Universität Ulm - 02.05.2018
"Stressfresser" aus dem Kuhstall - Landbewohner mit Nutzierkontakt können Stress besser bewältigen
Was macht das Landleben eigentlich so gesund? Die dörfliche Ruhe, die frische Luft oder die intakte Nachbarschaft? Wissenschaftler der Universität Ulm haben darauf eine ganz andere Antwort: Landbewohner mit engem Kontakt zu Nutztieren können Stresssituationen immunologisch viel besser bewältigen als Großstädter, die ohne Haustiere aufgewachsen sind. Hilfe bekommen sie dabei von den "old friends" unter den Mikroben. "Damit gemeint sind Umweltbakterien, mit denen der Mensch seit Jahrtausenden recht friedlich zusammenlebt, und die es in der Großstadt heute schwer haben", erklärt Professor Stefan Reber, Leiter der Sektion für Molekulare Psychosomatik an der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Der Ulmer Wissenschaftler hat gemeinsam mit Kollegen aus dem Universitätsklinikum Ulm und Forschern aus Erlangen, London und Boulder (Colorado) herausgefunden, dass Männer, die die ersten 15 Lebensjahre auf einem Bauernhof mit Nutztierhaltung aufgewachsen sind, psychosozialen Stress besser verarbeiten können als Männer, die die ersten 15 Lebensjahre in einer Großstadt mit über 100.000 Einwohnern und ohne Haustiere verbracht haben. Für ihre Studie, die kürzlich im renommierten Fachmagazin PNAS veröffentlicht wurde, haben die Forscher insgesamt 40 gesunde männliche Probanden einem Stresstest unterzogen und begleitend dazu Stresshormone und immunologische Parameter erhoben. "Gestresst" wurden die Probanden in einem standardisierten Laborexperiment mit dem sogenannten "Trier-Social-Stress-Test" (TSST). Dabei werden die Versuchsteilnehmer einer fingierten Bewerbungssituation ausgesetzt und mehr und mehr unter Druck gesetzt. Sie müssen zwischendurch Kopfrechenaufgaben lösen und bei Fehlern erneut von vorne beginnen. Vor und nach dem Test haben die Wissenschaftler Blut- und Speichelproben entnommen, um bestimmte Immunzellen wie mononukleäre Zellen des peripheren Blutes (PBMC) zu gewinnen oder Stressparameter wie Cortisol zu erfassen.
Dabei kam heraus, dass die "Landbewohner" im Test zwar einerseits höhere
Stresswerte zeigten als die "Großstädter"; dabei waren sowohl die basalen
Stresshormonlevel höher als auch das im Fragebogen abgefragte subjektive
Stressempfinden. Andererseits ließ sich das Immunsystem der "Landbewohner"
nicht so stark zu einer Reaktion provozieren wie das der "Großstädter",
die in ihrer Kindheit keinen Kontakt zu Tieren hatten. So war bei den
Probanden, die in der Großstadt ohne Tiere aufgewachsen sind, nicht nur
der stressinduzierte PBMC-Anstieg größer, sondern auch die Werte für den
Entzündungsmarker Interleukin 6 blieben länger erhöht als bei der
Vergleichsgruppe.
Und ein weiteres klares Indiz, dass das Immunsystem der "Landbewohner"
Stress besser verkraftet, fanden die Wissenschaftler. Dafür wurden die
isolierten mononukleären Zellen des peripheren Blutes auf die Ausschüttung
des Entzündungshemmers Interleukin 10 untersucht. Das Ergebnis: nach dem
Stresstest war bei den tierlosen Städtern die Abgabe dieser
antientzündlich wirkenden Substanz deutlich verringert, nicht jedoch bei
den nutztiernahen Ländlern.
Für die Gesundheit sind überschießende Immunantworten ein Problem, weil
diese häufig zu chronischen Entzündungsreaktionen führen. "Solche Prozesse
spielen beispielsweise bei der Entstehung von Asthma und allergischen
Erkrankungen eine Rolle, vergrößern aber auch das Risiko für psychische
Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen und Posttraumatische
Belastungsstörungen, erläutert der Ulmer Psychoneuroimmunologe Stefan
Reber.
Schon länger ist bekannt, dass die Anfälligkeit für Asthma und Allergien
sowie für psychische Erkrankungen bei Menschen, die in der Großstadt
leben, überdurchschnittlich hoch ist. Mit dem globalen Trend zur
Verstädterung - immer mehr Menschen zieht es vom Land in die Metropolen -
gewinnt dieser Befund noch an Brisanz. Dass dabei der fehlende Kontakt zu
bestimmten Bakterien eine Schlüsselrolle spielt, wie die sogenannte
"missing microbes"-Hypothese besagt, wird in der Forschung seit ein paar
Jahren vermutet. In einem früheren Experiment mit Mäusen konnte ein
Forscherteam um Professor Reber bereits zeigen, dass sich die
Stressresilienz der Tiere durch die "Impfung" mit solchen altbekannten
Umweltbakterien verbessern lässt. Schön wäre es natürlich, wenn sich die
Ergebnisse von der Maus auf den Menschen übertragen ließen. Möglicherweise
könnte eine solche Impfung in Zukunft auch bei menschlichen Risikogruppen
funktionieren. Ob es in der Stadt vielleicht auch der frühe Kontakt mit
Haustieren tut, wollen die Wissenschaftler in einer Folgestudie
herausfinden.
Literaturhinweis:
Boebel T, Hackl S, Langgartner D, Jarczok MN, Rohleder N, Rook GA, Lowry
CA, Guendel H, Waller C, Reber SO: Less imune acitvation following social
stress in rural vs. urban participants raised with regular or no animal
contact, respectively, PNAS April 30, 2018, published ahead of print April
30
http://www.pnas.org/content/early/2018/04/24/1719866115
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.pnas.org/content/early/2018/04/24/1719866115
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution22
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Ulm, Andrea Weber-Tuckermann, 02.05.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2018
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