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MEDIEN/753: Ärztliche Beihilfe zum Suizid - Das Geschäft mit dem Tod der anderen (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 102 - 2. Quartal 2012
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Das Geschäft mit dem Tod der anderen

Von José García



Das Verwaltungsgericht Berlin hält das »ausnahmslose berufsrechtliche Verbot« einer ärztlichen Beihilfe zum Suizid für zu weitgehend. Und der deutsche Ableger des Sterbehilfevereins »Dignitas« meint gar: »Mit dem Urteil haben wir den Fuß in der Tür, das generelle Suizidhilfeverbot in Deutschland zu kippen.« In den Niederlanden wird für die Ausbildung ausländischer Ärzte in Suizidassistenz geworben. Keine Frage: Die Euthanasie ist auf dem Vormarsch. Doch es gibt auch Hoffnung, wie ein Blick unseres Autors in die Welt der Filmschaffenden und des Kinos zeigt.


Dass die (filmische) Fiktion häufig nicht nur hilft, die Wirklichkeit besser zu verstehen, sondern darüber hinaus auf den Zuschauer einen bedeutenden emotionalen Einfluss ausübt, verdeutlicht das berühmt-berüchtigte Paradebeispiel aus dem Gebiet aktive Sterbehilfe: Um den besonders in katholischen Kreisen starken Widerstand gegen die NS-Euthanasie-Gesetzgebung aufzubrechen, gab Goebbels 1941 den Film »Ich klage an« in Auftrag. Wolfgang Liebeneiner drehte ihn in Zusammenarbeit mit der Berliner Euthanasie-Zentrale, als bereits Zehntausende psychisch kranke und behinderte Menschen in den Tötungsanstalten umgebracht worden waren. Die durch »Ich klage an« bewirkte Propaganda sollte laut Goebbels dazu beitragen, dass »uns die Liquidierung dieser nicht mehr lebensfähigen Menschen psychologisch etwas leichter gemacht wird«. Die in den Worten des damaligen Berliner Bischofs Konrad von Preysing »unaufdringliche Propaganda für die Euthanasie und die Vernichtung lebensunwerten Lebens« sahen 15 Millionen Deutsche im Kino. Wolfgang Liebeneiners Film verfehlte seine Wirkung nicht. Noch heute bleibt »Ich klage an« ein sogenannter »Vorbehaltsfilm«: Er darf nur in Veranstaltungen mit fachkundiger Einführung und Diskussion gezeigt oder auf Antrag unter strengen Vorgaben gesichtet werden.

Die aktuelle filmisch-künstlerische Aufarbeitung der Sterbehilfe kann sowohl auf heutige diesbezügliche Befindlichkeiten hinweisen als auch entsprechende Einflüsse aufdecken. Dabei fällt es freilich auf, dass sich die Bewertung grundlegend gewandelt hat: Stand das Medium Film noch vor einigen Jahren der Euthanasie eher positiv gegenüber, so zeigen die deutschen Filme, die sich in diesem Jahr diesem Sujet widmeten, eine weitaus kritischere Haltung zur Sterbehilfe.

Beihilfe zur Selbsttötung als Filmsujet stand besonders im Mittelpunkt der Oscarverleihung im Jahre 2005, als Clint Eastwoods »Million Dollar Baby« mit vier Preisen (»Bester Film«, »Beste Regie«, »Beste männliche Nebenrolle«, »Beste weibliche Hauptrolle«) und Alejandro Amenábars »Das Meer in mir« mit dem Oscar als »Bester nicht-englischsprachiger Film« ausgezeichnet wurden. Letzterer basierte auf dem authentischen Fall von Ramón Sampedro, der sich mit Hilfe einer Freundin das Leben nahm und sein Sterben mit der Videokamera aufzeichnete, nachdem vier Gerichte seinen Antrag auf assistierte Selbsttötung nacheinander abgelehnt hatten. Dramaturgisch geht Amenábar einen anderen Weg als Liebeneiner. Denn »Ich klage an« erzählt aus der Sicht eines Medizinprofessors, der wegen Tötung auf Verlangen angeklagt wird, weil er seine an Multipler Sklerose erkrankte Frau von ihren Leiden erlöst hatte. Liebeneiners Film wirkt auf der einen Seite emotional, indem er den körperlichen Niedergang einer ehemals lebensfrohen jungen Frau als Ursache für deren Wunsch, von ihrem nun »lebensunwert« gewordenen Leben erlöst zu werden, zeigt. Auf der anderen Seite will der Regisseur aber auch den Zuschauer mit Argumenten überzeugen: Im Laufe der Gerichtsverhandlung führen sieben Geschworene aus ihrer jeweiligen Sicht Beispiele an, bei denen die Tötung unheilbarer Kranker als human erscheint.

Demgegenüber übernimmt Amenábar in »Das Meer in mir« die Perspektive des querschnittsgelähmten Ramón, der den unumstößlichen Wunsch spürt, sein »menschenunwürdiges Leben« zu beenden. Obwohl der authentische Fall, auf dem der Film basiert, eine lange gerichtliche Auseinandersetzung bis hin zum Europäischen Gerichtshof mit sich brachte, wird sie im Film auf drei Minuten reduziert, in denen Ramóns Sicht durch dessen Anwältin dargelegt wird. »Das Meer in mir« entzieht sich einer juristischen wie auch ethischen Auseinandersetzung. Stattdessen zieht Alejandro Amenábar alle emotionalen Register: Sein Film zeigt Ramón Sampedro als humorvollen, liebenswürdigen und sensiblen Menschen, der sich auf gar keine Diskussion einlässt. Jeden Versuch, über seinen Sterbewunsch zu sprechen, erstickt er mit einem Standardsatz im Keim: »Urteile nicht über mich. Wenn du mich wirklich liebst, hilf mir zu sterben.« Seltsam widersprüchlich wirkt indes eine Figur, die stets nach rationalen Erklärungen sucht, aber in eigener Sache allen Vernunftgründen unzugänglich bleibt. Wegen dieses gefühlsmäßigen Totschlagarguments nannte die Frankfurter Allgemeine Zeitung »Das Meer in mir« »eine Überwältigungsmaschinerie«. Denn der Regisseur »presst die Gemüter aus wie Zitronen, als wollte er sehen, was man mit dem Manipulationsmedium Kino alles anstellen kann«.

Gegenüber der emotionalen Manipulation durch »Das Meer in mir« nimmt sich Clint Eastwoods Film viel nuancierter aus. Im Gegensatz zu »Das Meer in mir« stellt »Million Dollar Baby« die Sterbehilfe keineswegs als »Happy End« dar. Gegenüber den hellen Farben in Amenábars Film erzeugen in »Million Dollar Baby« die Bilder eine beklemmende Stimmung, die von der düster wirkenden Musik noch unterstrichen wird. Sind die Figuren in »Das Meer in mir« strahlende Menschen, so gestaltet Clint Eastwood die von ihm selbst verkörperte Hauptfigur, die dem Wunsch einer gelähmten Boxerin auf Beihilfe zum Suizid nachkommt, als gebrochenen, von Schuldgefühlen gebeugten Menschen. Im Unterschied zu »Das Meer in mir« spricht »Million Dollar Baby« offen über die moralischen Implikationen einer »Tötung auf Verlangen«: »Ich weiß, dass dies eine Sünde ist«, sagt denn auch der praktizierende Katholik zu dem Pfarrer, der ihm antwortet: »Wenn Sie es tun, sind Sie verloren, Sie werden nie wieder zu sich finden.« Der offene Ausgang, in dem eine Off-Stimme von der endgültig gebrochenen Figur erzählt, steht im deutlichen Gegensatz zu Filmen wie »Ich klage an« oder »Das Meer in mir«. Die Behauptung, »Million Dollar Baby« verherrliche den assistierten Selbstmord, wird Eastwoods Spielfilm nicht gerecht. Dennoch: Bei aller Nuancierung könnte »Million Dollar Baby« bei den meisten Zuschauern den Eindruck erwecken, der Film werte diese Tat - allen moralischen Vorbehalten zum Trotz - positiv. Obgleich »Million Dollar Baby« im Gegensatz zu »Das Meer in mir« weder den Zuschauer überwältigen will noch die Tötung auf Verlangen als eine über jeden Zweifel erhabene Handlung darstellt, wird hier, wenn nicht ein Einfallstor, so doch ein Spalt geöffnet.

Um aktive Sterbehilfe ging es darüber hinaus in einem kleinen Nebenstrang von »Drei« (2010), dem letzten Spielfilm des deutschen Regisseurs Tom Tykwer. Obwohl »Drei« vordergründig von Bisexualität handelte, stand der Film im Allgemeinen für den »Abschied vom deterministischen Biologieverständnis«. Neben einem Angriff auf das deutsche Embryonenschutzgesetz und der Verteidigung von Abtreibung gehört auch die Beihilfe zur Selbsttötung zu den in »Drei« gestreiften Themen. Regisseur Tykwer vermittelt mit seinem Film einen liberalistischen Freiheitsbegriff in jedem Lebensbereich. Dazu schrieb damals »Die Zeit«: Der Regisseur »versieht jede nur denkbare Szene mit einem 'Achtung! Zeitgeist!'-Stempel«.

Nun scheint sich aber, wenn auch nicht der Zeitgeist, so doch die Einstellung einiger Filmemacher gegenüber der aktiven Sterbehilfe zu ändern. Mit dem kürzlich im Kino angelaufenen Spielfilm »Ruhm« adaptiert Regisseurin Isabel Kleefeld den gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann, von dem etwa eine halbe Million Exemplare verkauft wurden. Unter den sechs Geschichten, die der Episodenfilm miteinander verknüpft, nimmt der Abschnitt um die todkranke Rosalie (Senta Berger) insofern eine besondere Stellung ein, als Rosalie und deren Erzählstrang eine Erfindung der Zentralfigur im Roman und Film Leo Richter (Stefan Kurt) ist. Obwohl es sich also dabei um einen Roman im Roman beziehungsweise um einen Film im Film handelt, nimmt sich diese Nebenhandlung nicht minder aussagekräftig aus: Rosalie sucht »Erlösung« von ihrem Leiden bei einem Schweizer Sterbehilfeverein. Im entscheidenden Augenblick mag sie sich indes vom Leben nicht trennen. Sie wendet sich an ihren Schöpfer, den Schriftsteller, mit der Bitte: »Lass mich leben.«

Deutlicher als in »Ruhm« kommt die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe in Friedemann Fromms Fernseh-Spielfilm »Komm, schöner Tod« zum Ausdruck. Der in einer nahen Zukunft angesiedelte Film verdeutlicht die Folgen einer Freigabe der aktiven Sterbehilfe. »Komm, schöner Tod« spitzt fiktional den heutigen gesellschaftlichen Umgang mit dem demografischen Wandel zu: Nachdem die Zahl der Demenzkranken einen Pflegenotstand verursacht hat, erstreitet eine 85-Jährige vor dem Bundesverfassungsgericht das Recht auf aktive Sterbehilfe - mit Unterstützung eines Medizinprofessors, der mit seinem Institut »Exsolvo« dieses »Recht« zu einem neuen Geschäftsmodell entwickeln will. »Komm, schöner Tod« veranschaulicht eindrücklich, dass der Weg von der sterbenswilligen Einzelperson bis zur Kommerzialisierung des Sterbens ein fließender Prozess ist. Regisseur Fromm illustriert es insbesondere anhand der Figur des Mediziners, der zum Geschäftemacher wird und der sich dadurch laut Regisseur Friedemann Fromm »von sich selbst entfremdet«.

Der Arzt, der aus dem erstrittenen Recht auf Sterbehilfe ein Geschäftsmodell entwickelt, mag eine fiktive Figur sein. Sie wirkt wie so manches in »Komm, schöner Tod« jedoch realitätsnah. So erklärte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, im Zusammenhang mit dem Urteil der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. März: »Wir müssen Geschäftemachern mit dem Tod endlich das Handwerk legen.« Fromms TV-Spielfilm liefert ein anschauliches Beispiel für die Bedrohungen für eine Gesellschaft nach der Legalisierung des assistierten Suizids. Darauf wies etwa Manfred Spieker anhand der Untersuchungen über die Euthanasiepraxis in den Niederlanden vor Jahren hin: »Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe muss unvermeidlich dazu führen, dass aus dem Recht zum assistierten Selbstmord eine Pflicht wird.«

»Komm, schöner Tod« ruft darüber hinaus die Worte Clemens August Graf von Galens im Vorfeld seiner Predigt zum Euthanasie-Programm des Naziregimes vom 3. August 1941 in Erinnerung: »Wehe den Menschen, wehe unserem deutschen Volke, wenn das heilige Gottesgebot: 'Du sollst nicht töten'... nicht nur übertreten wird, sondern wenn diese Übertretung sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird!«


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

In Isabel Kleefelds »Ruhm« sucht die todkranke Rosalie (Senta Berger) Erlösung von ihrem Leiden bei einem Schweizer Sterbehilfeverein. Im entscheidenden Augenblick nimmt sie aber davon Abstand.

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 102, 2. Quartal 2012, S. 22 - 23
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2012