Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → KRANKHEIT


FORSCHUNG/550: Morbus Crohn - neuer Entstehungsmechanismus entschlüsselt (TUM)


Technische Universität München - 23. April 2015

Morbus Crohn: neuer Entstehungsmechanismus entschlüsselt

Bakteriengemeinschaften verursachen Darmentzündung


Morbus Crohn zählt zu den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Bei der Krankheit spielt die genetische Veranlagung eine Rolle - und offenbar auch die Zusammensetzung der Darmbakterien. Was Forscher lange vermuteten, bestätigt erstmals eine Studie im Fachjournal Gut: Bei Mäusen verursacht ein bakterielles Ungleichgewicht im Darm eine Morbus Crohn-typische Entzündung, die sich auf andere Tiere übertragen lässt. Auf dieser Grundlage könnte die bereits praktizierte Transplantation "gesunder" Darmbakterien in Patienten weiterentwickelt und als gängige Therapieform etabliert werden.

Dass die Bakterien - oder Mikrobiota - des Darms an vielen Erkrankungen beteiligt sind, gilt inzwischen als sicher. Dazu gehören neben typischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa auch Diabetes oder Adipositas. Allerdings ist in den meisten Fällen noch unklar, ob das veränderte Darmmikrobiom Ursache oder Folge der Erkrankung ist.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) erbrachten jetzt den Nachweis, dass eine ungünstige Konfiguration der bakteriellen Netzwerke im Darm tatsächlich Entzündungen auslösen. Sie transplantierten dafür das Darmmikrobiom kranker Tiere in keimfreie Mäuse. Diese entwickelten daraufhin Morbus Crohn-spezifische Symptome im Dünndarm.

"Obwohl wir Mausstämme mit erhöhter Veranlagung für Morbus Crohn-ähnliche Entzündungen nutzten, entwickelten sie erst Symptome, als wir ihnen die Darmbakterien erkrankter Tiere einpflanzten", erklärt Prof. Dirk Haller, Leiter des TUM-Lehrstuhls für Ernährung und Immunologie.

Dysbiose als Ursache chronischer Entzündung

Eine wichtige Erkenntnis war, dass die chronischen Darmentzündungen nicht von einzelnen Bakterienarten hervorgerufen wurden. "Es kommt vielmehr auf die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaft an", erläutert Haller. "Offenbar gibt es 'dysbiotische' Bakterienkombinationen, deren charakteristischen Eigenschaften jetzt aufgeklärt werden können."

Außerdem gelang es dem Forschungsteam, die Rolle eines bestimmten Zelltyps in der Dünndarmschleimhaut, der so genannten Paneth-Zellen näher zu beleuchten. Diese Drüsenzellen sind an der Immunabwehr im Darm beteiligt. Schon länger war bekannt, dass diese Zellen bei Morbus Crohn absterben - ob dies die Krankheit oder Dysbiose auslöst, war jedoch nicht sicher.

Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass der Funktionsverlust der Paneth-Zellen eher eine Folge, nicht aber die Ursache der Entzündungsreaktion ist.

Weiterentwicklung einer ungewöhnlichen Therapieform

Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Erkenntnisse die Behandlungsmöglichkeiten für Morbus Crohn erweitern wird. Die Krankheit ist relativ häufig: In Industrieländern erkranken etwa 40 Personen pro 100.000 an Morbus Crohn, in Deutschland geht man von 350.000 Betroffenen aus.

Medikamente können bei vielen Patienten das Leiden nicht dauerhaft bekämpfen. "Bei den meisten Patienten kehren die Entzündungen nach einiger Zeit wieder", sagt Haller. "Stuhltransplantationen sind bei Infektionserkrankungen im Darm bereits ein effektiver Weg zur Heilung. Allerdings zeigt diese ungewöhnliche Therapieform bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa noch keine eindeutigen Therapieerfolge. Unsere Erkenntnisse werden aber dazu beitragen, dass die Methode auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt und verbessert wird - dann könnte es klappen."


Die Studie wurde von der DFG im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1656 und des Programms HO2236/8-1 gefördert sowie von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt.

Publikation:
Dysbiotic gut microbiota causes transmissible Crohn's disease-like ileitis independent of failure in antimicrobial defence; Monika Schaubeck, Thomas Clavel, Jelena Calasan, Ilias Lagkouvardos, Sven Bastiaan Haange, Nico Jehmlich, Martin von Bergen, Aline Dupont, Mathias Hornef, Marijana Basic, André Bleich, Dirk Haller; Gut Published Online First; DOI:10.1136/gutjnl-2015-309333:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25887379

Kontakt:
Prof. Dr. Dirk Haller
Technische Universität München
Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie
dirk.haller@tum.de
www.wzw.tum.de/bflm


Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 500 Professorinnen und Professoren, 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und mehr als 37.000 Studierenden eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, ergänzt um Wirtschafts- und Bildungswissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit einem Campus in Singapur sowie Niederlassungen in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking und S’o Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel und Carl von Linde geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.
www.tum.de

*

Quelle:
Technische Universität München
Arcisstraße 21
80333 München
Telefon: +4989289-01
http://www.tum.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang