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AIDS/743: HIV/AIDS-Kommunikation in Afrika - Linguistische Fallstudien der Uni Bayreuth (idw)


Universität Bayreuth - 25.05.2009

HIV/AIDS-Kommunikation in Afrika

Linguistische Fallstudien der Bayreuther Romanistik


Die Auseinandersetzung mit HIV/AIDS stellt in traditionsverhafteten Gesellschaften Afrikas eine besondere Herausforderung dar. Am Beispiel von Burkina Faso befassen sich Fallstudien der Bayreuther Romanistik mit den sprachlichen und kulturellen Aspekten einer auf Prävention abzielenden Kommunikation. Dabei geht es u.a. um die Frage, wie Emotionen und Tabus ineinander greifen und in Ausbildungskursen für diejenigen Personen wirksam werden, die als Multiplikatoren für medizinische und präventionsbezogene Kenntnisse tätig werden sollen. Empirisch-linguistische Gesprächsanalysen tragen dazu bei, wesentliche Voraussetzungen einer erfolgreichen HIV/AIDS-Kommunikation bewusst zu machen.

Bayreuth (UBT). Aufklärung hat in den am stärksten von HIV/AIDS betroffenen Ländern Afrikas höchste Priorität. Für die traditionsverhafteten Gesellschaften Afrikas stellt die Auseinandersetzung mit dieser Krankheit, die an fundamentale, durch Tabus geschützte menschliche Lebensbereiche rührt, eine besondere Herausforderung dar. Professorin Dr. Martina Drescher, Romanistin und Sprachwissenschaftlerin an der Universität Bayreuth, befasst sich seit mehreren Jahren mit Kommunikationsprozessen, die unter diesen kulturellen Voraussetzungen medizinisches Wissen über HIV/AIDS vermitteln. Zu dieser Thematik hat sie erneut einige Forschungsarbeiten veröffentlicht.


HIV/AIDS-Prävention in Burkina Faso

Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht die auf Prävention abzielende Gesundheitserziehung in Burkina Faso, einem westafrikanischen Binnenland, das bis 1960 französisches Kolonialgebiet war. Nach den Schätzungen von UNAIDS sind gegenwärtig 2,7% der rund 13 Millionen Einwohner mit dem HI-Virus infiziert. Aufklärungsinitiativen finden zu einem großen Teil in der Amtssprache Französisch statt. Angesichts der mehr als 60 lokalen afrikanischen Sprachen, die in Burkina Faso gesprochen werden, ist das Französische ein unentbehrliches überregionales und interethnisches Verständigungsmittel.

Ein besonders aufschlussreiches Feld für die Untersuchung von kommunikativen Prozessen im Bereich der HIV/AIDS-Prävention bilden Ausbildungskurse für Personen, die später in ihrem jeweiligen sozialen und ethnischen Umfeld als Multiplikatoren wirken sollen. Diese so genannten "Peer Educators" dienen nicht nur als Rollenmodell, sondern sie sollen auch ihr medizinisches Wissen und ihre Kenntnisse bezüglich geeigneter Präventionsmaßnahmen aktiv weitergeben. In der Regel sprechen sie eine umgangssprachliche lokale Form des Französischen, während ihre Ausbilder ein eher standardnahes Französisch verwenden. Verständigungsschwierigkeiten sind daher nicht selten. Dennoch ist das Standardfranzösische als Medium des Wissenstransfers vorteilhaft: Zum einen stellt es eine hinreichend differenzierte Begrifflichkeit für die Erklärung biomedizinischer Zusammenhänge zur Verfügung; und zum anderen erleichtert der Abstand, der mit der Verwendung einer anderen als der eigenen Muttersprache einhergeht, ein offeneres Sprechen über tabubeladene Themen.


Im Spannungsfeld zwischen Emotion und Tabu

Die Frage, wie Emotionen und Tabus ineinander greifen und dabei kommunikative Prozesse in den Ausbildungskursen beeinflussen, bildet einen Schwerpunkt in den Arbeiten von Professorin Drescher. Gespräche zwischen Ausbildern und den künftigen "Peer Educators" wurden von ihrem Forscherteam mit Video aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht. Die so erhobenen Daten wurden dann im Detail analysiert - und zwar sowohl mit empirisch-linguistischen Methoden als auch in Hinblick auf neuere theoretische Konzepte aus der Tabuforschung. Zentral ist dabei der Gedanke, dass Tabus nicht bloß als vorab bestehende Verbote aufzufassen sind, sondern als das Ergebnis des sprachlichen und kommunikativen Handelns der an einem Gespräch beteiligten Personen. Diese handeln gleichsam miteinander aus, was in der gegebenen Situation ein Tabu darstellt und was nicht. Und sie verdeutlichen sich dies auch und gerade im Medium der Sprache.

Das Hauptinteresse gilt daher dem sprachlichen Umgang mit "heiklen" Themen wie Sexualität und Krankheit. Dabei richtet sich das Augenmerk einerseits auf die sprachlichen Ausdrucksformen und andererseits auf typische Gesprächsstrategien. Diese lassen vorsichtige Rückschlüsse auf mögliche emotionale Reaktionen beim Reden über Tabus zu. Dabei muss die Interpretation sprachlicher Phänomene - wie z.B. die Verwendung von Euphemismen, unspezifischen Pronomina oder Ausdrücken der Vagheit - grundsätzlich deren Einbettung in den jeweiligen Gesprächskontext mit seinen kulturellen Prägungen und sozialen Normen berücksichtigen.


HIV/AIDS-Kommunikation als interkultureller Prozess

Solche Fallstudien sind, wie Professorin Drescher hervorhebt, von hoher praktischer Relevanz. Zwar spricht vieles dafür, dass die Behandlung von Themen wie Sexualität und Krankheit im Rahmen von HIV /AIDS-Präventionsprogrammen deutlich erleichtert wird, wenn emotionale und irrationale Aspekte ausgeblendet werden. Aber ebenso stützen neuere Forschungen die Annahme, dass diese Programme ihre angestrebte Wirkung verfehlen, wenn sie sich auf einen rational ausgerichteten Wissenstransfer beschränken und die emotionale Dimension dauerhaft ausblenden. Denn als Multiplikatoren sollen die "Peer Educators" ihr Wissen und ihre dadurch veränderten Gewohnheiten in den jeweiligen lokalen Kontext so hineintragen, dass sie möglichst nachhaltige Veränderungen im Sexualverhalten auslösen. Dies erreichen sie aber nur dann, wenn sie ihr Kommunikationsverhalten auf die lokalen sprachlichen Normen und die kulturellen Prägungen ihrer Zielgruppen abstimmen. Auch die emotionale Seite des menschlichen Verhaltens ist dabei nicht zu vernachlässigen. Die "Peer Educators" stehen damit vor der Herausforderung, einen komplexen und zudem interkulturell geprägten Prozess des Wissenstransfers zu gestalten. Empirisch-linguistische Gesprächsanalysen tragen dazu bei, diese Voraussetzungen einer erfolgreichen HIV/AIDS-Kommunikation bewusst zu machen.


Kontakt für weitere Informationen:
Professorin Dr. Martina Drescher
Universität Bayreuth
Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät
Lehrstuhl für Romanische und Allgemeine Sprachwissenschaft
D-95447 Bayreuth
E-Mail: Martina.Drescher@uni-bayreuth.de

Titelaufnahmen:
Drescher, Martina (im Druck):
Contextualizing local knowledge. Reformulations in HIV/AIDS prevention in Burkina Faso.
In: Higgins, Christina / Norton, Bonny (ed.), Applied linguistics in the field: Local knowledge and HIV/AIDS, Multilingual Matters, Clevedon.

Drescher, Martina (2008a):
La reformulation dans la prévention contre le VIH/Sida: l'exemple du Burkina Faso.
In: Schuwer, Martine / Le Bot, Marie-Claude / Richard, Elisabeth (ed.),
Pragmatique de la reformulation. Types de discours - Interactions didactiques.
Presses Universitaires de Rennes, Rennes, 39-54.

Drescher, Martina (2008b):
Im Spannungsfeld von Emotion und Tabu: Das Beispiel der HIV/AIDS-Prävention in Burkina Faso.
In: Bulletin Suisse de Linguistique Appliquée (VALS-ASLA) 88, 115-141.

Drescher, Martina (2007):
Global and local alignments in HIV/AIDS prevention trainings: A case study from Burkina Faso.
In: Communication & Medicine 4-1, 3-14.

Drescher, Martina / Klaeger, Sabine (eds.) (2006):
Kommunikation über HIV/Aids. Interdisziplinäre Beiträge zur Prävention im subsaharischen Afrika.
LIT Verlag, Münster.

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:

• http://idw-online.de/pages/de/image92163
HIV/AIDS-Kommunikation in Burkina Faso: Plakat in der Hauptstadt Ouagadougou im Rahmen einer Aufklärungs- und Präventionskampagne.

• http://idw-online.de/pages/de/image92164
Eingangsbereich der Geschäftsstelle der nicht-staatlichen Organisation PROMACO (Projet de Marketing Social des Condoms) in Ouagadougou.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution4


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 25.05.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2009