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ARTIKEL/470: Pränatale Diagnostik - Ist mein Baby gesund? (welt der frau)


welt der frau 3/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Ist mein Baby gesund?

Von Angelica Ensel


Pränatale Diagnostik kann beruhigen, wenn Eltern etwas über die Gesundheit ihres Kindes erfahren. Was aber, wenn der Befund unklar ist? Wer unterstützt die werdenden Eltern bei den schwierigen Entscheidungen? Und: Gibt es auch ein Recht, nicht alles zu wissen, was medizinisch festgestellt werden kann?


"Ich habe meine Unbefangenheit verloren", sagt Frau S. unter Tränen. Beim Feinultraschall in der 14. Schwangerschaftswoche wurde eine Zyste im Gehirn ihres Kindes festgestellt. Frau S. ist 42 Jahre alt und erwartet ihr zweites Kind. Vor zehn Jahren bei ihrem ersten Kind war pränatale Diagnostik noch kein Thema für sie. "Jetzt kreisen meine Gedanken immerzu um diese Zyste und ich finde mein Kind nicht mehr - auch wenn ich weiß, dass so eine Zyste völlig bedeutungslos sein kann", sagt sie. Aufgewühlt grübelt sie über Risikoziffern und Wahrscheinlichkeiten, die sie als Ergebnis der Untersuchungen bekam, und weiß nicht, wie damit umgehen. Eine Fruchtwasseruntersuchung könnte mehr Gewissheit über die genetische Konstellation ihres Kindes bringen, aber sie ist auch mit dem Risiko einer Fehlgeburt verbunden. Frau S. ärgert sich, dass sie überhaupt vor dieser Entscheidung steht. Den Ersttrimestertest, der ihr in der ärztlichen Praxis angeboten wurde, hat sie als eine Art Prävention verstanden. Eine Beratung, die vorher umfassend über eventuelle Folgen aufklärte, bekam sie nicht.


Mit Beunruhigung umgehen

Vorgeburtliche Untersuchungen können hilfreich sein und Eltern über die Gesundheit ihres Kindes beruhigen. Viele Eltern freuen sich, wenn sie ihr Kind auf dem Ultraschallbildschirm sehen. Darüber, dass Ultraschall nicht nur "Babyfernsehen" ist, sondern besonders in Kombination mit sogenannten Screeninguntersuchungen eine Kette von weiterer Diagnostik mit Beunruhigungen und belastenden Entscheidungen mit sich bringen kann, wird oft nicht ausreichend informiert.

Leider bergen die Untersuchungsmethoden und ihre Ergebnisse ein hohes Störpotenzial, das nicht nur die Gesundheit der Mutter körperlich und psychisch beeinträchtigen, sondern auch die wachsende Mutter-Kind-Beziehung erheblich stören kann.


Auswirkungen auf das Ungeborene

Frau S., die sich nach unserem Gespräch gegen eine Fruchtwasseruntersuchung entschieden hat, muss zwei Tage später in die Klinik, weil der Muttermund bedrohlich geöffnet ist. Die weitere Schwangerschaft verbringt sie liegend, um eine Frühgeburt zu verhindern. In der 36. Woche wird ein gesunder kleiner Junge geboren. Ein gutes Geburtsergebnis, alles in Ordnung - so sieht es zumindest aus, wenn man nur die Daten anschaut. Der kleine Junge ist jedoch sehr unruhig und schreckhaft. Er braucht viel Aufmerksamkeit und hat große Mühe, sich zu entspannen. Frau S. ist manchmal völlig verzweifelt, weil es so anstrengend ist und sie mit ihrem Kind leidet. Sie fragt sich, ob das nicht auch die Folgen von Stress und Anspannung in der Schwangerschaft sind. Es dauert ein ganzes Jahr mit viel Geduld, bis sich der Grundtonus des kleinen Jungen verändert hat.


Bindung zwischen Mutter und Kind

Neuere Ergebnisse der Hirn- und Bindungsforschung über die vorgeburtliche Entwicklung bestätigen den Verdacht von Frau S. In der pränatalen Phase, in der sich die "Grundmelodie des Lebens" entwickelt, sind Mutter und Kind körperlich und seelisch untrennbar miteinander verbunden. "Alles, was die Mutter bewegt, kommt als Impuls beim Ungeborenen an", sagt der Hirnforscher Gerald Hüther. So können sich Verunsicherungen und Ängste der Mutter körperlich und seelisch auswirken, zum Beispiel durch vorzeitige Wehen und Frühgeburtsbestrebungen. Der Stress beeinträchtigt aber auch die Entwicklung des kindlichen Gehirns und die wachsende Mutter-Kind-Beziehung. Das betrifft auch pränatale Diagnostik. Studien des Bindungsforschers Karl Heinz Brisch zu den Auswirkungen des Ultraschalls zeigen: Die Ängste der Mutter irritieren das Ungeborene, sie stören die Bindungsbereitschaft der Mutter und sie können langfristige Folgen haben wie Schwierigkeiten in der Interaktion von Mutter und Kind und Verhaltensauffälligkeiten beim Säugling und Kleinkind.


Hilfe oder Überforderung

Diese Erkenntnisse zeigen, welch dringende und vorrangige Aufgabe der Schutz dieser sensiblen Phase ist. In Zeiten der stetigen Weiterentwicklung von Gentechnologie und Diagnostik verschärft sich dieser ethische Auftrag für die Berufsgruppen, die mit schwangeren Frauen und werdenden Eltern arbeiten. Die Möglichkeit, etwas wissen zu können, was den eigenen Lebensentwurf entscheidend ändern könnte, und (scheinbar) über das eigene Schicksal entscheiden zu können oder zu müssen, stellt Eltern vor eine Verantwortung, die auch als Überforderung erlebt werden kann.

Kaum dass sie schwanger sind - zu einem Zeitpunkt, an dem sie emotional gerade erst begreifen, welche großen Veränderungen mit einem Kind in ihr Leben kommen werden -, müssen sich werdende Eltern heute mit angstbesetzten Themen wie Behinderung und Krankheit auseinandersetzen. Um die Untersuchungen zu verstehen, müssen sie sich mit Risikoziffern und Wahrscheinlichkeiten befassen, die ohne mathematisches Verständnis nicht exakt zu begreifen sind, jedoch aufgrund der Thematik eine hochemotionale Wirkung haben.


Die Angst der Ärztinnen

Oft wird vorgeburtliche Diagnostik nur aus der medizinischen Perspektive besprochen, die dahinterliegenden Fragen und Ängste ebenso wie die ethische Dimension bleiben außen vor. Aus Angst vor Regressforderungen raten ÄrztInnen oft zu pränataler Diagnostik. Nicht zuletzt ist das Geschäft mit der Angst ein nicht unbedeutender wirtschaftlicher Faktor. Aus Angst und weil das Wort von Arzt oder Ärztin eine große Bedeutung hat, entscheiden sich Eltern für die Untersuchungen, ohne zu wissen, dass der Preis für die scheinbare Sicherheit unter Umständen sehr hoch sein kann, auch wenn am Ende ein gesundes Kind geboren wird.


Was brauchen schwangere Frauen?

Zum Wesen der Schwangerschaft als einem von Natur aus unsicheren Zustand des Übergangs gehört auch heute noch der Wunsch, guter Hoffnung zu sein, Vertrauen in die eigene Kraft zu haben und danach, dass "alles gut wird". Die Tatsache, dass 97 Prozent aller Kinder gesund geboren werden, könnte diese Haltung eigentlich stärken. Tatsächlich ist es aber so, dass schwangere Frauen Bestärkung und Bestätigung vermissen, wie Studien zu Schwangerschaftserleben und pränataler Diagnostik bestätigen. In Zeiten zunehmender Technisierung und Pathologisierung der Schwangerschaft müssen schwangere Frauen und werdende Eltern entscheiden: Wollen wir wissen? Wie viel wollen wir wissen? Und welche Konsequenzen würde das eine oder das andere für uns haben? Die verantwortliche Begleitung dieser Fragen erfordert nicht nur Informationen über die Möglichkeiten, Risiken und Konsequenzen der pränatalen Diagnostik, sondern auch eine weitere Ebene der Fürsorge.


Alle Umstände sehen

Für die Begleitenden heißt das, sich einzulassen auf die Ambivalenzen der Frauen, mit ihnen die Unsicherheiten auszuhalten und das Dilemma, dass es keine "richtige" Lösung gibt. Das bedeutet Zeit haben, den Eltern einen Raum der Reflexion zur Verfügung stellen, in dem sie sich einlassen können auf bedrohliche Fragen, um herauszufinden, was sie wirklich brauchen. Dieses Gespräch bezieht den gesamten Kontext der Schwangerschaft ein, ebenso die Werte der Eltern, ihre Beziehungen und sozialen Netzwerke. Oft wird dann deutlich, dass die Angst vor einem behinderten Kind auch ein Kanal ist für viele andere mit der Schwangerschaft und dem neuen Lebensabschnitt verbundene Ängste und Unsicherheiten.


Unterstützung stärken

Dieser Angst zu begegnen, heißt, mit den Frauen schauen, was sie brauchen, damit es ihnen in ihrer Schwangerschaft gut geht. Oft fehlen Netze der Unterstützung, immer weniger sind Großeltern da oder andere Familienmitglieder, die Belastungen mittragen können. Gemeinsam mit den Frauen zu überlegen, wo ihre Ressourcen sind, und sie darin zu bestärken, zum Beispiel schon in der Schwangerschaft Netze der Unterstützung aufzubauen, verändert die Angst und stärkt die Kompetenz - auch in Bezug auf die Entscheidungen um vorgeburtliche Diagnostik. Oft finden die Frauen in diesem Prozess zurück zu ihrer Intuition und spüren, was für sie stimmig ist. Es entsteht wieder ein Grundvertrauen, die Aufgaben zu meistern, die das Leben stellt, und darauf, dass "alles gut" wird.


Eine reflektierte Entscheidung

Studien zeigen, dass 70 Prozent der Frauen sich nach einer umfassenden psychosozialen Beratung vor pränataler Diagnostik gegen die Untersuchungen entscheiden. Eltern, die auf dieser Grundlage eine reflektierte Entscheidung treffen, sind nicht nur in sich selbst gestärkt. Sie sind auch im Sinne einer informierten Entscheidung für Arzt oder Ärztin ein transparentes und berechenbares Gegenüber. Sie entlasten die MedizinerInnen von einer ihnen zugeschobenen Zuständigkeit für ein gesundes Kind - von ihrer eigenen Angst, die sie oft auf die Eltern übertragen. Die junge Frau, die ich zuletzt beraten habe, war sehr klar mit dem, was sie für sich und ihr Kind wollte. Sie wusste: "Ich will nicht die Angst meiner Ärztin tragen."

TIPP:
Beratungsstellen in den Bundesländern finden Sie auf
www.welt-der-frau.at unter Links/Medizin&Psychologie


Warum psychologische Beratung bei Pränataldiagnostik?

Pränatale Diagnostik gehört heute in Form von Ultraschalluntersuchungen selbstverständlich zur ärztlichen Schwangerenvorsorge. Frühe Screeninguntersuchungen (wie Nackentransparenzmessung und Ersttrimestertest), die in der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden, ermitteln ein statistisches Risiko für eine Fehlbildung des Kindes. Bei einem auffälligen Befund stehen Entscheidungen über weitere Untersuchungen (wie eine Fruchtwasseruntersuchung) mit dem Risiko einer Fehlgeburt an. Da bei einer Fehlbildung oder Erkrankung des Kindes nur selten eine Therapie möglich ist, stehen werdende Eltern dann vor der Frage, ob sie die Schwangerschaft abbrechen sollen oder nicht. Eine psychosoziale Beratung vor den Untersuchungen unterstützt die Klärungsprozesse und hilft, die richtige Entscheidung zu finden. Wenn die Diagnose ergibt, dass "nicht alles in Ordnung ist", bekommen Frauen und Eltern Unterstützung in existenziellen Entscheidungsprozessen und langfristige Begleitung. Die im österreichischen Mutter-Kind-Pass vorgesehenen Ultraschalluntersuchungen und auch die seit 1. Jänner 2010 zusätzlich vorgesehene Ultraschalluntersuchung zwischen der 8. und 12. Schwangerschaftswoche werden vom Gesundheitsministerium empfohlen und sind nicht verpflichtend. Der Erhalt von finanziellen Beihilfen ist nicht daran gekoppelt.

Weitere Informationen unter:
PRENET - Netzwerk für kritische Auseinandersetzung mit Pränataldiagnostik
c/o Nanaya - Zentrum für Schwangerschaft, Geburt und Leben mit Kindern
Zollergasse 37, 1070 Wien
Tel. 01 523 17 11
www.prenet.at, netzwerk@prenet.at


AUTORIN:
Dr.in Angelica Ensel ist Hebamme, Ethnologin und Journalistin in Hamburg. Sie berät Frauen und Paare vor, nach und während vorgeburtlicher Diagnostik.

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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
März 2010, Seite 30-33
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
Redaktion: Welt der Frau Verlags GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010

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