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RECHT/111: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - Kein Recht auf Abtreibung (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 96 - 4. Quartal 2010
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Kein Recht auf Abtreibung

Von Stefan Rehder


Es gibt kein Recht auf Abtreibung, nirgends. So und nicht anders muss das Urteil verstanden werden, mit dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kürzlich die Klage zweier Frauen abwies, die die Republik Irland verklagt hatten, weil sie sich aufgrund des dort geltenden Abtreibungsverbots gezwungen fühlten, ihre ungeborenen Kinder in Großbritannien abtreiben zu lassen.


Die Abtreibungs-Lobby hat eine weitere Niederlage erlitten. Nachdem - nicht zuletzt durch den tatkräftigen Einsatz von Lebensrechtlern - im Oktober vergangenen Jahres verhindert wurde, dass die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine Entschließung verabschiedete, welche das Weigerungsrecht von Ärzten und Hebammen, an vorgeburtlichen Kindstötungen mitzuwirken, de facto außer Kraft zu setzen suchte (vgl. LF Nr. 95, S. 12f), entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg kurz vor Weihnachten nun, dass sich aus der europäischen »Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten« kein Recht auf Abtreibung ableiten lasse.

Mit ihrer Entscheidung in der »Sache von A, B, und C vs. Irland« (Application no. 25579/05) machten die Richter den Abtreibungs-Lobbyisten, die wohl gehofft hatten, der EGMR werde anders entscheiden, einen fetten Strich durch die Rechnung. Zwei der drei Klagen, die Anwälte der irischen Vereinigung für Familienplanung (IFPA) bis vor den EGMR gezerrt hatten, wiesen die Richter gar als unbegründet ab. Die IFPA gehört - wie auch die deutsche »pro familia« - der International Planned Parenthood Federation (IPPF) an, der größten Abtreibungsorganisation der Welt. Dreistigkeit und eine gut gefüllte Kriegskasse siegen, wie vor allem zwei Fälle zeigen, eben nicht immer.

Bei dem einen handelt es sich um den Fall einer Alkoholikerin, die bereits vier Kinder zur Welt gebracht hatte. Aufgrund der Verfassung ihrer Mutter mussten sie alle in staatliche Obhut genommen werden. Als die Frau in Folge eines erwünschten Geschlechtsverkehrs zum fünften Mal schwanger wurde, entschied sie sich für eine Abtreibung. Weil die aber in Irland bei Haftstrafe verboten ist, ließ sie ihr Kind schließlich in einer britischen Privatklinik abtreiben. Um die vorgeburtliche Kindstötung bezahlen zu können, musste sie einen Kredit aufnehmen. Darin erblickten die IFPA-Anwälte eine unzumutbare Härte und witterten einen Verstoß gegen das in Artikel 8 der europäischen »Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten« verbriefte Recht auf Privat- und Familienleben.

In dem zweiten Fall hatte eine Irin vergeblich versucht, die unerwünschte Folge eines ebenfalls erwünschten Sexualaktes mittels der »Pille danach« aus der Welt zu schaffen. Auch hier argumentierten die IFPA-Anwälte, das irische Gesetz, das Abtreibungen nur bei akuter Lebensgefahr der Schwangeren erlaubt, verletzte das Recht auf Privat- und Familienleben und verstoße gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Das sah der EGMR anders. Weder würden die Frauen durch das irische Recht diskriminiert noch lege es ihnen unmenschliche Härten auf, entschieden die 17 Richter und wiesen beide Klagen kurzerhand ab.


INFO

EMRG
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMRG) wurde 1959 mit Sitz in Straßburg errichtet. Er soll über die Wahrung der in der europäischen »Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten« verbrieften Grundrechte wachen. Der auch als Europäische Menschenrechtskonvention bezeichnete Grundrechtskatalog wurde 1950 von den Mitgliedstaaten des Europarates verabschiedet und trat am 3. September 1953 offiziell in Kraft. Jedes Jahr werden beim EMRG rund 30.000 neue Beschwerden über tatsächliche oder vermeintliche Verstöße gegen die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten eingebracht.


Deutlich komplizierter gelagert ist der dritte Fall, der den Richtern zur Entscheidung vorlag. In ihm hatte eine Frau geklagt, die an einer seltenen Form von Krebs litt. Wie die beiden anderen Frauen war auch sie kein Opfer einer Vergewaltigung, sondern nach gewolltem Geschlechtsverkehr lediglich ungewollt schwanger geworden. Anders als ihre beiden Geschlechtsgenossinnen war für sie eine Geburt des Kindes auch offenbar nicht völlig ausgeschlossen. Weil die Ärzte ihr aber weder versichern konnten, dass ihr Kind die Krebstherapie unbeschadet überstehen würde, noch, dass ein Aussetzen der Therapie ihr eigenes Leben nicht gefährden würde, entschloss schließlich auch sie sich dafür, eine Abtreibung in Großbritannien durchführen zu lassen.

Auch in ihrem Fall bemängelten die Richter keineswegs das irische Abtreibungsverbot. Ein solches liege - wie die Richter in ihrem Urteil ausdrücklich festhalten - im Ermessen des jeweiligen Staates. Die Richter kritisierten lediglich, dass das irische Recht der Frau und den sie betreuenden Ärzten keine Möglichkeit gab, zu entscheiden, ob in ihrem speziellen Fall die Bedingungen für eine straffreie Abtreibung erfüllt waren. Der Grund: In Irland werden vorgeburtliche Kindstötungen seit 1861 mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht. Schätzungen zufolge reisen deshalb jedes Jahr rund 5.000 Frauen ins Ausland - vor allem nach Großbritannien -, um dort eine Abtreibung vornehmen zu lassen. 1983 stimmten zwei Drittel der Iren dafür, ein absolutes Abtreibungsverbot in die Verfassung aufzunehmen. Die dabei gewählte Formel, nach der das Leben der Mutter und das des ungeborenen Kindes denselben Schutz genießen, sollte sich später jedoch als ungeahnt problematisch erweisen.

Denn 1992 entschied das irische Verfassungsgericht in einem tragischen Fall, bei dem ein 14-jähriges Mädchen, das Opfer einer Vergewaltigung wurde und mit Selbstmord für den Fall drohte, dass ihr eine Abtreibung verwehrt bliebe, dass nach dem Wortlaut der irischen Verfassung Abtreibungen bei Lebensgefahr der Frau legal seien, wozu die Richter auch die Gefahr des Suizids zählten. Bis heute hat Irland jedoch weder die Verfassung in diesem Punkt geändert noch ein Gesetz erlassen, das die Bedingungen klärt, die erfüllt sein müssen, um in solchen, besonderen Fällen eine Abtreibung straffrei durchführen zu lassen. Aufgrund dieser Versäumnisse sprachen die Richter der dritten Frau in ihrem Urteil ein Schmerzensgeld von 15.000 Euro zu.

In Teilen der deutschsprachigen Medienlandschaft wurde die Entscheidung der Richter vielfach missverständlich wiedergegeben oder gar interpretiert. So titelte etwa die österreichische »Kleine Zeitung«: »Abtreibungsverbot in Irland gegen Menschenrechte«. Die ebenfalls in Österreich erscheinende Tageszeitung »Die Presse« überschrieb einen Bericht gar mit »Irland: Abtreibung bei Gefährdung als Menschenrecht«. Die in Deutschland erscheinende Tageszeitung »Die Welt«, die das Urteil zwar korrekt verstanden hatte, wartete, dessen ungeachtet, dennoch mit der reißerischen Schlagzeile »Schmerzensgeld für Frau, die nicht abtreiben durfte« auf. Dass es auch anders ging, demonstrierte ausgerechnet die linke Tageszeitung »taz«. Sie überschrieb ihren Beitrag, in dem sie sich kritisch mit dem Urteil auseinandersetzte, gleichwohl wahrheitsgemäß mit »Kein Recht auf Abtreibung«.

Beigetragen haben dürfte zu den von einigen Medien in die Welt gesetzten Irritationen allerdings auch, dass die IFPA versuchte, die Niederlage vor dem EMRG nach dem Urteil als einen großen Sieg zu verkaufen. So sprach IFPA-CEO Niall Behan am Tag der Urteilsverkündung von einem »Meilenstein für Irland und insbesondere für Frauen und Mädchen«. Das Urteil des EMRG lasse der Regierung keine Wahl, als Abtreibungen in den Fällen zuzulassen, in denen das Leben der Mutter in Gefahr sei.

»Ein Abtreibungsverbot liegt im Ermessen der Staaten.«

Dass dies keinesfalls der Fall ist, zeigt unter anderem auch folgender Umstand: Unter den 47 Staaten, die die »Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten« ratifiziert haben, besitzen Andorra, Malta und San Marino ein noch schärferes Abtreibungsrecht als Irland. Ähnlich streng wie in Irland sind außerdem die gesetzlichen Bestimmungen in Polen. Das Wichtigste aber ist: Trotz des dreisten Versuchs der IFPA, eine Niederlage vor dem EMRG als Triumph auszugeben, bleibt es dabei: Es gibt kein Menschenrecht auf Abtreibung, nirgends.


INFO

Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Artikel 8
Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.


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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Hier wird über die Einhaltung »Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten« gewacht.


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 96, 4. Quartal 2010, S. 14 - 15
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2011