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MEDIEN/828: Schrott im Körper - Themenabend über schmutzige Geschäfte auf Kosten der Patienten (arte Magazin)


arte Magazin - Februar 2014
Das tägliche arte-Programm 1. bis 28.2.2014

Schrott im Körper

Lebensrettende Implantate werden in der europäischen Gesetzgebung in etwa so kontrolliert wie Toaster oder Föhne.

Interview mit der Journalistin Dorina Herbst über schmutzige Geschäfte auf Kosten der Patienten von Jakob Biazza



Brustimplantate mit Industriesilikon, Defibrillatoren, die lebensbedrohliche Elektroschocks abgeben, und künstliche Hüftgelenke, die Organe schädigen: Die Journalistin Dorina Herbst hat in dem ARTE-Dokumentarfilm "Schrott im Körper" den Markt für Medizinprodukte durchleuchtet - und dabei ein schockierendes System aus wirkungslosen Kontrollen und Korruption entdeckt. Im Interview erklärt sie, warum auch die EU und deutsche Stellen eine besonders unrühmliche Rolle spielen.


ARTE: Frau Herbst, was hat Sie bei der Recherche für Ihren Dokumentarfilm über die Kontrolle von Medizinprodukten am meisten schockiert?

Dorina Herbst: Die Erkenntnis, dass Medizinprodukte in Europa nicht staatlich geprüft werden. Ich bin, wie vermutlich die meisten, davon ausgegangen, man müsse derartige Fabrikate von staatlichen Stellen genehmigen lassen - so wie Arzneimittel. Tatsächlich übernehmen das aber private Zertifizierer, die als Kennzeichen das bekannte CE-Symbol vergeben. Mit diesem garantiert der Hersteller aber lediglich selbst, dass sich seine Ware an die EU-Richtlinien hält. Die Einhaltung der Bestimmungen wird nur stichprobenartig kontrolliert.

ARTE: Welche Fehler konnten Sie in Deutschland dokumentieren?

Dorina Herbst: Brechende Hüftgelenke aus Keramik oder Hüftprothesen aus Metall, deren Abrieb ins Blut gerät und Organe schädigt. Brustimplantate des inzwischen insolventen französischen Brustimplantate-Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) wurden mit billigem Bausilikon gefüllt. Das Silikon tritt in winzigen Tropfen aus, wandert durch den ganzen Körper und verklebt die Lymphdrüsen. Und wir haben defekte Defibrillatoren entdeckt, die aufgrund von Kurzschlüssen unnötige Elektroschocks abgaben. 2005 ist in den USA einer im Brustkorb eines jungen Mannes implodiert.

ARTE: Ein prominentes Opfer eines fehlerhaften Defibrillators ist auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach ...

Dorina Herbst: Er bekam von einem Defibrillator einen Schock und wurde ohnmächtig. Eine Stunde zuvor war er noch am Steuer seines Autos auf der Autobahn unterwegs.

ARTE: Die PIP-Implantate zum Beispiel hatte der TÜV-Rheinland aber doch getestet?

Dorina Herbst: Aber auch nur auf dem Papier, denn die Gutachten stellen sie ausschließlich auf Grundlage der Akten aus. Medizinprodukte werden selten aufgeschnitten, um zu sehen, was drin ist. Dazu kommt noch ein Wettbewerb, bei dem ständig neue Implantate auf den Markt sollen - obwohl Bestehendes womöglich viel besser funktioniert.

ARTE: Zum Beispiel?

Dorina Herbst: Einer der führenden Hersteller von Herzschrittmachern aus den USA hat bei Neuauflagen eines fehlerfreien Defibrillators den Draht, der ins Herz führt, immer dünner konstruiert. Resultat war, dass er häufiger brach und Fehlschocks auslöste.

ARTE: Welche Rolle spielen die Ärzte?

Dorina Herbst: Es gibt schwarze Schafe, dokumentierte Fälle, in denen Ärzte Schmiergeldzahlungen bekommen haben, um bestimmte Implantate zu bevorzugen. Eine Firma wurde in den USA im Dezember 2011 dafür verurteilt, Fachjournalisten, Professoren und Ärzte bezahlt, ihren Namen unter gewogene Artikel und Studien gesetzt und so Produktempfehlungen abgegeben zu haben.

ARTE: Oft kommen amerikanische Produkte zuerst auf den europäischen Markt. Warum?

Dorina Herbst: Es steht außer Frage, dass die Zulassungsstandards in Europa viel niedriger sind. In den USA sind mehr Tests und vor allem auch klinische Studien nötig. Hat ein Produkt in Deutschland funktioniert, können sich die Amerikaner in ihren Dossiers darauf beziehen. Das beschleunigt die Markteinführung. Amerikanische Fachjournalisten haben mir deshalb ganz offen gesagt: "Ihr Europäer seid die Versuchskaninchen."

ARTE: Versuche, auf EU-Ebene eine zentrale Zulassungsbehörde zu installieren, sind bislang immer gescheitert. Woran liegt das?

Dorina Herbst: Ich vermute, dass die Lobbyisten gute Arbeit geleistet haben - sei es mit Studien, die die angebliche Sicherheit des bestehenden Systems beweisen, oder indem sie Angst davor schüren, dass Patienten dringend benötigte Produkte zu langsam bekämen, wenn es eine Neuregelung mit längeren Zulassungsverfahren gäbe.

ARTE: Was müsste sich ändern?

Dorina Herbst: Wir brauchen eine zentrale europäische Überwachungsstelle oder wenigstens wirkungsvolle Kontrollen der CE-Vergeber. Dazu mehr Transparenz und mehr klinische Tests vor der Einführung eines jeweiligen Produktes. Und ich halte es für essenziell, dass wir die Zulassungslogik überdenken. Bislang wird zugelassen, was auf den ersten Blick nicht schadet. Richtig wäre aber, vor allem zuerst nach dem Nutzen zu fragen. Nur, weil etwas neu ist, ist es noch nicht besser oder sinnvoll.


Dorina Herbst, Jahrgang 1981, arbeitet seit 2010 als Redakteurin und Autorin in München. Sie realisierte unter anderem die ARTE-Dokumentation "In den Fängen der Internet-Mafia"(2012).


Hinweis auf den ARTE Themenabend:

Gefährliche Implantate und Patientenleid
Dienstag, 11.2.2014 ab 20.15 Uhr

(1) Schrott im Körper
Dokumentarfilm · 20.15 Uhr

(2) Diskussionsrunde
Debatte · 21.45 Uhr

Mehr Informationen kurz vor Ausstrahlung unter:
www.arte.tv/schrott-im-koerper

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Quelle:
arte Magazin Februar 2014 - Das tägliche arte-Programm, 1.2.-28.2.2014, Seite 20-21
Herausgeber: ARTE G.E.I.E.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2014