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INTERVIEW/022: Der Entnahmediskurs - Außen vor und mitten drin, Gespräch mit Prof. Dr. Ralf Stoecker (SB)


Interview am 14. September 2013 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) in Bielefeld



Ralf Stoecker lehrt Praktische Philosophie an der Universität Bielefeld und hat unter anderem auf dem Forum Bioethik des Deutschen Ethikrates im März 2102 in die Debatte um die Entnahmekriterien der Transplantationsmedizin eingegriffen. Im Anschluß an den von Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert und ihm initiierten Workshop "The Importance of Being Dead - The Dead Donor Rule and the Ethics of Transplantation Medicine" [1], der vom 12. bis 14. September am Bielefelder ZiF stattfand, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Ralf Stoecker
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Stoecker, obgleich der Workshop im wesentlichen eine bioethische Debatte um die Transplantationsmedizin betraf, fiel auf, daß keine ausgesprochenen Kritiker der Transplantationsmedizin, die den Hirntod nach wie vor kritisieren, zugegen waren. Nach welchen Kriterien wurde die Auswahl der Referenten getroffen?

Ralf Stoecker: Im Grunde genommen sollte ein klar umschriebenes Problem erörtert werden, das Frank Miller bezeichnenderweise "Crisis in the Ethics of Vital Organ Donation" genannt hat. In meinem Vortrag habe ich versucht, dieses Dilemma zu beschreiben, nämlich daß die alte Konzeption vom Hirntod, die die Grundlage für die Organexplantation bildet und gleichzeitig einen gut begründeten Todeszeitpunkt benennt, schlicht nicht mehr haltbar ist. Wir waren daher sehr froh, daß wir Alan Shewmon für einen Vortrag gewinnen konnten, zumal Robert Veatch ihn in seinem Abschlußvortrag als jemanden würdigte, der praktisch im Alleingang die medizinischen Grundlagen der Hirntodkonzeption zerstoben hat. Die zweite Strategie, die wir bei den Einladungen verfolgt hatten, war die Internationalität, wobei man einen Workshop in dieser Größenordnung natürlich nicht wirklich international gestalten kann, weil ansonsten andere wichtige Gesichtspunkte unter den Tisch gefallen wären.

Mit dem Schwerpunkt USA haben wir wenigstens noch Referenten aus der Schweiz und Spanien dabei gehabt. Der Workshop sollte außerdem interdisziplinär sein. Allerdings haben wir mit unseren Einladungen bei den Medizinern viele Absagen erhalten. Daher sind wir sehr froh, daß mit Hartmut Schmidt und Eckhard Nagel zwei Mediziner vorgetragen haben, auch wenn sich beide aus terminlichen Gründen nur auf einen Kurzaufenthalt einlassen konnten. Bei den anderen sind wir völlig abgeblitzt, was schade ist, denn die Vorträge der beiden Mediziner haben gezeigt, daß man mehr Brücken zur Verständigung bauen müßte. Um so erfreuter sind wir, daß aus den Bereichen Philosophie und Recht sehr wichtige Vertreter gekommen waren. Unter den Philosophen waren sogar die absoluten Big Shots aus den USA dabei, wie zum Beispiel Veatch. Es ist keineswegs selbstverständlich, jemanden zu bekommen, der damals bei der Harvard-Kommission mit am Tisch gesessen hat. Veatch war für den Workshop ausgesprochen wichtig, wie übrigens auch Miller, der zusammen mit Robert Truog ein bahnbrechendes Buch geschrieben hat, in dem die ganze Debatte vor ein paar Jahren zusammengefaßt und dargestellt wurde. James Childress ist einer der renommiertesten Bioethiker der Welt. Daß sie auf dem Workshop waren und damit der Diskussion Niveau gaben, weil sie auf der Höhe des aktuellen Diskurses stehen, ist für sich genommen schon ein großer Gewinn gewesen.

Auch in Deutschland haben wir eine ganze Reihe von Leuten wie Claudia Wiesemann und Dieter Birnbacher, die in den letzten Jahren wesentliche Beiträge zugesteuert haben. Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Philosophie wurde zu diesem Thema in Deutschland über einen langen Zeitraum eine ziemliche Separat-Diskussion geführt. Es war auf jeden Fall nicht so, daß internationale Fachleute dauernd in den Debatten präsent waren. An der Art, wie die Diskussionen zur Hirntodthematik in den 90er Jahren geführt wurden und auch jetzt wieder geführt werden, erkennt man, daß die Deutschen meistens unter sich bleiben. Deswegen war es uns wichtig, eine Verbindung zum internationalen Diskurs herzustellen. Es wird sich zeigen, ob uns das gelungen ist. Natürlich wollten wir durch die geballte Prominenz aus verschiedenen Bereichen auch einen Anstoß dazu geben, diese Diskussion ernst zu nehmen und auch weiterzuführen.

Was die Kritiker angeht, so haben wir sehr bedauert, daß Vera Kalitzkus, die ein kritisches Buch über den Hirntod geschrieben hat, unsere Einladung nicht wahrnehmen konnte, weil sie im Urlaub ist. In ihrem Buch hat sie genau die richtige Frage gestellt, nämlich, warum wir Probleme damit haben, Organspender zu sein, aber gleichzeitig Organspende für wichtig halten. Genau dieser Konflikt durchzieht die Krise. Auf der einen Seite ist niemand allen Ernstes gegen die Organspende, denn die meisten von uns haben im Freundes-, Bekannten- und Verwandtenkreis irgend jemanden, der Organempfänger ist oder auf ein Organ wartet. Insofern weiß man, was es bedeuten würde, wenn sie kein neues Organ bekommen hätten. Auf der anderen Seite hat man aber das Gefühl, daß es mit der Organtransplantation nicht so einfach ist, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Dies gilt vor allem für die Hirntoddebatte. Von daher wäre Frau Kalitzkus hier genau richtig gewesen, aber es war vielleicht nicht das letzte Mal, daß wir über das Thema reden.

SB: In der Bioethik geht es letztlich um universelle Werte. Wie läßt sich dann die Diskrepanz zwischen einer teuren und wissenschaftlich fortgeschrittenen Elitenmedizin einerseits und einer selbst in Deutschland, aber insgesamt weltweit grassierenden medizinischen Unterversorgung andererseits ethisch rechtfertigen? Wenn schon bei Millionen Menschen die medizinische Basisversorgung kaum gewährleistet ist und die zur Gesundheitsversorgung verfügbaren Mittel an deren Bedürfnissen vorbeigeschleust werden, ist die Frage nach dem allgemeinen Nutzen der Transplantationsmedizin dann nicht legitim?

RS: Ja, aber man kann dabei schnell den Fehler machen, erst die Gesundheitskosten fix zu setzen und dann die Gerechtigkeitsfrage zu stellen. In diesem Zusammenhang wird folgendermaßen argumentiert: Warum soll man viele Hunderttausende für die Lebertransplantation eines 60jährigen Europäers ausgeben, statt damit tausend Leute woanders zu retten? Aber so funktioniert Gerechtigkeit nicht. Wenn man Gerechtigkeit fordert, dann muß man sich auch fragen lassen, warum man die Hunderttausend für eine Transplantations-OP anführt und nicht beispielsweise die Hunderttausend für ein Kunstwerk im Park oder die Hunderttausend, die der Nachbar für seinen Porsche ausgegeben hat.

Mit diesem Denken geht die Gefahr einher, die Kranken gegeneinander aufzurechnen, und das, so glaube ich, darf man nicht tun. Bevor man anfängt zu behaupten, daß Hunderttausend zuviel sind, um einem 60jährigen das Weiterleben zu ermöglichen, muß man sich fragen, wofür man sonst alles Hunderttausend ausgibt. Ich sehe darin einen großen Fehler. Es ist ausgesprochen gefährlich, grundsätzlich Gerechtigkeitsfragen in bezug auf die Behandlung einzelner Patienten zu stellen, weil man dann ganz schnell in solche Triage-Probleme hineinkommt und plötzlich darüber entscheiden muß, wer ein Organ bekommt und wer nicht. Wir sind ein reiches Land und daher sollte jedem geholfen werden, der in existentieller Lebensgefahr oder in großer Not ist. Aus diesem Grund sollte man sich sehr gut überlegen, ob man Kriterien dafür schaffen will, daß dem einen geholfen wird und dem anderen nicht.

SB: Nun findet die Triage im großen und ganzen sozial betrachtet bereits statt. So haben etwa schwarze, nicht krankenversicherte Frauen in den USA kaum die Chance, ein Ersatzorgan zu erhalten. Die Mittelverteilung wird praktisch politisch geregelt. Zwar haben wir auch Mängel in Deutschland, aber ich würde schon gerne den Blick auf andere Weltregionen richten und dabei die Frage stellen, wie ein Philosoph mit dem Anspruch einer letztlich partikulären Interessen unterworfenen Versorgungsstruktur umgeht?

RS: Niemand will das amerikanische Gesundheitssystem übernehmen. Natürlich ist es moralisch ausgesprochen dubios, wenn in einer Gesellschaft nur einzelne aufgrund einer exklusiven Transplantationsmedizin oder sehr teurer Medikamente ein Anrecht auf vollständige medizinische Versorgung haben. Der richtige Weg in den USA wäre - wie es hier zumindest zum großen Teil praktiziert wird -, daß alle ein Anrecht auf ein Organ haben. In Staaten, die man früher Dritte Welt nannte, mit einer deutlich schlechteren Gesundheitsversorgung besteht das Problem nicht in der Lebertransplantation, sondern da geht es um basale Fragen. Die Unterversorgung in diesen Staaten ist für uns ein Problem als Gesellschaft, aber nicht als Gesundheitssystem. Es ist nicht so, daß unser Gesundheitssystem besonders darum besorgt sein muß, daß das Gesundheitssystem in anderen Ländern schlecht ist, sondern es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, Abhilfe für die Not anderer zu schaffen. Um ein beliebiges Beispiel zu nehmen: Unsere Agrarwirtschaft hat nichts damit zu tun, daß die Länder unterschiedlich versorgt sind. Vielmehr hat das etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun und der Art und Weise, wie große Firmen agieren bzw. nicht agieren. Es gibt jede Menge Verantwortung dafür, warum unsere Welt so ungleich in bezug auf Armut und was damit zusammenhängt organisiert ist, aber das ist nichts, was in irgendeiner Weise direkt zu unserem Gesundheitssystem durchschlägt. Es sei denn, unser Gesundheitssystem würde davon profitieren, daß es anderswo in der Welt Armut gibt. Es gibt beispielsweise in der Public Health Beispiele dafür, daß bestimmte Medikamentenprüfungen in die Dritte Welt ausgelagert werden.

Ansonsten würde ich aus ethischer Sicht sagen, daß jeder bei uns den Anspruch hat, daß er in großer gesundheitlicher Not optimale Hilfe bekommt, unabhängig davon, welche Nöte andere haben. Wir sollten es uns leisten, die Leute in unserem Gesundheitssystem nicht unter einen Gerechtigkeitsvorbehalt zu stellen. Sie müssen nicht begründen, daß ihnen geholfen wird, sondern haben ein Anrecht darauf. Das ist, wie ich finde, ein großer Gewinn unseres Gesundheitssystems. Von daher sollten wir eher versuchen, das noch weiter zu realisieren, anstatt es herunterzufahren, bis eine Situation entsteht, in der wir uns fragen müssen: Können wir uns für Leute ab einem gewissen Alter noch Transplantationen leisten? Am Ende glaube ich auch nicht daran, daß das so Eingesparte automatisch in die Dritte Welt fließt. Wir sollten daher von zweierlei Paar Schuhen sprechen: Gerechtigkeit in der Welt und ein ethisch möglichst gutes Gesundheitswesen hier, und dazu gehört auch der Anspruch jedes Bürgers, daß Geld keine Rolle spielt, wenn es auf Leben und Tod geht.

SB: Die Harvard-Definition von 1968 war im wesentlichen ein Ergebnis des technischen Fortschritts. Es gab damals, wie auch heute bestätigt wurde, ansonsten keinen Grund, die Todesdefinition zu ändern. Jetzt befinden wir uns in der Ablösung des Hirntodkriteriums, zumindest wird sie kritisiert und in Richtung auf eine erweiterte Spendemöglichkeit geöffnet. Ist es nicht problematisch, seine philosophischen und ethischen Ansichten der technologischen Entwicklung nachzuordnen, zumal dies Gefahren einer Verselbständigung birgt, die dann auch ein Philosoph nicht mehr aufhalten könnte, weil er nicht an den Hebeln der Entscheidungsgewalt sitzt?

RS: Schmidt als Transplantationsmediziner und Gutmann als Jurist gehen in ihren Äußerungen nicht davon aus, daß es in absehbarer Zeit in Deutschland tatsächlich zu einer Erweiterung hin zur Spende nach Herzstillstand (DCD) kommen wird. Die philosophische Frage ist, wie auch diese Tagung gezeigt hat, eine Sache der Perspektive. Jedenfalls hielten eine ganze Reihe von Teilnehmern die Ausweitung für richtig und begrüßten die DCD, weil es zu mehr Organen führt und dadurch die Diskrepanz zwischen Wartelisten und tatsächlichen Organtransplantationen verringert wird. Es gibt nichts, was dagegen spricht. Das ist die Position von einzelnen, andere sagen, daß es gute Gründe gebe, DCD nicht zu machen.

Ich bin tendenziell skeptisch und habe mir noch nicht wirklich eine endgültige Meinung gebildet. Für mich ist im Moment vieles medizinisch noch unklar zu durchschauen. Ich denke, es hängt vom medizinischen Standpunkt ab. Ich weiß nicht, ob es eine Entwicklung nach unten oder eine sinnvolle technologische Erweiterung ist. Dieses Thema zeigt eben, daß das, was wir hier angefangen haben, weitergeführt werden muß. Man muß mit offenen Karten spielen und darüber reden, welche empirischen Evidenzen es dafür gibt, wie es Menschen nach zehn Minuten Herzstillstand geht. Können wir felsenfest davon ausgehen, daß dieses Gehirn nichts mehr empfindet? Und natürlich müssen wir auch ethisch darüber reden. Die Diskussion muß auch darüber geführt werden, was die ethischen Grundlagen unseres Umgangs mit Leben und Tod sind und warum das Tötungsverbot wichtig ist. Liegt es vielleicht daran, daß wir diese Leute mit dem Ich sind, wie Herr Knoepffler es gesagt hat; ist es das, was uns wichtig ist, oder ist es das Organismische?

SB: Nicht nur von Peter Singer kommt der Vorschlag einer Kommerzialisierung der Organspende aus dem praktischen Grund, daß sich damit der illegale Organhandel eindämmen ließe. Andererseits wird die Möglichkeit einer Vergesellschaftung erörtert. In England etwa hat sich ein Bioethiker dafür ausgesprochen, den Körper nicht als Eigentum der Person aufzufassen, sondern vielmehr als Allgemeingut, das der Gesellschaft zur Verfügung stehen müsse. Da werden Forderungen in Stellung gebracht, die die stets betonte Möglichkeit des Informed Consent bei der Organentnahme wieder in Frage stellen, weil eine ökonomische Situation für viele Leute eine Zwangslage bedeuten oder ein gesellschaftlicher Primat an die Stelle der individuellen Entscheidung treten könnte. Gehören Fragen dieser Art für Sie nicht zu einer ethischen Diskussion dazu?

RS: In bestimmter Hinsicht gehören sie zur Ethik der Transplantationsmedizin. Wenn wir uns ein vollständiges Bild über die ethischen Grenzen der Organtransplantation machen wollen, dann müssen wir uns auch fragen, was von Klubmodellen oder Bezahlmodellen in der Transplantation ethisch zu halten ist. Aber gleichzeitig muß man die Fragen auseinanderhalten. Hier auf der Konferenz haben wir uns der Frage gestellt, wie wichtig es ist, daß die Spender tot sind. Daraus folgt die Frage, an welche weiteren Bedingungen eine Organentnahme gekoppelt werden sollte. Wir haben hier am Rande über die Opt-in und Opt-out, über die Zustimmungs- und Widerspruchslösung gesprochen, aber das ist erst einmal eine separate Bedingung. Erstens geht es bei der Frage darum, ob die Spender tot sind oder nicht, und zweitens darum, inwieweit es wichtig ist, daß sie zugestimmt haben. Muß das explizit sein oder reicht die erweiterte Zustimmungslösung, die wir jetzt haben, aus? Dann ist es eine weitere Frage, ob es moralisch zu rechtfertigen wäre, dafür Geld zu bezahlen.

In dem Augenblick, wo wir unterstreichen, wie wichtig eine freiwillige Spende ist, weil der Mensch mit seiner Spende eben jemand anderem helfen will, wäre es widersprüchlich, wenn er Geld dafür bekommen würde. Es ist klar, daß man ihm nicht 50 Euro dafür geben könnte, aber wenn es um viel Geld geht, würde es die Leute unter Umständen unter moralischem Druck setzen, ein Organ zu spenden, um ihre Familie besser versorgen zu können. Das ist eine separate und, ich finde, schwierige Diskussion. Wir gehen auch in anderer Hinsicht davon aus, daß die Menschen ein Stück weit bereit sind, etwas für andere zu opfern, zum Beispiel wenn jemand eine schlechte und gesundheitsgefährdende Arbeit annimmt, um seine Familie zu ernähren. Solche Sachen passieren auch in unserer Gesellschaft.

SB: Es wird häufig argumentiert, daß man auf der Freiwilligkeit der Spender bestehen soll unter der Voraussetzung, daß der Spender ausreichend informiert wird. Allerdings haben wir auf dem Kongreß erlebt, daß die inhaltlichen Fragen so diffizil sind, daß selbst unter Experten ein Streit darüber ausbrechen kann, was genau gemacht werden sollte. Kann der Spender angesichts dessen überhaupt eine Entscheidung auf Grundlage gesicherter Informationen treffen?

RS: Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt eine große Bandbreite zwischen dem, was wir jetzt faktisch haben, und dem, was eine Überforderung für die Leute bedeuten würde. Sicherlich kann man vieles transparent machen. Ich hatte vor einiger Zeit in einem Radiobeitrag über das Thema gesprochen. Daraufhin hat mir ein Krankenhauspfarrer geschrieben, daß es ganz wichtig sei, diese Sachen öffentlich zu besprechen, und ob es nicht möglich wäre, ein Wiki zu machen. Schließlich bieten unsere modernen Möglichkeiten im Internet viel Spielraum für eine ganz andere Form von Informationspolitik. Das ist natürlich kein Ersatz für Aufklärung, weil Angebote im Netz an manchen Menschen vorbeigehen und in der Medizin ohnehin davon ausgegangen wird, daß Aufklärung persönlich stattfinden muß. Man kann jemandem nicht einfach ein Heftchen in die Hand drücken oder ihm sagen, informiere dich im Internet.

Es kann allerdings sein, daß wir, statt durch die Krankenkassen eine kleine Broschüre samt Organspendeausweis an alle zu verschicken, auf andere Weise besser informieren könnten. Eine Idee wäre, daß man so etwas tatsächlich bei niedergelassenen Ärzten machen läßt oder das Thema noch stärker in die Öffentlichkeit bringt. Das wäre dann ein eingebautes Feature von Demokratie, das wir in einer Demokratie auch erwarten können, weil wir selbst die besten Beurteiler sind von Situationen, die wir nicht immer richtig verstehen. Ich denke, ein Stück weit ist es schon so, daß wir dieses Zutrauen einfach haben müssen. Auf jeden Fall hat jeder Mensch, wenn er sich als Organspender bereiterklärt, das Recht, so viel Aufklärung wie möglich zu bekommen, damit er in die Lage versetzt wird, seine Entscheidung bewußt und autonom zu treffen. Dazu gehört viel mehr als jetzt in den Broschüren steht.

SB: Herr Stoecker, vielen Dank für das Gespräch.

Ralf Stoecker - Foto: © 2013 by Schattenblick

Im Foyer des Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF)
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] BERICHT/014: Der Entnahmediskurs - Fluß der Fragen, Meer der Zweifel (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/report/m0rb0014.html

20. November 2013