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STUDIE/503: Clowns bringen Abwechslung in den Klinik-Alltag (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2015

Klinikclowns
Die Stimmung bleibt im Raum

Von Dirk Schnack


Es gibt nicht viele von ihnen in Schleswig-Holstein. Aber wo die Klinikclowns auftreten, vergessen Patienten sie nicht so schnell.


Die Stimmung ist nicht gerade heiter in diesem Zimmer auf Station 22 des Friedrich-Ebert-Krankenhauses. Ein Grundschüler und ein Teenager teilen sich den Raum in der Kinderklinik, beide Mütter sind zur Mittagszeit vorbeigekommen und versuchen, ihre Söhne aufzumuntern. Beide Kinder haben keine schwerwiegenden Erkrankungen, aber sie wären gerade gern ganz woanders - ohne ihre Schmerzen und Beschwerden. Als Dr. med. Wurst und seine Mitarbeiterin Dr. Baguette ins Zimmer huschen, schaut der Teenager unsicher, während bei seinem jüngeren Bettnachbarn schon ein erstes Grinsen über das Gesicht huscht. Die Mütter dagegen freuen sich demonstrativ und erhoffen sich eine kleine Ablenkung für ihre Kinder. Die wird allerdings nicht allzu lang ausfallen, erklärt Dr. med. Wurst - schließlich seien sie ja "nur gesetzlich versichert". "Ach, AOK? Wir sind schon wieder weg!" Es soll der einzige Witz bleiben, den zumindest der kleinere Patient nicht ganz versteht. Die folgenden 20 Minuten werden die wohl abwechslungsreichsten seines Klinikaufenthaltes. Das wusste Stationsschwester Michaela Aaroe schon vorher. Sie hat die "Kieler Klinikcläune" vor Jahren auf einer Gesundheitsmesse erlebt und war begeistert. Sie setzte sich dafür ein, dass die Klinikclowns auch nach Neumünster zur Visite kommen. Ihre Chefin Heike Landig ist heute überzeugt, dass ihre Mitarbeiterin damit den Patienten und ihren Angehörigen einen großen Dienst erwiesen hat. "Die Kinder vergessen für eine Zeit den Klinikaufenthalt und dass sie krank sind", sagt Landig. Trotz des manchmal recht angespannten Klinikbetriebs nehmen die Mitarbeiter die mit den Clowns entstehende Unruhe gerne in Kauf. Denn kaum haben sich Harald Roos und Daniele Trepanier, wie Dr. med. Wurst und Dr. Baguette mit bürgerlichem Namen heißen, umgezogen, begegnen ihnen die Menschen ganz anders als in Zivil. "Wir müssen gar nichts machen. Wir gehen über den Flur und schon fangen die Menschen an zu lächeln", beobachtet Roos immer wieder - bei Kranken, bei Angehörigen und bei gestressten Klinikmitarbeitern. Und wer als Kind die "Klinikcläune" mal erlebt hat oder von ihnen erzählt bekommt, will sie auch live sehen. "Es gibt Kinder, die bitten darum, nicht schon am frühen Morgen, sondern erst entlassen zu werden, wenn die Klinikclowns da waren", berichtet Landig. Und es gibt Kinder, für die ist die Reaktion der oft angespannten Eltern viel wichtiger als das eigene Lachen. "Kinder beobachten, wie ihre Eltern reagieren. Wenn sie merken, dass die ihre Sorgen auch mal vergessen, macht sie das froh", hat Roos beobachtet. Roos und seine drei Kollegen - neben Trepanier sind dies Anne Kelz ("Metti") und Gerhard Flassak ("Dr. Max-i") - sind fast täglich in Kliniken unterwegs, hauptsächlich im Universitätsklinikum in Kiel.

Alle vier sind Berufsclowns, die sich ihren Unterhalt mit privaten und öffentlichen Engagements verdienen und häufig in Krankenhäusern in Kiel und Neumünster auftreten. Roos ist schon seit 1987 Straßenkünstler und hat 2003 das Projekt "Klinikcläune" ins Leben gerufen - eine Wortschöpfung übrigens aus Kindermund. Roos' Mitstreiter haben ganz unterschiedliche Hintergründe. Flassak ist von der Betriebswirtschaftslehre zur Schauspielschule umgeschwenkt, hat am Lübecker Stadttheater gespielt und schließlich als Straßenzauberer und Jongleur seine Berufung gefunden. Kelz war mal Krankenschwester, ließ sich zur Heilpraktikerin für Kinder und Erwachsene ausbilden und arbeitet seit 2002 als Klinikclown. Die Frankokanadierin Trepanier hat in Kanada eine Ausbildung als Bühnenbildnerin absolviert, es folgten Weiterbildungen in den Bereichen Tanz, Regie und Schauspiel sowie Clown-Workshops. Inzwischen sind sie alle "Doktor", wie es auf ihrer Webseite heißt. Sie gehören in Schleswig-Holstein noch einer kleinen Minderheit an. Denn außerhalb der Krankenhäuser in Kiel und Lübeck sind Klinikclowns noch eine Ausnahme und im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet rar. Heiko Mielke, der Klinikclowns fortbildet, sieht Schleswig-Holstein noch im Rückstand gegenüber anderen Bundesländern. München etwa hat nach seinen Angaben einen Clownverein mit über 80 Künstlern. Warum es so große regionale Unterschiede gibt, kann niemand schlüssig erklären. Fest steht dagegen, dass die Nachfrage steigt. Das liegt hauptsächlich daran, dass Patienten, die Klinikclowns erlebt haben, dies weitertragen. Diese Nachwirkungen spürt auch Mielke, der für Clowns ohne Grenzen schon in zahlreichen Krisengebieten unterwegs war, immer wieder. Mielke hat kürzlich syrische Kinder in einem Auffanglager in der Türkei zum Lachen gebracht. Hier zieht er Parallelen zur Arbeit von Klinikclowns. "Die Menschen vergessen in dem Moment die Situation, in der sie sich befinden", sagt Mielke im Gespräch mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt. Noch besser: Die im Krieg groß gewordenen Kinder spielen nach den Auftritten der Clowns nicht mehr die kriegerischen Auseinandersetzungen nach, sondern imitieren die Clowns. Der am Brahmsee lebende Mielke spielt gerne vor großen Gruppen in den Lagern, oft auch zusammen mit Kollegen, die in Krankenhäusern unterwegs sind. Ihm persönlich ist der Auftritt am Krankenbett aber zu nah. "Da ist man zu direkt mit dem Einzelschicksal konfrontiert." Wie man Erlebnisse in den Lagern und am Krankenbett verarbeitet, ist unterschiedlich. Mielke und auch Roos empfehlen Teambesprechungen. "Wichtig ist ein Familien- oder Freundeskreis, in dem man das besprechen kann", sagt Mielke.

Laut einer Studie der Universität Bremen fühlen sich die meisten Klinikclowns durch ihre Arbeit belastet, die Konfrontation mit Leid und Tod sind hier die wichtigsten Faktoren. Die meisten Teilnehmer der Studie gaben an, dass sie Gespräche mit Kollegen zur Entlastung nutzen. Ganz wichtig ist deshalb die Zusammenarbeit mit einem Partner. Das hat noch einen weiteren Vorteil: Das Spiel verteilt sich auf zwei Partner und erhält damit mehr Dynamik. Mielke und seine Kollegen verfügen über ein großes Repertoire. Viele können zaubern, musizieren, jonglieren. Bei den Späßen, so die Erfahrung des weitgereisten Clowns vom Brahmsee, funktioniert eine Sache auf der ganzen Welt: die Schadenfreude. Dennoch sollten Clowns, die in anderen Ländern unterwegs sind, sich gut mit den regionalen Gegebenheiten vertraut machen. In Sri Lanka etwa kennt man als Theaterform einzig das Drama. Mit roter Clownsnase auf seinen Auftritt wartend, wurde Mielke den Zuschauern dort als "deutsches Drama" angekündigt. In Arabien, berichtet Mielke, dürfen zwar männliche und weibliche Clowns gemeinsam auftreten, sie dürfen sich dabei aber nicht berühren. Wo Mielke auftritt, hängt von den Anfragen ab. Oft sind es ärztliche Organisationen, die die Auftritte der Clowns ohne Grenzen organisieren. Derzeit ist der Schleswig-Holsteiner in Thailand und Myanmar unterwegs, um Auftrittsmöglichkeiten auszuloten.

Zurück nach Deutschland. Einer am UKE erstellten Studie zufolge wollen Klinikclowns in erster Linie Lebensfreude vermitteln. Wie ernst sie das nehmen, zeigt ihre Fortbildungsmotivation. An 3,4 Fortbildungen nimmt ein deutscher Klinikclown im Durchschnitt teil. Mehr als die Hälfte von ihnen hat laut Studie eine Hochschulbildung. Die Mehrzahl der Klinikclowns kommt aus der Schauspielerei. Bis zu 200 Patienten in bis zu zwölf unterschiedlichen Einrichtungen pro Woche erreicht ein Klinikclown. Die Auftritte dauern bis zu 30 Minuten und natürlich hat die Länge des Auftritts nichts mit der Kassenzugehörigkeit des Patienten zu tun. Denn bezahlt werden sie nicht aus den Beitragseinnahmen und in aller Regel auch nicht von den Kliniken, sondern über Spenden und Stiftungen. Deshalb sind regelmäßige Auftritte in den gleichen Einrichtungen wichtig - es spricht sich herum, was die Klinikclowns im Krankenhausalltag leisten, und Sponsoren sind häufig regional aktiv. Ein Beispiel dafür ist der Förderverein Klinik-Clowns Lübeck e. V. Er unterstützt mit seinen eingeworbenen Spenden eine wöchentliche Visite von vier Stunden, die ein Team aus fünf Künstlern leistet.

Nach Angaben von Christian Wilde, Vorsitzender des Fördervereins, sind die Beiträge der rund 30 Mitglieder eine regelmäßige Einnahmequelle. Hinzu kommen Spenden und Einnahmen aus Benefizveranstaltungen. Der hohe Aufwand für die Finanzierung dürfte der wichtigste Grund dafür sein, dass regelmäßige Clownsvisiten nur an wenigen Standorten in Schleswig-Holstein stattfinden. Erfahrungen mit Klinikclowns aber haben schon viele Krankenhäuser gesammelt. Wichtigstes Utensil bei der Ausrüstung ist ein Arztkittel, bei Dr. med. Wurst ist dies ein weißer Bademantel. Darüber hinaus hat er einen ganzen Rollkoffer mit unterschiedlichstem Material dabei - vom Fisch, der Kopfstand kann, bis zu Luftballons, aus denen der frühere Straßenkünstler alle möglichen Gebilde formt. Für das meiste Erstaunen sorgen bei Patienten aller Altersklassen seine Zaubertricks. Dr. Baguette zieht einen alten Puppenwagen hinter sich her, aus dem sie je nach Situation Dutzende von Utensilien hervorzieht. Welches, entscheidet sie oftmals kurzfristig. Auch Mielke setzt auf Spontanität, rät aber zu leichtem Gepäck. Auf seinen Fortbildungen unterrichtet er mit Alltagsgegenständen und ermuntert dazu, "was gerade da ist am Bett" in das Spiel einzubeziehen, denn: "Ein Klinikclown muss sich immer wieder neu einstellen." Das gilt auch für ablehnende Haltungen. Laut der Hamburger Studie lehnen fünf Prozent der zur Zielgruppe gehörenden Kinder eine Teilnahme ab. Zu 40 Prozent wird die Ablehnung von den Kindern selbst ausgesprochen, zu 35 Prozent von den Eltern, zu gut 20 Prozent von den Pflegekräften und zu vier Prozent von den betreuenden Ärzten. Die sind insgesamt zwar positiv gegenüber Klinikclowns eingestellt, die Wertschätzung, die sie ihnen entgegenbringen, ist aber laut UKE-Studie geringer als die, die sie von Patienten, Eltern und Pflegepersonal erfahren. Klinikclowns legen Wert darauf, ihre Arbeit mit hoher Professionalität zu erledigen. Dazu gehört nicht nur, dass Komödianten wie die Klinikcläune auf eine Zwangsbespaßung verzichten, wenn die Patienten oder deren Angehörige Ablehnung signalisieren. Der Codex des deutschen Dachverbands "Clowns in Medizin und Pflege" beinhaltet Prinzipien, an die sich die Künstler zu halten haben. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Clown in der Klinik keine Funktion übernimmt, die die Grenzen seiner künstlerischen Tätigkeit übersteigt oder dass er bei seinen Auftritten Würde, Persönlichkeit und Privatsphäre der Patienten und ihrer Familien respektiert. Selbstverständlich unterliegt er der Schweigepflicht, betritt Krankenzimmer nicht ohne Rücksprache mit dem Klinikpersonal, beachtet die Hygienevorschriften und ergreift niemals Partei bei Kontroversen innerhalb einer Einrichtung. Die Klinikcläune versichern außerdem, dass sie bei ihren Auftritten Besonderheiten wie etwa das Sprachvermögen der Kinder, körperliche Einschränkungen und individuelle Wesenseigenschaften berücksichtigen.

Der therapeutische Nutzen steht für sie außer Frage. Die Klinikcläune verweisen auf den positiven Einfluss auf das seelische Befinden der Kinder. Und "die sichere Aussicht auf ein nächstes Mal hilft, ihren Gesundheitszustand zu stabilisieren und ihr Immunsystem zu stärken". Insgesamt, auch dies zeigt die Studie am Hamburger Universitätsklinikum, sind Klinikclowns mit ihrer Arbeit sehr zufrieden. Wenn sie sich etwas wünschen könnten, würden sie sich meist eine bessere finanzielle Absicherung - die meisten arbeiten als selbstständige Künstler - wünschen. Aber auch mehr Anerkennung, eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine breitere Versorgung mit Klinikclowns stehen auf ihrer Wunschliste. Insgesamt bescheinigt die Studie den Klinikclowns, gut ausgebildet, motiviert und organisiert zu sein. Längst sind es nicht mehr nur Kinder, die von Klinikclowns besucht werden. Immer häufiger freuen sich auch die Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungen, Patienten der geriatrischen Abteilungen und zum Teil auch anderer Klinikabteilungen auf die Besuche der Spaßdoktoren. Vor fünf Jahren traute sich das Sankt Elisabeth Krankenhaus in Eutin nach eigenen Angaben erstmals in Schleswig-Holstein, Klinikclowns auf eine Palliativstation zu schicken. Die Resonanz war durchweg positiv, hieß es anschließend. Wichtig war den Eutinern, dass dabei eine ausgebildete Familientherapeutin im Einsatz war, die auf die besonderen Empfindungen und Reaktionen der älteren Patienten eingehen konnte.

Die Vorstellung im Jungenzimmer des FEK in Neumünster war nach rund 20 Minuten vorüber und trotz der zunächst verhaltenen Reaktionen ein voller Erfolg. Wo vorher über die Erkrankungen und den Alltag gesprochen wurde, herrscht jetzt eine heitere Atmosphäre. Das hat das Klinikpersonal bei mehreren Blicken durch die Tür sofort festgestellt und deshalb mit allen zu erledigenden Arbeiten gewartet, bis die Klinikcläune fertig waren - auch wenn der Ablauf deshalb vielleicht etwas anders ausfiel als geplant. Noch während die beiden Clowns auf dem Flur stehen und sich für ihren nächsten Auftritt sammeln, fangen die jungen Patienten und ihre Mütter in dem gerade von den Clowns verlassenen Zimmer an, sich über die einzelnen Späße zu unterhalten und brechen noch einmal in herzhaftes Lachen aus. Für Schwester Michaela Aaroe ist diese Nachwirkung genauso wichtig wie der Auftritt der Klinikclowns selbst. Sie stellt nach den Besuchen der Klinikclowns immer wieder fest: "Die Stimmung bleibt im Raum."


Randspalte

5% der Kinder lehnen den Besuch eines Klinikclowns am Krankenbett ab.

3,4 Fortbildungen absolviert ein Klinikclown im Durchschnitt.

200 Kinder erreicht ein Klinikclown pro Woche im Höchstfall.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Da vergisst auch die Mutter des Patienten mal ihre Sorgen: Dr. Baguette mit der Mütze des Jungen, die Mutter mit neuer Brille am Krankenbett ihres Sohns.

- Vielseitig: Heiko Mielke alias "Herr Heikel" aus Langwedel bildet Klinikclowns fort.

- Dr. med. Wurst in Aktion am Krankenbett.

- Zusammen mit Dr. Baguette ist der Kinikclown regelmäßig in Kiel und Neumünster tätig.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201502/h15024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Nr. 2/2015, Februar 2015, Seite 6 - 9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2015

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