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MEDIEN/658: Wie sind sie so geworden? Über den Film "Wenn Ärzte töten" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2010

Dokumentarfilm
Wie sind sie so geworden? Über den Film "Wenn Ärzte töten"

Von Jörg Feldner


Keine Schuldeingeständnisse, nur Rechtfertigungen und Verharmlosungen: Wie Ärzte zu erklären versuchen, warum sie der NS-Ideologie gefolgt sind.


Ein Dokumentarfilm mit dem Arzt und Gewaltforscher Robert Jay Lifton sucht nach den Bedingungen, die Ärzte im Dritten Reich zu Mördern werden ließen.

Nach landläufiger, gut begründeter Auffassung und schon seit der Antike verstehen sich Mediziner als Heiler. Trotzdem waren viele Ärzte - mehr als viele andere Akademikergruppen - von der biologisch-medizinischen Vision der Nazis angetan, dass eine Bevölkerung am ehesten zu einem gesunden Volk werde, wenn sie ihre weniger dem Idealbild entsprechenden Mitglieder und Nachbarn auslösche. Ärzte in Euthanasiezentren und Konzentrationslagern sind im Dienste dieser Vision zu Mördern geworden. Was hat sie zu ihren Taten fähig gemacht?

Dieser Frage ist der durch seine Arbeiten über die Haft in Konzentrationslagern und Extremtraumatisierung international bekannt gewordene amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton (84) in zahlreichen Interviews mit ehemaligen KZ-Ärzten nachgegangen. Über Liftons Ergebnisse haben Hannes Karnick und Wolfgang Richter nun einen Dokumentarfilm gedreht; "Wenn Ärzte töten" (Originaltitel: "Killing Jews for German Health") läuft seit einem Jahr in den Programmkinos.

In Kiel hat das John-Rittmeister-Institut (JRI) den Film in seiner Reihe "Psychoanalyse und Film" gezeigt. Der Film über Liftons Interviewergebnisse ist selbst ein Interview, ein gefilmtes, 90-minütiges Lehrgespräch. "Wenn Ärzte töten" hat weder eine Handlung im üblichen Sinne noch zeigt er eine Kette historischer Bilder. "Das Grauen muss der Zuschauer selbst imaginieren", sagte Dr. Mechthild Klingenburg-Vogel vom JRI einleitend. Ein Film, der vorwiegend spricht und Vertreter der sprechenden Medizin sicher packender ansprechen dürfte als den gewöhnlichen Kinogänger.

Zum Film: Gutsituierte ältere Ärzte in vielleicht etwas dunkler, aber behaglicher Wohnsituation - so schildert Lifton seine Interviewpartner; auffallend häufig übrigens mit Werken von Konrad Lorenz im Bücherregal. Liftons Interpretation dazu lautet: So, wie Lorenz es geschafft hatte, sich vom Nazi-Ideologen zum geachteten Wissenschaftler zu wandeln, so wollten auch die ehemaligen NS-Ärzte ihre Biographie verstanden wissen. Offene Schuldeingeständnisse sind ihm nicht begegnet, stattdessen gab es immer wieder Verharmlosungen ("Die Fotos zeigen Luftwaffenärzte, keine Nazi-Ärzte") und Rechtfertigungen ("Bin als junger Arzt Autoritäten gefolgt").

Den Positionswechsel vom Heiler zum Mörder - und nach der Nazi-Herrschaft wieder zurück zum Heiler - erklärt Lifton mit einer Doppelung oder Teilung des Selbst, dem Selbstbetrug vergleichbar. Erleichtert worden sei dieser Positionswechsel durch das überlieferte Elitebewusstsein der Ärzteschaft, das mit der Eliteideologie der Nazis koalieren konnte. Die ebenfalls traditionelle Loyalität großer Teile der Ärzteschaft (gegenüber ihrer Klinik, ihren Lehrern, ihrer Alma Mater), verbunden mit einer an Obrigkeiten wie Staat und Militär orientierten Erziehung, habe das Verstummen des Gewissens - zumindest während des Dienstes, denn im Urlaub war man wieder Bürger und Familienvater - ebenfalls begünstigt. Die Aussicht, der Wissenschaft zu dienen, wenn auch mit grauenvollen Experimenten an Häftlingen, mag das ihre dazu getan haben.

Klingenburg-Vogel hoffte, der Film möge für aktuelle politische Entwicklungen sensibilisieren. Das Elite-Geklingel von Finanzmanagern, Privat-Unis und Geldadel hört sich jedoch schon wieder verdächtig nach der Rechtfertigung von Sonderkonditionen für besondere Menschen an. Was auf der anderen Seite die Aufweichung der Solidarität mit den anderen - zum Beispiel Armen, zum Beispiel teuren Kranken - erleichtern würde.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201012/h10124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2010
63. Jahrgang, Seite 70
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2011