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DIABETES/1421: Schadet ein zu niedriger Blutdruck? (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Freitag, 10. Dezember 2010

Diabetes: Schadet ein zu niedriger Blutdruck?


fzm - Menschen mit Diabetes müssen nicht nur auf den Blutzucker achten. Auch ihr Blutdruck ist häufig erhöht. Bisher rieten Ärzte Diabetikern zu einer besonders strengen Kontrolle des Blutdrucks. Der Nutzen wurde kürzlich durch neue Studienergebnisse in Frage gestellt. Ein Experte warnt in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010) jedoch vor Missverständnissen. Denn nur wenige der Diabetespatienten erreichen die geänderten, weniger strengen Zielblutdruckwerte.

Acht von zehn Menschen mit Diabetes haben einen erhöhten Blutdruck, berichtet Professor Dr. med. Ulrich Kintscher vom Center for Cardiovascular Research an der Berliner Charité. Für die Patienten bedeutet dies eine zusätzliche Gefahr für die Gesundheit. Der hohe Blutdruck setze sie mehr als andere Menschen dem Risiko aus, an Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzschwäche oder Gefäßverkalkung zu erkranken und zu sterben, warnt der Experte. Deshalb wurde Diabetikern geraten, den oberen Blutdruckwert durch Medikamente auf unter 130 mm Hg zu senken. In diesem Jahr wurde nun eine große nordamerikanische Studie mit mehr als 4700 Teilnehmern veröffentlicht, in der eine intensive Blutdruckbehandlung nicht die erhoffte Wirkung erzielte. Obwohl der obere Blutdruckwert in der sogenannten ACCORD-Studie - die Abkürzung steht für Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes - auf unter 120 mm Hg gesenkt wurde, ging die Zahl der Herzkreislauferkrankungen nicht zurück. Die nachträgliche Auswertung einer früheren Studie (INVEST) kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Professor Kintscher: Eine "strenge" und eine "normale" Blutdruckkontrolle unterscheiden sich nicht.

Die Deutsche Hochdruckliga - ein Gremium von Experten, das Leitlinien für Ärzte erstellt - hat im September 2010 die Konsequenz gezogen und einen neuen Zielkorridor für Diabetiker aufgestellt: Der obere, so genannte systolische Blutdruckwert sollte zwischen 130 und 139 mm Hg liegen. Beim unteren oder diastolischen Blutdruck sei ein Wert zwischen 80 und 85 mm Hg anzustreben, wobei das Ziel der Blutdruckeinstellung im unteren Bereich dieser Werte liegen sollte. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) hat aufgrund der ACCORD- und weiterer Studienergebnisse ihre Empfehlungen für Diabetiker bereits im März 2010 aktualisiert und empfiehlt einen Zielblutwert von 130-140/80-85 mm Hg, wobei 130/80 mm Hg weiterhin optimal sei.

Für die meisten Diabetiker ändert sich durch die neue Empfehlung nichts, stellt Professor Kintscher fest. Denn die strengeren Zielwerte wurden in der Vergangenheit nur von den wenigsten Zuckerkranken erreicht. Da unter der Therapie oft beide Blutdruckwerte sinken, kann es zu einem zu starkem Abfall des diastolischen Blutdrucks kommen. Professor Kintscher: Werte unter 75 mm Hg sollten vermieden werden, da sie die Durchblutung des Herzmuskels beeinträchtigen. Die feinen Äste der Herzkranzgefäße, die den Herzmuskel mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen, werden nämlich nur in der Zeit zwischen den beiden Herzschlägen, der Diastole, ausreichend durchblutet. Ein zu starker Abfall könnte deshalb die Anfälligkeit für Herzinfarkte erhöhen. Für Professor Kintscher ist dies eine mögliche Erklärung für die Ergebnisse der Studien.


U. Kintscher:
Neue Zielblutdruckwerte in der antihypertensiven Therapie diabetischer Patienten?
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2010; 135 (48): S. 2417-2419


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Quelle:
FZMedNews - Freitag, 10. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2010