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THERAPIE/336: Wie wirkt prismatische Psychotherapie? (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 150 - Heft 4/15, Oktober 2015
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Die "furzende Schlange" ...
Wie wirkt prismatische Psychotherapie?

Von Alfred Drees


Nachdem ich in der "Sozialen Psychiatrie" mehrere Beiträge zum Thema "Neuroleptika reduzieren" über heutige Probleme beim Einsatz von Psychopharmaka für psychotische Patienten gelesen habe, bin ich verblüfft in meinem 84-jährigen Leben aufgewacht und habe mich entschlossen, über meine Erfahrungen in diesem Bereich vor mehr als dreißig Jahren zu berichten. Sozialpsychiatrische Erprobungen konnte ich in den Siebzigerjahren, im Rahmen meiner psychiatrischen und psychoanalytischen Ausbildung und meiner Tätigkeiten in der Medizinischen Hochschule Hannover, entfalten. Auf diesem Hintergrund konnte ich während meiner anschließenden dreizehnjährigen Chefarzttätigkeit in Duisburg-Rheinhausen sowie in meinen Psychotherapien, Balintgruppen und Beratungsgesprächen eine spezifische Kommunikationsform entwickeln, die "prismatische Psychotherapie". Im Mittelpunkt der Therapien stand die rasche Reduzierung überhöhter Medikation vor allem bei Psychosen. Damit verbunden konnte ich in der Duisburger Klinik alle geschlossenen Stationen öffnen und die Mitarbeiter zur gemeindeorientierten Mitarbeit gewinnen. Außerdem fanden regelmäßige stationsübergreifende Fortbildungsgespräche gemeinsam mit den Patienten statt.

Prismatische Psychotherapie - deutungsfreie Fantasien

Im Rahmen der prismatischen Psychotherapie entsteht ein Möglichkeitsraum, in dem Spannungen, Konflikte und psychische Krankheitszustände prismatisch reduziert werden. Die prismatische Einstellung erweitert die Kompetenz zur Lösung von Leidenszuständen und Konflikten. Sie öffnet den Möglichkeitsraum für sinnliche Resonanz und für deutungsfreie Fantasien.

Sozialphilosophische und psychoanalytische Diskussionen vermitteln seit längerem auch Vorstellungen, mit denen Erlebensbereiche auf ihre sozialen Wurzeln hinterfragt werden können. Unbewusste Triebvorstellungen werden durch soziokulturelle Einsichten ersetzt. Hierbei können sich deutungsfreie Fantasien entfalten. Sie ermöglichen die Vernetzung von unbewussten Programmierungen aus familiären, kulturellen, religiösen und historischen Bereichen. Das beinhaltet, Ängste, Zwänge und Leidenszustände zu reduzieren.

Ich möchte mich der Frage nähern, in welchem Ausmaß unsere Ich-Wahrnehmungen und Ich-Entscheidungen von unbewussten Programmierungen getragen werden. Das Unbewusste, schrieb Sigmund Freud, ähnele "einem Lagerhaus voller verdrängter, explosiver Erfahrung". Das Ich habe dort keinen Platz, sei "nicht Herr im eigenen Haus". Unsere Abhängigkeit von politischen und religiösen Vorstellungen sucht in Beziehungsgefühlen ihren Ausdruck. Wenn wir unsere Einsichten und Ansichten vergleichen mit denen anderer Kulturen, dann müssten wir eigentlich wissen, wie sehr "Wahrheiten" als Ausdruck von kulturellen Bindungen zu verstehen sind. Während fernöstliche Ich-Vorstellungen gemeinschaftsbezogen erlebt werden, gewinnen wir im Westen unsere Identität über unsere beziehungsbezogene Ich-Gewissheit. Diese Einsichten können uns helfen, unsere Ich-Identität sowie unsere Ich-Kompetenz zu erweitern. Indem wir unsere einengenden Beziehungsfixierungen und die darauf aufbauenden Ich-Vorstellungen relativieren, gewinnen wir eine erweiterte Beziehungsfähigkeit sowie eine tolerantere Gesprächskompetenz.

Ich konnte als Psychotherapeut erleben, wie sich über die Relativierung fixierter Ich-Vorstellungen Leidenszustände reduzieren lassen. Während in meiner psychoanalytischen Tätigkeitsphase die unbewussten Triebimpulse meiner Patienten sowie ihre ungelösten familiären Beziehungsprobleme in langwierigen Übertragungsprozessen bearbeitet wurden, gelang es, durch Einsichten in die unbewussten Programmierungen des Ich durch soziale, kulturelle und religiöse Kräfte sowie herkunfts- und historisch bedingte Einstellungen Übertragungsprozesse zurückzulassen und damit den Patienten schneller eine wachsende Ich-Kompetenz zu vermitteln. Vor allem psychotischen Patienten gelingt es nach nur wenigen Sitzungen, ihre psychotischen Einstellungen als Ausdruck ihrer unbewussten Programmierung zu verstehen und damit zu entlasten. Auch gewalttraumatisierte Patienten gewannen auf diesem Weg rasche Entlastungen. Unsere unbewussten Programmierungsinhalte ins Gespräch zu bringen wird ermöglicht durch sinnliche Resonanz sowie durch das Einbringen von deutungsfreien Fantasien. Das beinhaltet eine integrative Vernetzung von naturwissenschaftlichen, hirnphysiologischen und Stressursachen sowie von soziokulturellen Beziehungsmustern und unbewussten Programmierungen. In den vierzig Jahren meiner prismatischen Praxis habe ich in dreizehn Büchern und in über zweihundert wissenschaftlichen Artikeln die Anwendungsvielfalt für neurotische, psychosomatische und psychotische Erkrankungen detailliert beschrieben. Die nachfolgenden Beispiele wurden bereits in diesen Arbeiten veröffentlicht.

Prismatische Vorstellungen stützen sich auf eine Physik, die bereits vor Jahrzehnten Theorien entwickelte, mit denen vor allem im subatomaren Raum logisch kausale Erklärungen zurückgestellt werden können. Bereits die Formel von Einstein e = mc² erschloss neue Einsichten in die Zusammenhänge von Elektrizität, Masse und Geschwindigkeit. Um zu verstehen, wie unterschiedliche Energiebereiche als nicht erklärbare Zwillingsphänomene gesehen werden können, werden damit Antworten im subatomaren Raum gesucht. Therapeuten, die sich intuitiv auf einen Patienten einstellen, öffnen mit deutungsfreien Fantasien, metaphorisch verstehbare unbewusste Programmierungen. Die prismatischen Psychotherapien wurden damit als eine spezifische Ausprägungsform der Quantentheorie in der Psychiatrie verstanden.

In den Anwendungsbeispielen wird gezeigt, wie sich prismatisch die unbewussten Identitätsfixierungen in soziokulturellen Bereichen öffnen und wie sich damit Leidensfixierungen auflösen lassen. Die Erprobung sinnlich-resonanter und intuitiver Einfühlung bei psychotischen Patienten wurde dabei zu einem wichtigen Beleg für die Anwendungsbreite prismatischer Kommunikation mit freien Fantasien, vor allem mit Blick auf die in der Psychiatrie noch vorherrschende Meinung über den Reizschutz für psychotische Patienten. Prismatisch lässt sich jedoch zeigen, dass sie in diesem Zustand häufig nicht in der Lage sind, emotional tragende Beziehungsangebote adäquat zu verarbeiten.

Eine ambulante Entdämonisierung psychotischen Erlebens

Eine 52-jährige Lehrerin, seit vier Jahren wegen psychotischer Schübe pensioniert, ruft mich verzweifelt an. Das Chaos würde erneut in ihr toben. Es drohe sie zu zerreißen. Sie müsse unbedingt mit mir sprechen. Ich akzeptiere und sage ihr, obwohl es bereits spät abends ist, sie möge sofort kommen.

Ich hatte die Patientin längere Zeit nicht gesehen und freute mich auf das Wiedersehen, aber auch auf ihre wenn auch gespannte Beredsamkeit. Die Patientin berichtete, dass sie Massagen von einer psychiatrischen Krankenschwester bekommen habe. Die sei wohl etwas spirituell ausgerichtet. Die Schwester habe ihr gesagt, dass sie bei ihr am Steißbein enorme Verspannungen fühlen würde und dass hier ihre Lebenskräfte gebündelt sein müssten. Die Massage in diesem Bereich habe dann tatsächlich enorme Kräfte in ihr freigesetzt. Beglückende Gefühle seien in ihr aufgestiegen. Sie habe sich wie schwebend erlebt. Am Abend seien dann jedoch enorme Ängste in ihr wach geworden. Es sei so, als würden Schlangen durch ihren Körper kriechen. Und auch hier bei mir fühle sie diese Schlangen. Eine Schlange sei aus ihrem After herausgekommen und krieche auf ihrer Wirbelsäule nach oben.

Ich fühle mich bei dieser Schilderung erstaunlich entspannt, locker und neugierig, wie beim Erzählen eines Märchens. Ich bitte die Patientin schließlich, die Schlange genauer zu beschreiben. Sie schildert mir dann im Einzelnen, die sei schlank und grün. Sie beschreibt mir auf Nachfrage, welch ein Grün, sowie die Form und die Konsistenz der Schuppen. Ich befrage sie nach der Größe des Kopfes und der Farbe der Augen. "Ja, und die schwarzen Augen, welch einen Ausdruck haben sie?" Die Patientin antwortet erstaunt: "Eigenartig, die schauen mich hilflos und erstaunt an." Ich schildere daraufhin der Patientin, welch eine Vorstellung sie inzwischen in mir ausgelöst habe. Ich würde mich erstaunlicherweise damit beschäftigen, ob Schlangen furzen können, ja, wirklich, ob sie furzen können. Ich würde mich dabei fragen, wie Ausscheidungen von Schlangen aussehen, dick oder dünn, hell oder dunkel? Können Schlangen überhaupt furzen? Wir sehen uns beide erstaunt an. "Was soll das, furzende Schlangen?" Diese Frage scheint die Patientin jedoch zu entspannen. Sie lehnt sich in ihrem Sessel zurück und sagt nach einer längeren Pause: "Mein Gott, wenn man all die Mächtigen auf der Toilette sehen könnte und die Schlangen kriechend auf der Erde sich entleeren, dann verlören die ihre unheimlichen Kräfte."

Zwei Tage später berichtet mir die Patientin, dass sie wieder okay sei. Eigenartig, diese furzende Schlange sei wohl ihre Rettung gewesen. Sie kann dabei befreit auflachen. Sie möchte einige Probleme, die dadurch in ihr wach geworden seien, besprechen. Wir suchen dann gemeinsam die verzwickte Wunsch-Angst-Beziehung zu ihrem ehemaligen Schuldirektor, vor Ausbruch ihrer Psychose, zu verstehen und damit verbunden ihre Unfähigkeit, Gefühle zu orten. Sie habe das damals alles nicht auf einen Nenner bringen können: ihre Wünsche nach Akzeptanz, die beschämende Ablehnung, ihr pädagogisches Engagement und ihre Außenseiterrolle. War also die Psychose Ausdruck eines nicht lösbaren Loyalitätskonfliktes? In den nächsten Stunden lässt sich dann ihr symbiotisches Verschmelzungsbedürfnis ansprechen und hierbei die Schlange als ein magisch aufgeladenes Heil, Glück und Verderben bringendes Machtsymbol verstehen.

Ich wollte mit diesem Beispiel zeigen, wie eine psychotische Krise entschärft werden kann und wie sie, von chaotischen Ängsten befreit, Möglichkeiten eröffnet, blockierte Probleme anzusprechen. In einem ersten Schritt wird hierbei versucht, Patienten zu motivieren, ihren augenblicklichen Zustand in einem Bild zu beschreiben. Vor allem Wahninhalte können hierbei bildsprachlich ausgeformt werden. Detailliert sollten dabei Farben und Strukturen sowie der Hintergrund und die Stimmung des Bildes in Worten ausgemalt werden.

Die detaillierte Beschreibung eines Bildes in Worten spielt eine bedeutsame Rolle. Sie ermöglicht die metaphorische Ausfaltung blockierter Wahrnehmungsfelder in unterschiedliche Beziehungszonen. Die Worte gehen durch das Bild hindurch und nehmen seine Elemente und seinen Sinngehalt mit. Sie erschaffen damit distanzierende und gleichzeitig verbindende Betrachtungs- und Kommunikationsorte, die für den Dialogpartner stimulierende Möglichkeiten eröffnen. Die sinnlich getragenen Bildelemente-beschreibenden Worte erzeugen ein spiegelndes Zentrum, in dem aktuelles Erleben und potenziell Mögliches aufleuchten, in dem blockierte Gefühle sich öffnen und transformieren lassen. Es geschieht hier ein erstaunlicher Entfaltungs- und Austauschprozess zwischen sprachlich vermittelten Farbnuancen, Strukturen und Stimmungen eines Bildes auf der einen Seite und der inneren Befindlichkeit eines Menschen auf der anderen. Hierbei lösen sich psychotische wie somatische, aber auch neurotische und Trauma bedingte Fixierungen wie von einem magischen Zauber befreit. Der für mich wichtigste Gedanke hierbei wurde die Einsicht in die Eigenständigkeit eines detailliert mit Worten geschilderten Bildes. Das Bild hat sich mithilfe der Worte abgelöst von seinem Erzeuger. Es hat damit psychotisch andrängendes Erlebnismaterial gestaltend transformiert und dieses damit quasi künstlerisch externalisiert. Es gewinnt damit seine Mehrdeutigkeit, seine Innen- und Außenwelt verbindende und damit seine Fixierungen lösende Funktion. Die bilderreiche Sprache gewinnt eine poetische Kraft, mit der logisches Denken und kausal einengende Erklärungsmuster sich erweitern lassen. Mythologisches Wissen, Fabeln und Märchen, religiöse Metaphern sowie Geschichte und Geschichten leuchten hierbei in ihrer erweiternd verbindenden Gestaltungskraft.

Ein prismatisch-defokussierendes Teamgespräch

Weniger spektakulär ist nachfolgendes Beispiel einer Problemlösung im Team. Es zeigt, wie vertraut bildsprachliche Dialoge ablaufen und wie hiermit blockierende Abwehrhaltungen gelockert werden können Ich möchte eine regelmäßig stattfindende prismatisch-defokussierende Gesprächsrunde für Mitarbeiter der Klinik in Duisburg-Rheinhausen vorstellen. Das Ziel hierbei war vor allem, Einsichten in die farbige Erlebensvielfalt unserer Patienten zu gewinnen, um auf dieser Grundlage Medikamente zu reduzieren und partnerschaftliche Gespräche führen zu können.

Ärgerlich verspannt diskutieren Mitarbeiter einer Station über einen chronisch schizophrenen "Drehtür"-Patienten: Wie und wann können wir diesen penetranten Patienten endlich entlassen? Ein Pfleger versucht, Mitgefühl zu äußern. Als Antwort will man ihm einen Heiligenschein aufsetzen. Ein anderer fragt: "Zu welcher Arbeit können wir diesen müden Kacker endlich motivieren?" In der Gruppe wird Ärger wach. Der hinzukommende Oberarzt vernimmt diese frustrierende Diskussion schon zum x-ten Mal und mobilisiert in sich seine bildsprachlich defokussierende Einstellung. Er sagt: "Was macht dieser zum x-ten Male thematisierte Patient mit uns? Wie erlebe ich das hier? Ich kriege eigenartige Bauchbeschwerden und erlebe mich dabei innerlich wie ausgeleert, wie ausgehöhlt, dabei auf dem Topf sitzend, ohne noch etwas herauszubringen. Ich will versuchen, ein Bild dafür zu finden. Ich sitze irgendwo auf dem Klo und sehe durch das Herzchen in der Toilettentür: Eine alte Scheune mit verrosteten Maschinen und ein verfallenes Bauernhaus. Nur die Toilette ist noch intakt. Aber es ist kalt." Die Stationsschwester fragt ihn daraufhin: "Brauchen Sie da etwas Papier?" Sie löst damit ein erlösendes Lachen aus. Die anschließende Diskussion fokussiert jetzt sachlicher auf die zwanghafte Struktur des Patienten, die ihn erneut vor einem psychotischen Schub schützt, und sucht für diesen "einsamen Kacker" eine beschützte Wohnmöglichkeit.

An diesem Beispiel kann gezeigt werden, wie die fantasievolle Ausformung einer Szene eine lösende Funktion gewinnen kann. Im Vergleich zu anderen imaginativen Techniken ermöglicht auch hier die detaillierte bildsprachliche Stimmungsschilderung eine Problemlösung. Das Neue besteht darin, dass die Problematik eines Patienten, die sich im Teamkonflikt ihren Ausdruck gesucht hatte, mithilfe sinnlicher Einfühlungsbereitschaft und durch die sprachliche Ausformung eines Bildes humorvoll einer sachlichen Bearbeitung zugeführt werden konnte. Diese ungewohnten Wortspiele verlangen lediglich eine entsprechende Einstimmungs- und Fantasiebereitschaft der Mitarbeiter. In einem prismatischen Einzelgespräch mit einer durch Folter traumatisierten Patientin lässt sich in besonders anschaulicher Weise die defokussierende Funktion der prismatischen Methode veranschaulichen.

Einzelgespräch mit einer gefolterten Patientin

Eine kurdische Studentin, die ein halbes Jahr lang in der Türkei gefoltert wurde, berichtet über massive Beeinträchtigungen durch wechselnde körperliche Beschwerden. Sie beschreibt detailliert ihre Ängste, auf die Straße zu gehen, ihre nächtlichen Panikzustände und ihre Abwehr gegen sexuelle Kontakte zu ihrem Verlobten. Sie sitzt abwehrend und völlig verspannt vor mir und spricht kein Wort Deutsch. Über eine Dolmetscherin, die bereit ist, sich in die sinnliche und Fantasiearbeit einzulassen, gelingt es, schreckliche Erlebnisschilderungen der Patientin mit einer Vielfalt unterschiedlicher Fantasien anzureichern. Verblüfft erlebte ich dabei, wie in mir, nachdem ich mich, sinnlich-intuitiv orientiert, dem empathischen Sog gemeinsamer Verzweiflung zu entziehen vermochte, eine tragende Stimmung in mir wach wurde. Ich erlebte, wie in einer von der Patientin geschilderten besonders grausamen Szene in mir eine herrliche Gebirgslandschaft mit weißen Vögeln am wolkenlosen Himmel wach wurde. Ich schilderte der Patientin meine veränderte Stimmung und das eigenartige Bild, das sie in mir ausgelöst habe. Damit veränderte sich die Stimmung augenblicklich. Die verspannte Haltung der Patientin löste sich, und sie berichtete erstaunt und beglückt von einer Gebirgswanderung mit ihrer Schwester, die viele Jahre zurücklag. Hiermit und hiernach gelang es, blockierte prätraumatische Erlebensbereiche wachzurufen und damit gesunde Ressourcen der Patientin zu mobilisieren, mit denen sich dann Foltererlebnisse entemotionalisieren und damit eingrenzen ließen. Ich lernte hierbei, wie kreative Ressourcen eines Patienten sich im Therapeuten wachrufen lassen und wie damit Patienten einen Zugang zu ihren prätraumatischen Erlebnisfeldern zurückgewinnen können.

Ich war überrascht, wie gut prismatisches Kommunizieren auch bei gefolterten Patienten möglich und sinnvoll ist. Traumatische Erlebnisse lassen sich dabei wachrufen, ohne quälende Retraumatisierungen und ohne die notwendige Selbststeuerung des Patienten zu gefährden. Ich selbst fühlte mich abschließend erstaunlich entspannt. Ganz anders als bei vorher laufenden Versuchen mit vergleichbaren Patienten, bei denen ich mich empathisch in die grauenhaften Erlebnisse einzufühlen suchte. Darüber hinaus ist es für Patient und Therapeut entlastend, diese Arbeitsmethode einzubetten in eine sachliche Besprechung aktueller Probleme. Als ebenfalls hilfreich und notwendig sehe ich dabei die klare politische Stellungnahme des Therapeuten gegen Machtmissbrauch und Folter.


Prof. Dr. Alfred Drees ist Psychiater und Psychoanalytiker in privater Praxis von 1982 bis 1995 war er Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Duisburg-Rheinhausen. Für seine gemeindeorientierten sozialpsychiatrischen Tätigkeiten erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Kontakt:
E-Mail: prismatisieren@t-online.de
Internet:www.alfred-drees.de

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 150 - Heft 4/15, Oktober 2015, Seite 44 - 46
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2015

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