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MEDIEN/723: Medizinportale im Internet - Immer mehr Faktenwissen bei den Patienten, aber unsortiert (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2011

Medizin im Internet
Immer mehr Faktenwissen bei den Patienten - aber unsortiert

Von Jörg Feldner


Medizinportale zählen zu den beliebtesten Adressen der Deutschen im Internet. Längst nicht alles ist hilfreich. Ärzte müssen das Wissen der Patienten sortieren.


Die Informationsflut im Internet führt für Patienten zu einem Überangebot, das für jede medizinische Frage zahlreiche Antworten bereit hält. Darauf reagieren die Deutschen mit einer immer höheren Nachfrage. Viele Millionen Bundesbürger suchen im Netz nach Informationen zum Thema Gesundheit. Laut einer Umfrage der Kommunikationsagentur MSL Germany und des Marktforschungsinstituts Skopos befragen 41 Prozent der Deutschen das Internet vor dem Arztbesuch, nach dem Termin sind dies 31 Prozent. Dabei informieren sich gesetzlich Versicherte intensiver als privat Versicherte.

"Das Internet wird damit vom reinen Informationsgeber zu einem aktiven Begleiter der Diagnose und während der Therapie", schließen die Auftraggeber der Studie daraus. Für Ärzte ist diese Erkenntnis nicht neu. Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Dr. Franz-Joseph Bartmann schrieb kürzlich in einem Beitrag: "Wir stehen mitten auf dem rasanten Weg in eine Informationsgesellschaft. Gerade Patienten mit chronischen Erkrankungen vertrauen längst nicht mehr auf den Wissensvorsprung ihres Arztes. Im Gegenteil kommen sie, vor allem auch bei seltenen Krankheiten, mit einem ungeheuer großen - in der Regel aber unsortierten - Faktenwissen in die Konsultation."

Menschen, die zur Selbstüberschätzung neigen, kommen dann schon mal mit einer fertigen Selbstdiagnose in die Anmeldung und möchten der Arzthelferin gleich die passende Medikation ins Rezept diktieren; da bleibt dann nur der bestimmte Hinweis, doch bitte erst mit dem Doktor zu sprechen. Man kann diese Entwicklung bedauern oder begrüßen - umkehren kann man sie nicht. Das hat jüngst auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) auf den Plan gerufen. Das Institut erprobt gerade ein neues Format, um Patienten für den Umgang mit Gesundheitsinformationen zu schulen. Angesichts des rasant steigenden Informationsangebotes erscheint diese Maßnahme wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das IQWIG räumt denn auch selbst ein, keine Patentrezepte liefern zu können.

Fest steht: Längst nicht alle medizinischen Informationsangebote im Internet sind hilfreich; auch und gerade diejenigen Foren, in denen Patienten unter sich diskutieren, sind kritisch zu betrachten. Vieles ist nur persönliche Meinung und gefühltes Wissen. "Die Patienten sind überfordert mit dem, was in den Foren geschrieben wird, es besteht das Risiko der Verunsicherung. Deswegen sind gezielte und individuelle Hilfestellungen erforderlich", sagt Medizinstudent Johannes Bittner dazu. Das richtige, das fachlich kompetente Informationsportal zu finden, ist nicht so ganz einfach, weshalb der Internet-Branchenverband Bitkom einräumt: "Einen Arztbesuch können die Internet-Angebote nicht ersetzen."

Für Ärzte gilt: Man sollte sich im persönlichen Gespräch mit dem Patienten noch mehr um Verständlichkeit bemühen. Einfach ist das nicht immer, weil der Patient angespannt bis ängstlich sein kann. Richtig schwierig wird dies bei Patienten, die das produktive Zuhören, das Dazulernen beim Hören nicht mehr beherrschen. Wenn langjährige Asthma-Patienten in der fünften Stunde einer sechsstündigen Schulung immer noch nicht wissen, welches ihrer beiden Sprays sie bei einem nächtlichen Notfall nehmen müssen, dann liegt das kaum am Arzt, der hat das schon zigmal erklärt. Es liegt auch nicht unbedingt am höheren Alter solcher Patienten; auch bei Schülern ist die Aufmerksamkeitspanne kürzer geworden, wie Lehrer immer häufiger berichten. Aus eben diesem Grund muss es nicht verkehrt sein, wenn Patienten mit aus dem Internet beschafften Vorinformationen in die Praxis kommen.

Aber wie gehen viele Ärzte damit um? Die Studie von MSL und Skopos stellt ihnen in dieser Hinsicht kein gutes Zeugnis aus. "Das Internet ist Gesundheitsmedium Nummer eins, doch fast alle Akteure im Gesundheitswesen haben Defizite in Sachen Internet und Social Media", heißt es dort. So blieben etwa die von Betroffenen eingestellten Inhalte weitgehend ungenutzt. Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaunternehmen ließen damit die Möglichkeit verstreichen, in eine konstruktive Diskussion über die Gesundheitsversorgung der Zukunft einzusteigen, lautet die Kritik der Studienautoren.

Wie sieht es mit der Wahrnehmung in den Praxen aus - werden Ärzte tatsächlich so häufig von Patienten auf Informationen aus dem Internet angesprochen? Wolfgang Schulte am Hülse, Hausarzt in Kiel, sagt spontan: "Hier in meiner uninahen Praxis kommen rund 80 Prozent schon mit Vorinformationen aus dem Internet, das hat sich in den letzten fünf Jahren so entwickelt. Ich begrüße das auch, mündige Patienten sind einfach zeitgemäß. Dann muss ich allerdings in ein strukturiertes, systematisches Gespräch einsteigen, denn die Beiträge im Internet verleiten Laien schnell dazu, von unspezifischen Symptomen auf seltene Erkrankungen zu schließen. Das rücke ich dann ins rechte Verhältnis: Häufiges ist häufig, Seltenes ist selten, und so läuft dann auch die Diagnose." Matthias Seusing, Hausarzt auf dem Kieler Ostufer, bestätigt die Erfahrungen seines Kollegen - in seiner uni-fernen Praxis sieht es ähnlich aus. Und auch er beobachtet, dass Laien bei ihren Internetecherchen oft bei dramatischen Vermur tungen landen: "Schmerzen in der Nierengegend sind dann sofort ein Nierenstein. Bei Schmerzen im Oberbauch wird auf akute Pankreatitis getippt." Zutreffende Vermutungen höre man am ehesten bei jungen Menschen mit Sportverletzungen; Privatpatienten würden nach der Internetrecherche schon mal einen Stapel Ausdrucke mitbringen. "Aber bei einem Erstgespräch würde ich das nie als Misstrauen auffassen, wenn jemand sich vorweg informiert hat."

Deutlich wird die zunehmende Bedeutung des Internets für Patienten ebenfalls an den immer zahlreicher werdenden Arztbewertungsportalen. Auch hier gilt: Ärzte können diese Entwicklung beklagen, aber nicht umkehren. Beeinflussen aber schon: Wer sich ungerecht beurteilt fühlt, kann, wie berichtet, entsprechende Einträge löschen lassen.

In der anfangs erwähnten Studie wird auch deutlich, dass Foren für die Kommunikation über Gesundheit eine wichtigere Rolle spielen als soziale Netzwerke wie Facebook oder Microblogging-Dienste wie Twitter. Während sich fast jeder Zweite vorstellen kann, in Foren zu posten, ist nur eine Minderheit geneigt, etwa einer Gruppe zu einer medizinischen Indikation auf Facebook beizutreten. Insgesamt spielen soziale Medien aber eine zunehmend wichtige Rolle in der Gesundheitskommunikation.

Auch nach dem Arztbesuch ist für viele Patienten das Internet unverzichtbar geworden. Die in der Praxis erhaltenen Ratschläge werden in Internetportalen erklärt und die Befunde in patientenverständliche Sprache übersetzt. So wird der Klinikaufenthalt oder der Praxisbesuch immer häufiger eingebettet in eine Internetrecherche vor der Konsultation des Arztes und das gezielte Nachschlagen der dort erhaltenen Informationen nach der Behandlung.

Eines der jüngsten Angebote in diesem Bereich ist die von Medizinstudenten gegründete Initiative "www.washabich.de". Die Umsetzung überrascht manchen gestandenen Mediziner. "Erstaunlich, was die sich schon zutrauen", so die spontane Reaktion eines Arztes, als er von dem Internetportal hörte. Nicht nur erstaunlich, sondern eigentlich eher anmaßend fand er dieses Angebot von Studenten, Rat suchenden Patienten ihre Befunde in Alltagsdeutsch zu übersetzen.

Mediziner mit Berufserfahrung wären wahrscheinlich kompetenter, andererseits: Es waren eben zwei Studenten, die die Idee in die Tat umgesetzt haben.

Was hat zu diesem neuen Angebot geführt? Die beiden Dresdener Medizinstudenten Johannes Bittner (9. Fachsemester) und Anja Kersten (12. Fachsemester, jetzt im Praktischen Jahr) erlebten in Familie und Bekanntenkreis immer wieder, was viele ihrer Kommilitonen auch kennen: Sie bekamen Befunde oder Arztbriefe gezeigt und wurden gefragt, was das denn nun genau heiße, ob das gefährlich sei, wie man sich als Patient jetzt verhalten solle. Solche häufig besorgten privaten Fragen weisen Medizinstudenten nicht zurück, sondern beantworten sie nach bestem Wissen; das war vor hundert Jahren sicher schon genauso. Aber anders als vor hundert Jahren gibt es jetzt das Internet, und die heutigen Medizinstudenten sind darin ziemlich zuhause. Bittner noch mehr als andere; er hatte schon vorher Erfahrungen mit dem Aufbau von Social-Media-Netzwerken ohne medizinischen Bezug und mit dem Zusammentragen und Weiterempfehlen nützlicher Informationen gesammelt.

Zwei Dresdener Studenten, eine Idee, dann kam noch der Informatiker Ansgar Jonietz aus Trier hinzu, und kurzerhand ging man am 15. Januar 2011 online. Und wie das so ist im Internet: Eben war das Angebot noch völlig unbekannt, trotzdem trudelten schon nach wenigen Stunden die ersten Patientenanfragen ein. Sehr schnell war klar: Das Projekt braucht eine breitere Basis, sonst ist die Arbeit nicht zu schaffen. Ebenso schnell war klar, was geleistet werden kann und was nicht, auf der Startseite von www.washabich.de steht es deutlich:

"Das tun wir für Sie:

- Wir lesen Ihren Befund und übersetzen diesen in allgemeinverständliche Worte.
- Wir helfen, Ihr Arzt-Gespräch dadurch vor- und nachzubereiten, dass die Inhalte Ihres Befundes für Sie verständlicher werden.
- Wir leisten schnelle Arbeit: In der Regel erhalten Sie innerhalb weniger Tage eine Antwort.
- Wir arbeiten diskret und behandeln Ihre Krankendaten streng vertraulich.

Was wir nicht leisten:

- Da unser Team keinen Überblick über Ihre gesamte Krankengeschichte hat, können wir den Befund auch nicht in Zusammenhänge setzen und möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass unser Service keinen Arzt-Besuch ersetzt und auch keine Therapieempfehlungen ausspricht.
- Wir wollen die ärztlichen Leistungen nicht infrage stellen, sondern durch einen besser aufgeklärten und fachlich gut informierten Patienten unterstützen!"

Und ganz deutlich steht auch auf der Startseite, dass die Übersetzungen nichts kosten. Das Team von washabich.de arbeitet ehrenamtlich, spielt nicht Arzt, kritisiert keinen Arzt und gibt keine Therapieempfehlungen. Es übersetzt Laborbefunde, die Ergebnisse von Röntgen-, CT- oder MRT-Untersuchungen, Arztbriefe, Krankenhausentlassungsbriefe und beantwortet Fragen nach einzelnen Fachbegriffen. Dennoch machte anfangs Skepsis die Runde, wie es mit der erforderlichen fachlichen Qualität und dem Gebot der Kollegialität stehe; in Gesprächen mit der zuständigen sächsischen Landesärztekammer konnten diese Bedenken ausgeräumt werden.

Aber wie wurde aus zwei Studenten ein großes Team? "Wir wussten ja anfangs gar nicht, ob überhaupt genügend Leute bereit sein werden, ihre Zeit zu investieren, schließlich ist das Studium selbst ja schon ziemlich anspruchsvoll. Wir haben dann Studenten ab dem 8. Fachsemester in unserer Fakultät angesprochen." Und dann sprach sich unter Kommilitonen der höheren Semester bald wie von selbst herum, wie interessant die Aufgabe war "und auch, dass man großen eigenen Nutzen aus der Mitarbeit zog", sagt Bittner. Eigenen Nutzen insofern, als man beim Übersetzen selbst tiefer als vorher geübt in eine Fachfrage einsteigen muss; das trainiert und motiviert für die Arbeit mit eigenen Patienten.

Über Kontakte zu Fachschaften an anderen Hochschulen wuchs das Team dann kontinuierlich weiter. Heute sind 290 Mediziner dabei, darunter 37 approbierte Ärzte. Pro Woche werden rund 150 Befunde übersetzt - zurzeit besteht schon eine Warteliste; insgesamt wurden in acht Monaten bereits 2.700 Anfragen beantwortet. Zwei ausgebildete Psychologinnen sind vorrangig damit beschäftigt, bei heiklen, mit großen Sorgen belasteten Anfragen auf empathische Formulierung der Antworten zu achten.

Die 37 beteiligten Ärzte werden konsiliarisch hinzugezogen. Qualitätssicherungskonzepte und Supervision stehen nicht nur auf dem Papier, sondern werden praktiziert (siehe Grafik).

Was sagen nun Patienten, die ihren Befund haben übersetzen lassen? Sie sind oft so positiv wie diese beiden: "Jetzt ist es mir möglich, die Sprache der Ärzte besser zu verstehen und durchdachte Entscheidungen für mich zu treffen." "Sehr gute Grundlage für Gespräche mit meiner Hausärztin." Auch die Befragten in der Studie ziehen ein positives Fazit aus der großen Bereitschaft, sich im Internet zu medizinischen Themen zu informieren. Eine Mehrheit der Befragten glaubt nämlich, dass die Gesundheitsinformationen aus dem Netz dazu beitragen, dass die Menschen verantwortlicher mit ihrer Gesundheit umgehen, gesünder leben und Erkrankungen vorbeugen.


Social Media - was ist das und was ist davon zu halten?

Das Internet als Nachschlagewerk zu nutzen, um Preise zu recherchieren, um Flugtickets zu buchen oder Eintrittskarten zu kaufen - das machen schon die meisten Deutschen, auch die älteren Jahrgänge. Vor allem jüngere Jahrgänge machen mit dem Internet noch etwas mehr, sie beteiligen sich in sozialen Netzwerken, machen bei den Social Media mit.

"Social Media", heißt es bei Wikipedia, "bezeichnen digitale Medien und Technologien, die es Nutzern ermöglichen, sich untereinander auszutauschen und mediale Inhalte einzeln oder in Gemeinschaft zu gestalten." Das heißt, was in einem Sozialen Medium an Informationen zu finden ist, haben die Nutzer dieses Mediums selbst zusammengetragen, nicht ein einzelner Autor, eine einzelne Redaktion oder ein Verlag. Wikipedia selbst ist ein gutes Beispiel für ein Soziales Medium. Vor zehn Jahren hielt man Wikipedia noch für weniger zuverlässig als beispielsweise die Brockhaus-Enzyklopädie; heute wird kein Brockhaus mehr gedruckt und Wikipedia gilt als absolut zitierfähig - dank der gebündelten und gegenseitig kontrollierten Leistung vieler Einzelner. Vorbehalte gegen Social Media werden üblicherweise mit den Millionen belanglosen Einträgen in den populären Portalen Facebook und Twitter begründet; hier mögen die Vorbehalte berechtigt sein, sie sollten aber nicht generell auf das Instrument Social Media übertragen werden.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201110/h11104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Patienten informieren sich zuerst im Internet. 41 Prozent kommen mit Vorwissen aus dem Web in die Praxen.
- So erklärt das Portal www.washabich.de seine Arbeit auf der eigenen Homepage.


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Oktober 2011
64. Jahrgang, Seite 12 - 15
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de

Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2012