Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 27.02.2019
Zellatlas der alternden Lunge
Mit zunehmendem Alter geht die Lungenfunktion zurück und die Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen nimmt zu. Um diese Effekte im Detail zu verstehen, haben Forschende am Helmholtz Zentrum München, Partner im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL), den Alterungsprozess der Lunge auf Ebene einzelner Zellen untersucht und mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet. Nun stellten sie diesen 'Atlas der alternden Lunge' in 'Nature Communications' vor.
Die Lunge ist ein hochkomplexes Organ, in dem eine Vielzahl unterschiedlichster Zellen korrekt zusammenarbeiten müssen, um effizientes Atmen und gleichzeitig Schutz vor Infektionen zu ermöglichen. Wollte man die Lunge eines Menschen mit all ihren Verästelungen auf dem Boden ausbreiten, so bräuchte man rund 70 Quadratmeter Fläche. Wenn man sich nun vorstellt, dass die Zellen ein paar Tausendstel Millimeter klein sind und rund 40 verschiedenen hochspezialisierten Zelltypen angehören, kann man erahnen, wie komplex die Untersuchung von Prozessen ist, die die ganze Lunge betreffen. Doch der technische Fortschritt gibt Wissenschaftlern hier neue Möglichkeiten.
"Für die aktuelle Studie haben wir in einem präklinischen Modell Veränderungen zwischen jungen und alternden Lungen bis runter zur einzelnen Zelle untersucht", erklärt Dr. Herbert Schiller. Er ist DZL-Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Lungenbiologie des Helmholtz Zentrums München und leitete die Studie gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Fabian Theis, Direktor des Instituts für Computational Biology. "Das wurde möglich durch neue Methoden zur Einzelzellanalyse. So konnten wir die Aktivität von Genen in den einzelnen Lungenzellen per Gensequenzierer auslesen und den Veränderungen in den entsprechenden Genprodukten - sprich den Proteinen - zuordnen", erläutert Schiller.* Um all diese Daten sinnvoll zusammenzuführen und interpretieren zu können, verwendete das Team Ansätze aus der künstlichen Intelligenz: "Die schiere Masse der Daten ist für den Menschen schwer auszuwerten. Deshalb entwickeln wir Algorithmen die uns besser die Struktur der Daten und die darin verborgene biologische Steuerung erkennen lassen", so Fabian Theis.
Die Untersuchungen ergaben, dass mit zunehmendem Alter sich die Gene in den Zellen nicht mehr synchron verhielten: "Während in jüngeren Lungen die Zellen eines bestimmten Typs die Aktivität ihrer Gene sehr genau kontrollieren, ist die Genaktivität von älteren Lungenzellen, und damit deren Identität, weniger konstant", so Herbert Schiller. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich mit zunehmendem Alter in jeder Zelle die Epigenetik, also Faktoren auf und um die DNA, individuell verändert und es so zu den unterschiedlichen Genaktivitäten kommt. Zudem konnten sie zeigen, dass in den Lungenzellen mit zunehmendem Alter bestimmte Stoffwechselwege stärker oder schwächer aktiv sind.
Aber auch außerhalb der Zellen ändert sich einiges: "Die sogenannte Extrazelluläre Matrix, also das Proteingeflecht um die Zellen herum, ist im Alter anders aufgebaut", erklärt Schiller. "Dabei kommt es beispielsweise zu einer geänderten Zusammensetzung der als Kollagene bekannten Strukturproteine." Die Erkenntnisse der aktuellen Arbeit möchten die Wissenschaftler nun in Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen im Menschen überprüfen. "Lungenerkrankungen sind weltweit für jeden sechsten Todesfall verantwortlich", schildert Herbert Schiller. "Um ihnen begegnen zu können, müssen wir verstehen, wie sich die Lunge im Laufe des Lebens verändert und an welchen Stellen man möglicherweise therapeutisch eingreifen könnte."
* Konkret wendeten die Wissenschaftler single cell transcriptomics und eine proteomische Massenspektrometrie-Methode an, um Veränderungen in dreißig verschiedenen Zelltypen der Lunge zu messen.
Hintergrund:
Die aktuelle Arbeit ist auch ein Vorreiterprojekt für den Human Cell Atlas
(HCA). Dabei handelt es sich um eine Art Google Maps des menschlichen
Körpers, bei dem alle Zellen und Gewebe zu verschiedenen Zeitpunkten
kartiert werden sollen, um eine Referenzdatenbank zur Entwicklung
personalisierter Medizin zu schaffen. Fabian Theis ist hier federführend
beteiligt und Herbert Schiller widmet sich im HCA Konsortium speziell den
Aspekten rund um die Lunge und hat auch das entsprechende Kapitel im
Weißpapier für den Human Cells Atlas mitgeschrieben. Im nächsten Schritt
müssen die entsprechenden Daten nun für menschliche Zellen erhoben werden,
um sie in das Projekt einfließen zu lassen und einen Fortschritt für
Grundlagen- und angewandte Forschung zu erzielen. "Unsere Arbeit bietet
die erste Datengrundlage für Lungenzellen von solch einer Größe", erklärt
Herbert Schiller. Um sie der Community zur Verfügung zu stellen, haben die
Wissenschaftler ein Webtool gebaut, mit dem Fachkollegen die Daten frei
zugänglich nachvollziehen können:
https://theislab.github.io/LungAgingAtlas
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für
Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose,
Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes
mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht
es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der
Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das
Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist
Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 19
naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000
Beschäftigten angehören.
www.helmholtz-muenchen.de
Das Institut für Lungenbiologie (ILBD) gehört dem Comprehensive Pneumoloy
Center (CPC) an, einem Zusammenschluss des Helmholtz Zentrums München mit
dem Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und
den Asklepios Fachkliniken München-Gauting. Das CPC verfolgt einen
translationalen Forschungsansatz um neue präventive, diagnostische und
therapeutische Strategien für chronische Lungenerkrankungen zu entwickeln.
Das iLBD führt mit der Untersuchung der Pathomechanismen von
Lungenerkrankungen mit zellulären, molekularen und immunologischen
Methoden den Schwerpunkt der experimentellen Pneumologie an. Das CPC ist
einer von fünf Standort des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL).
www.helmholtz-muenchen.de/ilbd/index.html
Das Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL) ist ein nationaler Verbund,
der Experten auf dem Gebiet der Lungenforschung bündelt und
Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung verzahnt.
Standorte sind Borstel/Lübeck/Kiel/Großhansdorf, Gießen/Marburg/Bad
Nauheim, Hannover, Heidelberg und München. Ziel des DZL ist es, über einen
neuartigen, integrativen Forschungsansatz Antworten auf offene Fragen in
der Erforschung von Lungenkrankheiten zu finden und damit einen
wesentlichen Beitrag zur Verbesserung von Prävention, Diagnose und
Therapie zu leisten.
http://www.dzl.de/index.php/de
Originalpublikation:
Angelidis, I. & Simon L.M. et al. (2019): An atlas of the aging lung
mapped by single cell transcriptomics and deep tissue proteomics. Nature
Communications
DOI: 10.1038/s41467-019-08831-9
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 27.02.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2019
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