächtnis nutzt und der Zelle auch Immunität gegen künftige Infektionen mit den gleichen feindlichen Genen verleiht. Nach dem Einbau kommt es zur crRNA-Reifung, wobei der veränderte genomische CRISPR-Komplex in der Wirtszelle in RNA-Moleküle übersetzt wird. Diese RNA-Moleküle werden in spezifische Sequenzen gespalten und im letzten Schritt der Immunreaktion, dem sogenannten Stilllegen der fremden Gene, erkennen diese kurzen crRNA-Stückchen das Fremdgenom wieder und führen es der zellulären Abbaumaschine zur Zerstörung zu.

Bisher ging man davon aus, dass bei allen Reaktionen dieses Immunsystems die Aktivierung durch das Cas-Protein ausreicht. Die neusten Forschungsergebnisse von Charpentier und ihren KollegInnen zeigen jetzt, dass zusätzliche Faktoren im Wirtsgenom für die Aktivierung des CRISPR-Mechanismus benötigt werden, die an RNA-Interferenz bei höheren Organismen erinnern.

Drei neue Faktoren

"Wir haben die CRISPR/Cas Immunreaktion in unserem Modellorganismus, Streptococcus pyogenes, einem human pathogenen Bakterium untersucht", erklärt Emmanuelle Charpentier, Leiterin der Studie. "Völlig überraschend entdeckten wir einen neuen Reaktionsweg zur Aktivierung von CRISPR, bei dem - bisher gänzlich unbekannt - drei neue Faktoren an der Reifung der crRNA beteiligt sind: kurze RNA-Stücke (small RNA), ein Protein des Wirts, Endoribonuklease III genannt, und ein bisher unbekanntes Protein Csn1."

"Das Zusammenspiel dieser Faktoren führt zu einem besonders exakten Abwehrmechanismus", so Charpentier. Das kleine Erkennungs-RNA-Molekül bindet jeweils an der sich wiederholenden Stelle der CRISPRs-Vorläufer RNA. Dieser Komplex wird dann von der bakterieneigenen Endoribonuklease III erkannt und spaltet unter Mithilfe von Csn1 die Vorläufer RNA in die kurzen crRNA-Stückchen. Diese können die fremden Gene in weiterer Folge korrekt erkennen und beseitigen.

Bakterieller Mechanismus konserviert

Bei Eukaryoten sind es die Enzyme Dicer und Drosha, die auch mit den Endoribonukleasen III zusammenwirken und zur Bildung von kleinen interferierenden RNA-Molekülen führen. "Wir konnten zeigen, dass der bakterielle Mechanismus zur Reifung von crRNA unter Beteiligung von Endoribonuklease III während der Evolution zu Eukaryoten konserviert blieb", erklärt Charpentier. Somit kann das CRISPR/Cas System in vielen Varianten in unterschiedlichen Organismen vorkommen. Für künftige Forschungen stellt sich die Frage, ob weitere Faktoren der bakteriellen Wirtszelle bei der Immunabwehr benötigt werden.

Alternativer Ansatz zur Bekämpfung von Krankheitserregern

"Der neu entdeckte Reaktionsweg schützt die Bakterien davor, von Phagen abgetötet zu werden", sagt Charpentier. "Wir konnten feststellen, dass dieser Mechanismus die Bakterien auch vor der Übertragung weiterer Krankheitsfaktoren durch Viren schützt, zum Beispiel bei Antibiotikaresistenzen. Somit könnte CRISPR auch einen alternativen Ansatz zur Bekämpfung von resistenten Krankheitserregern in Kliniken eröffnen."
"Alternativ kann die besondere Förderung des neuen Signalweges bei nützlichen Bakterienstämmen dazu führen, dass Nutzorganismen gegen zerstörerische Viren-Angriffe resistent bleiben und nicht verändert werden. Dies könnte beispielsweise in der Produktion von Molkereiprodukten zum Einsatz kommen, um die Mikroorganismen stabiler zu machen und so die Effizienz des Produktionsprozesses zu steigern", erklärt Charpentier.


Wissenschaftlicher Kontakt
Dr. Emmanuelle Charpentier
The Laboratory for Molecular Infection Medicine Sweden (MIMS) and the Ume&aring Centre for Microbial Research (UCMR)
Ume&aring University
90187 Umeå, Schweden
emmanuelle.charpentier@mims.umu.se
www.mims.umu.se
www.ucmr.umu.se

Publikation
Elitza Deltcheva, Krzysztof Chylinski, Cynthia M. Sharma, Karine Gonzales, Yanjie Chao, Zaid A. Pirzada, Maria R. Eckert, Jörg Vogel & Emmanuelle Charpentier;
CRISPR RNA maturation by trans-encoded small RNA and host factor RNase III.
Nature 31 March 2011.
DOI:10.1038/nature09886
Volltext:
http://www.nature.com/nature/journal/v471/n7340/full/nature09886.html

Rückfragehinweis
Gabriele Schaller
Communications
Max F. Perutz Laboratories
1030 Wien, Dr.-Bohr-Gasse 9
gabriele.schaller@mfpl.ac.at

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/de/image138570
Organismen der Studie Streptococcus pyogenes, auch fleischessende Bakterien oder Streptokokken der Gruppe A genannt, wachsen hier auf Nährmedium

Über das Forschungsprojekt
Die schwedisch-deutsch-österreichische Forschungs-Zusammenarbeit wurde durch den schwedischen Forschungsrat, die Universität Umeå, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung, den österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft und die Europäische Union finanziert.

The Laboratory for Molecular Infection Medicine Sweden (MIMS)
Das Labor für Molekulare Infektionsmedizin Schweden, MIMS, ist der schwedische Teil der nordischen EMBL-Partnerschaft für Molekulare Medizin. Die Erforschung der molekularen Mechanismen von Infektionen und die Entwicklung neuer antimikrobieller Strategien stehen im Fokus der Forschung. MIMS ist Teil des Forschungskonsortiums "Umeå Centre for Microbial Research UCMR".
Weitere Information zum Labor:
www.mims.umu.se

Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB)
Das Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) ist eine interdisziplinäre Einrichtung der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg. Die Forschung konzentriert sich auf die Erreger von Infektionskrankheiten. Die Forschungsschwerpunkte liegen auf der Analyse molekularer Mechanismen der Genregulation in krankheitserregenden Bakterien, Parasiten und Pilzen, sowie Abwehrreaktionen von Wirten.
Informationen zum Institut:
www.infektionsforschung.uni-wuerzburg.de

Max F. Perutz Laboratories (MFPL)
Die Max F. Perutz Laboratories (MFPL) sind ein 2005 gegründetes Joint-Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien am Campus Vienna Biocenter. An den MFPL forschen über 60 Arbeitsgruppen im Bereich Molekularbiologie.
www.mfpl.ac.at

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution84


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Alexander Dworzak, 31.03.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2011