Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

KREBS/883: Brustkrebs und Sexualität (welt der frau)


welt der frau 12/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

BRUSTKREBS UND SEXUALITÄT
Anders lieben

Von Michaela Herzog


Ein erfüllendes Liebesleben ist möglich, auch wenn mit dem Ausbruch der Krankheit Brustkrebs ein massiver Einschnitt in die Sexualität eines betroffenen Paares passiert ist.


Katharina(*) hat fünf von acht Chemotherapiezyklen, die sie im Abstand von drei Wochen erhält, bereits hinter sich. Seit der Diagnose Brustkrebs konzentriert sich die Mutter von zwei kleinen Kindern gemeinsam mit ihrem Mann Georg(*) auf das Bewältigen dieser massiven Lebenskrise. "Ich will gesund werden." Alles andere ist in den Hintergrund getreten. Auch das Sexualleben, das dem Paar all die Jahre sehr wichtig gewesen ist.


Zu viele Fantasien

Die Brüste einer Frau gelten als Symbol für Weiblichkeit und Sexualität. Wenn sie aber zum Ort der Krankheit werden, was bedeutet das für die Betroffenen? "Das ist tatsächlich eine unglaubliche Herausforderung für Paare", bestätigt die Wiener Psychoonkologin und Psychotherapeutin Dr.in Gabriele Traun-Vogt, "da so viele Gefühle mit der weiblichen Brust verbunden sind wie mit keinem anderen Körperteil." Als sekundäres Geschlechtsorgan ist die Brust häufig mit Scham besetzt und wird mit Schuld in Verbindung gebracht. Viele von Brustkrebs betroffene Frauen machen sich Vorwürfe wie "Hätte ich damals nicht" oder "Weil mir die Brust in der Sexualität immer so wichtig war". Der Ausbruch von Brustkrebs setzt viele Fantasien frei, die nicht aufkommen, wenn Krebs an Stellen des Körpers ausbricht, die nichts mit Sexualität zu tun haben. "Frauen haben das Gefühl: 'Da trifft mich etwas so Furchtbares', und versuchen verzweifelt Antwort auf das Warum zu finden." Traun-Vogt weiß, dass aus einem sehr traditionell katholischen Verständnis immer noch die Ängste auftauchen, Krankheit als Strafe Gottes zu begreifen. Die Idee, Krebs und speziell Brustkrebs als rein psychosomatische Krankheit zu verstehen, ist zwar mittlerweile wissenschaftlich verworfen, sie geistert aber dennoch in vielen Köpfen herum. Was belastet, stresst, deprimiert so sehr, dass Brustkrebs die Folge ist? "Niemand hat Schuld am Ausbruch von Brustkrebs, der von einem noch weitgehend unerforschten Zusammenspiel von Faktoren ausgelöst wird", stellt die Psychotherapeutin klar.


Angriff auf die Psyche

Mit der Diagnose Brustkrebs entsteht für eine Frau eine hochemotionale Lebenssituation. Wenn die Behandlung beginnt, übernehmen die meisten Männer die Rolle des Unterstützers, des Helfers, des Familienkoordinators und des Beschützers, der mit seinen Bedürfnissen klar hinter die seiner Frau zurücktritt. Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie stehen im Mittelpunkt. "Frauen sind während der Behandlungszeit müde, vermindert belastbar, ziehen sich meist zurück und verschließen sich vor einem aktiven Sexualleben", weiß Gabriele Traun-Vogt, die seit Jahren Brustkrebspatientinnen und ihre Partner durch alle Stadien der Krankheit begleitet. Sich für ihren Mann zu öffnen, bedeutet für kranke Frauen eine totale Überforderung. Diese Reaktion akzeptieren Männer bis zu dem Zeitpunkt, wo es "nur" noch um Rekonvaleszenz geht, wo es "nur" noch um das Einnehmen von Tabletten geht. Wie zum Beispiel bei der antihormonellen Therapie, die dem weiblichen Körper die Hormone Östrogen und Gestagen entzieht, um die an einem hormonsensiblen Tumor erkrankte Frau vor dem Wiederauftreten zu bewahren. Damit werden Frauen abrupt in die Menopause mit allen möglichen Begleiterscheinungen versetzt. "Für erkrankte Frauen bedeutet es viel Überwindung, dem Partner ihre Lustlosigkeit und ihr Desinteresse begreifbar zu machen, wenn sie bis dahin nie darüber gesprochen haben." Gabriele Traun-Vogt beobachtet immer wieder, dass in Partnerschaften die Routine, über Lust und sexuelle Wünsche zu sprechen, häufig fehlt.


Wie jetzt an Sex denken?

Katharina hat nicht nur ihre Haare auf dem Kopf und am ganzen Körper verloren, sondern auch ihre Lust auf Sex. Es ist ihr nicht möglich, mit ihrem Mann zu schlafen. Zu eng, zu viel, zu nah. Überfordert zieht sie sich zurück. Wie kann Georg nur jetzt an Sex denken? Seine Annäherungsversuche weist sie erschöpft zurück. Dabei fühlt sie sich total unverstanden, einsam und traurig.

Je ambulanter die Behandlung abläuft, desto schwieriger wird es für Männer, das Fehlen von Sexualität zu tolerieren. "Nicht, weil Männer sozusagen sexsüchtige Monster sind, sondern weil über die Sexualität auch Zusammengehörigkeit, Nähe, Intimität und Zärtlichkeit gelebt werden, für die es bei manchen Paaren keine andere Ausdrucksmöglichkeit gibt." Männer, weiß die Psychotherapeutin Traun-Vogt, fühlen sich irgendwann zu kurz gekommen. Ihnen fehlt nicht nur der Sex, sondern die Zuwendung, Aufmerksamkeit und Körperlichkeit der Partnerin. Zu wenig wahrgenommen zu werden, macht viele Männer müde und erschöpft.


"Ich will dich so, wie du bist"

Obwohl Georg nichts ungeduldig fordern will, fühlt er sich von seiner Frau Katharina total zurückgewiesen. Er hat Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit. Eigentlich will er seiner Frau zeigen: "Ich akzeptiere dich so, wie du bist. Ich schrecke nicht davor zurück, dich zu berühren."

Sehr viele Paare wünschen sich, dass ihr Sexualleben wie vor der Diagnose funktioniert. Doch die gravierende Erfahrung der Brustkrebserkrankung und der Behandlung danach kann nicht spurlos am Leben als Paar vorbeigehen. Die gewohnte, vertraute Sexualität eines Paares ist abrupt unterbrochen. Wie lassen sich die Unbefangenheit im Liebesleben und die spontane Lust wieder entdecken? "Ein Paar muss sich in einer 'neuen' Normalität - wenn die Operation vorbei ist, die erste Chemotherapie abgeschlossen ist - wieder finden." Da wäre das Angebot von behandelnden ÄrztInnen, über Sexualität, eventuelle Probleme und vor allem über Schwangerschaftsverhütung zu reden, sehr hilfreich, betont Traun-Vogt, "da allen Frauen, die im Alter sind, noch Kinder zu bekommen, von hormoneller Verhütung abgeraten wird." Alternativen sind Spirale und Kondome, die aber eine Kooperationsbereitschaft des Mannes voraussetzen. Eine Eileiter- oder Samenleiterunterbindung fordert von einem Paar, sich mit der tief gehenden Frage nach dem Kinderwunsch, der in direktem Zusammenhang mit der Krankheitsprognose und Lebenserwartung steht, auseinanderzusetzen.


Auf die innere Stimme hören

Katharina will ihrem Mann Georg die verheilende Wunde zeigen, obwohl sie sich unsicher und ängstlich fühlt. Wie wird er reagieren? Wird er ihr zu nahe kommen? Die operierte Brust ist nun die am meisten verletzte und schmerzvollste Stelle des Körpers. Das Selbstbild und das Selbstbewusstsein einer Frau können sehr schwer irritiert sein. "Traue ich mir Sexualität zu? Viele Frauen schaffen es ganz schwer, nach einer Krebsoperation ihre Brust anzuschauen. Oder den Narbenbereich zu berühren, ihn liebevoll mit einer heilenden Salbe zu massieren." Einen guten Umgang mit dem ganzen Körper zu finden, der durch Chemotherapie in Mitleidenschaft gezogen ist, bedeutet einen wichtigen Akt der Selbstfürsorge, so Traun-Vogt. "Das heißt, ich beginne mich wieder auf meinen operierten oder amputierten Körper als sexuellen Körper einzulassen. Indem ich ihn zuerst alleine, Schritt für Schritt, wieder zu erobern versuche und erst dann den Partner mit einbeziehe."


Sich neu finden

Im gemeinsamen Gespräch erkennt Katharina, dass sie das Angebot ihres Mannes auf Nähe ablehnen darf, ohne dass er sich beleidigt oder verletzt fühlt. Beide sind Suchende auf dem Weg, was ihnen gefällt, was ihnen guttut. In Worten und Handlungen. Das gibt ihr die Sicherheit, darauf zu reagieren, wenn sie sich in der Lage fühlt, sich Georg liebevoll und erotisch zuzuwenden.

"Für Brustkrebspatientinnen ist das Invasive, das Eindringende in der Sexualität kaum zu ertragen. Frauen müssen sich schützen vor zu viel Eindringendem, das die onkologische Behandlung mit sich bringt." Traun-Vogt versucht, Paare an Erfahrungen von früher zu erinnern und die Fantasie für andere Perspektiven zu öffnen, die nichts mit Eindringen zu tun haben. "Wichtig ist, extreme Zuschreibungen - wie Frauen sind arm und krank, Männer sind bedürftig und fordern - anders zu definieren." Die Therapeutin ermutigt Männer zu sagen: "Ich bin und bleibe an dir interessiert. Dass du Narben hast, keine Haare hast, dass es Einschränkungen gibt, dass du müde bist, sind für mich keine Gründe, dass ich dir nicht nahe sein möchte." Gleichzeitig bestärkt sie Frauen, die werbenden Angebote auch ablehnen zu dürfen. "Sie sollen sich nicht gezwungen fühlen, ihrem Mann etwas zuliebe zu tun, sondern können zum passenden Zeitpunkt auf das liebevolle Angebot zurückkommen." Paare können aus dieser emotionalen Sackgasse herausfinden. Warum sind die Wünsche eines Mannes okay? Warum ist die Überforderung einer Frau sehr verständlich? Wie kann man das große Bedürfnis nach Gehaltenwerden und Zärtlichkeit, das auf beiden Seiten da ist, lebbar machen?


Lebensmut und Lebensfreude

Gabriele Traun-Vogt ermutigt Paare, selbst wenn die Krankheit fortgeschritten ist und Metastasen aufgetreten sind, ihre Sexualität zu leben, wie es ihnen angenehm ist. "Natürlich hat jede Frau das Recht zu sagen: 'Hiermit ist mein Sexualleben beendet.'" Doch wenn Paare das Gefühl haben, sie wollen ihre Lust aufeinander ausleben, dann gibt es Möglichkeiten, neue Stellungen zu finden und unangenehme Positionen zu vermeiden. Mit dem Ausbruch der Krankheit Brustkrebs verschieben sich meist Prioritäten im Leben eines Paares. "Es kann auch sein, dass Sexualität einen noch bedeutsameren Stellenwert bekommt als vorher. Schließlich geht es den meisten Partnern um eine Begegnung mit dem Menschen, den sie lieben."


(*) Name der Redaktion bekannt

Die Broschüre "Sexualität nach Brustkrebs"
von Dr.in Gabriele Traun-Vogt und Peter F. Herdina
ist erhältlich unter Tel. 0043-(0)1 52 11 5-0 oder
www.pfizer.at/patienten/broschueren/onkologie/broschueren-zum-thema.html


*


Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Dezember 2010, Seite 42-44
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
Redaktion: Welt der Frau Verlags GmbH
4020 Linz, Lustenauerstraße 21, Österreich
Telefon: 0043-(0)732/77 00 01-0
Telefax: 0043-(0)732/77 00 01-24
info@welt-der-frau.at
www.welt-der-frau.at

Die "welt der frau" erscheint monatlich.
Jahresabonnement: 33,- Euro (inkl. Mwst.)
Auslandsabonnement: 41,- Euro
Kurzabo für NeueinsteigerInnen: 6 Ausgaben 10,00 Euro
Einzelpreis: 2,75 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2011