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MEDIEN/498: Film - Schmetterling und Taucherglocke (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 88 - 4. Quartal 2008
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Schmetterling und Taucherglocke

Von José García


Im vergangenen Jahr wurde Julian Schnabels Film "Schmetterling und Taucherglocke", der das Leben und Sterben eines Patienten mit Locked-in-Syndrom erzählt, mit Preisen geradezu überschüttet. Nun ist der Film, der auf einem wahren Schicksal basiert, auch auf DVD erschienen.


Wer nach einer längeren Operation aus der Narkose aufgewacht ist, kennt das eigenartige Gefühl: unzusammenhängende Bilder und Geräusche blitzen kurz auf, dann wird es wieder schwarz vor Augen, man verliert jegliches Raum-Zeitempfinden - bis das Bewusstsein nach und nach zurückkehrt. Diese Empfindungen stellt Regisseur Julian Schnabel in seinem Spielfilm "Schmetterling und Taucherglocke" mit filmischen Mitteln nach: unregelmäßige Auf- und Abblenden, Bilder in unterschiedlicher Schärfe, Fischaugenbilder, bei denen Gesichter sehr nah an die Kamera treten. Der Zuschauer begreift, dass er die subjektive Sicht eines Liegenden eingenommen hat.

Ein Arzt erklärt dem Liegenden, was geschehen ist: Der Patient hat einen Hirnschlag erlitten und zwei Monate im Koma gelegen. Nun leidet er an einem seltenen Syndrom, das den Hirnstamm so beeinträchtigt, dass der Patient völlig gelähmt, ein Gefangener seines Körpers ist. Er kann nur noch sein linkes Augenlid bewegen.

Der "echte" Jean-Dominique Bauby war 43 Jahre alt und Chefredakteur der Modezeitschrift "Elle", als ihn am 8. Dezember 1995 während einer Autofahrt mit seinem neunjährigen Sohn ein schwerer Hirnschlag traf, der ihn für zwanzig Tage ins Koma versetzte. Als er dann aus dem Koma erwachte, konnte er nicht sprechen. Außerdem war er vollständig gelähmt. Bauby litt am seltenen Locked-in-Syndrom, das heißt, er befand sich wie in einer Taucherglocke abgeschnitten von der Welt. Doch sein Geist war intakt, er konnte umherfliegen wie ein Schmetterling. Mit Hilfe eines Buchstabiersystems und dank der Unterstützung durch die Lektorin Claude Mendibil wird er seine Erfahrungen in Buchform veröffentlichen können: "Le scaphandre et le papillon" erscheint 1997, einige Wochen vor Baubys Tod. Die deutsche Ausgabe wird 1998 unter dem Titel "Schmetterling und Taucherglocke" veröffentlicht. Eine Neuauflage (als "Buch zum Film") erschien bei dtv pünktlich zum Filmstart.

Auf der Grundlage von Baubys Memoiren, die weltweit ein Beststeller wurden, und sich allein in Deutschland mehr als 400.000 Mal verkauften, entwickelte Ronald Harwood das Drehbuch für Julian Schnabels gleichnamigen Spielfilm, der 2007 beim Internationalen Filmfestival Cannes im Wettbewerb uraufgeführt wurde. In Cannes wurde "Schmetterling und Taucherglocke" mit dem Preis für Beste Regie ausgezeichnet, ehe er bei den Golden Globes die Preise für die Beste Regie und den Besten ausländischen Film gewann, und später viermal (Regie, adaptiertes Drehbuch, Kamera und Schnitt) für den Oscar nominiert wurde.

Im Krankenhaus von Berck-sur-Mer in der Normandie lernt Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric) mit Hilfe eines von der Sprachtherapeutin Henriette Durand (Marie-Josée Croze) entwickelten Buchstabiersystems, das die Buchstaben nach ihrer Häufigkeit in der französischen Sprache ordnet, sich mit dem Aufschlag seines linken Augenlids mitzuteilen.

So diktiert er der Lektorin Claude Mendibil (Anne Consigny) Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort seine Erfahrungen. In mühsamer, vierzehnmonatiger Arbeit entsteht auf diese Art das 130 Seiten umfassende autobiographische Buch, dessen Erscheinen Jean-Dominique Bauby noch erleben kann, ehe er an einer Infektion stirbt.

In den ersten dreißig Minuten nimmt die Kamera die Perspektive des Liegenden ein. Der Zuschauer sieht ausschließlich durch das linke Auge eines Mannes. Er hört aber auch seine Gedanken, die wie ein Schmetterling durch die Landschaft seines Geistes flattern, während der Körper in einer Taucherglocke gefangen bleibt.

Mit seiner dritten Regiearbeit bringt der bildende Künstler Julian Schnabel zum Ausdruck, wie ein Maler die Kinoleinwand behandelt - wenn er mit einem großartigen Kameramann wie Janusz Kaminski zusammenarbeiten kann. Sein visuelles Konzept erläutert Schnabel folgendermaßen: "Eine spezielle Behandlung des Bildes war notwendig, um Jean-Dos Innenleben zu visualisieren. Ich machte den Film ganz so, als hätte er eine Textur, einen Körper, als ob er Haut hätte. Die ganze Leinwand war die Haut, und so sehe ich das auch beim Malen. Beim Drehen hatte ich das Gefühl: Ich mache den Raum. Ich mache die Farbe. Ich verlieh dem Raum durch kurze Brennweiten eine Wölbung, und setzte ein fluoreszierendes Licht in die Ecke."

Jean-Dominique Bauby bekommt häufig Besuch von seiner Frau Céline (Emmanuelle Seigner) und den drei Kindern, obwohl sich Céline von ihm hatte scheiden lassen, als er sich mit einer Jüngeren einließ. Zu den ergreifendsten Momenten des Filmes gehört aber ein Telefongespräch Jean-Dos mit seinem Vater (Max von Sydow), der nicht mehr aus der Wohnung herauskommen kann.

"Schmetterling und Taucherglocke" bloß als ein Film "gegen Euthanasie" anzusehen, greift viel zu kurz. Denn trotz des bekannten tragischen Ausganges ist "Schmetterling und Taucherglocke" eine wahrhafte Hymne auf das Leben, eine Liebeserklärung an das Leben. Obwohl Bauby zunächst einfach sterben wollte, entdeckt er bald eine neue Schönheit am Leben. Jean-Do Baubys Geist bewegt sich lebendiger denn je, erlebt Augenblicke tiefer Verzweiflung, aber auch Momente echter Schönheit, und nicht zuletzt auch voller Komik. Die unaufdringliche Musik verstärkt den Eindruck eines wahren Meisterwerks.

Mit seinen 41 Minuten wird das Bonusmaterial der kürzlich veröffentlichten limitierten DVD-Edition verhältnismäßig kurz gehalten. Die hohe Qualität des Extra-Materials entschädigt den Zuschauer aber bei weitem dafür. So vermittelt das zwölfminütige Kapitel "Abgetaucht" einen überaus aufschlussreichen Einblick in das filmische Konzept von "Schmetterling und Taucherglocke". Denn der Film wird, besonders in der ersten halben Stunde, konsequent aus der Sicht des Liegenden erzählt. Dies bedeutet, dass der auf der Leinwand zu sehende Ausschnitt die Reichweite eines nur noch mit dem linken Auge sehenden, liegenden Menschen erreichen darf. Was wiederum nicht nur heißt, dass diese Bilder verwackelt und unscharf aussehen, sondern auch, dass durch eine Art Fischauge Gesichtsausschnitte, etwa Münder und Augen zu sehen sind.

Drehbuchautor Ronald Harword erläutert darüber hinaus, dass bei der Adaption von Baubys Buch erst die Idee, Jean-Dominique Bauby durch eine Kamera zu ersetzen, den Durchbruch brachte. In einem sehr persönlich gehaltenen Interview erklärt Regisseur Julian Schnabel die Gründe, die ihn zur Realisierung des Projektes bewegten, insbesondere weil die Vater-Sohn-Beziehung bei den Baubys seinem Verhältnis zu seinem eigenen Vater ähnelte. Der amerikanische Maler und Filmemacher führt außerdem aus, warum er unbedingt auf französisch und im authentischen Krankenhaus drehen wollte, wo Jean-Do Bauby die letzten Monate seines Lebens verbrachte.

Die einzigartige Fotografie des Filmes illustriert der für diese Arbeit mehrfach ausgezeichnete Kameramann Janusz Kaminski im siebenminütigen Feature "Augenblicke". Der "Director of Photography", der seit "Schindlers Liste" (1993) bei allen Steven Spielberg-Filmen die Kamera geführt hat, erläutert insbesondere die Interaktion der Schauspieler mit der Kamera und die Kunstgriffe, die nötig waren, um dem Zuschauer das Sehen durch ein Auge aus einer unbeweglichen Haltung begreiflich zu machen. Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang: All diese Kunstgriffe wurden bereits während der Aufnahmen durchgeführt, d.h. sie wurden nicht wie so häufig in Spielfilmen der letzten Jahre während der Post-Produktion im Computer erzeugt. Der nachdenkliche, aber auch zuweilen überraschend humorvolle Audiokommentar von Julian Schnabel rundet die Extras ab.

"Schmetterling und Taucherglocke" wurde im Oktober 2008 von den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Kino-Gilde deutscher Filmkunsttheater e.V., dem Verband der Filmkunst- und Programmkinos in Deutschland, mit dem Preis "Bester ausländischer Film" ausgezeichnet. Damit erhielt Julian Schnabels Film die einzige Auszeichnung, die in Deutschland in der Kategorie "internationaler Film" verliehen wird.


IM PORTRAIT
Dr. phil. José Gracía
José García, geboren 1958, Promotion in Mittelalterlicher Geschichte an der Universität Köln, arbeitet als Journalist und Filmkritiker insbesondere für "Die Tagespost" und den Internetdienst "Familie und Erziehung". Mitglied im Verband der Deutschen Filmkritik.

Im MM-Verlag erschien von ihm zuletzt "Träume, Werte und Gefühle. Die wundersame Welt von Film und Kino". Im diesem Herbst erschien sein jüngstes Buch: "Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen" im Augsburger Sankt Ulrich Verlag.


DVD-TIPP
Schmetterling und Taucherglocke

Schmetterling und Taucherglocke - Limited Edition. USA/Frankreich 2007 (Original: Le scaphandre et le papillon). Regie: Julian Schnabel. Mit: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Patrick Chesnais, Marina Hands, Max von Sydow. FSK ab 12 Jahren, 112 Minuten. Sprache: Deutsch: DTS/DD 5.1; Französisch: DD 5.1; Untertitel: Deutsch. EAN-Code: 4260170490025. 17,95 EUR.



BUCH-TIPP
José Garcia: Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen.
Gebunden, 208 Seiten, EUR 19,90. ISBN 978-3-86744-069-1

Große Filme haben nicht nur die Menschen ihrer Zeit begeistert, sondern transportieren auch eine zeitlose menschliche Botschaft. José García, der vielen Lesern durch seine profunden Filmkritiken bekannt ist, stellt in diesem faszinierenden Führer durch die Welt des Kinos 50 Meisterwerke vor, die Tiefgründiges über den Menschen aussagen. Die Auswahl deckt alle Genres ab und umfaßt den Zeitraum von 1947 bis heute. Klassiker wie "Die Brücke" oder "Schindlers Liste" sind ebenso dabei wie besonders gelungene Trickfilme oder mancher ausgefallene Streifen. Ein "Muss" für Kino-Fans.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Abb. S. 27:
- Wie kommuniziert man, wenn man nur noch ein Augenlid bewegen kann?
Abb. S. 28:
- Verliert an Würde, wer auf die Hilfe anderer angewiesen ist?
- Macht menschlich: Mitgefühl
Abb. S. 29:
- Selbst eine massiv eingeschränkte Existenz muss kein unglückliches Leben zur Folge haben.


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 88, 4. Quartal 2008, S. 27 - 29
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
Tel: 0821/51 20 31, Fax: 0821/15 64 07
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2009