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HINTERGRUND/191: Hamas tut sich schwer mit der "Stimme der Palästinenser" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Juli 2013

Nahost: Hamas tut sich schwer mit der 'Stimme der Palästinenser'

von Mohammed Omer


Bild: © Mohammed Omer/IPS

Mohammed Assaf ist zum UN-Botschafter des guten Willens ernannt worden
Bild: © Mohammed Omer/IPS

Gaza-Stadt, 17. Juli (IPS) - Mohammed Assaf ist der Stolz der Palästinenser, seit er in der ägyptischen Hauptstadt Kairo den Talentwettbewerb 'Arab Idol' gewonnen hat. Der 23-Jährige, der im Flüchtlingslager Chan Yunis im Süden des Gazastreifens aufwuchs, plant derzeit Plattenaufnahmen in Dubai und Auftritte in mehreren arabischen Ländern. Nur die Regierung im Gazastreifen lässt ihn weitgehend abblitzen.

Dabei hat Assaf seinen Landsleuten einen seltenen Glücksmoment beschert, als er nach seinem Titelgewinn in das von Israel belagerte Gebiet zurückkehrte. Tausende Menschen versammelten sich an der Grenze, um ihn zu empfangen. Doch Vertreter der Hamas-Regierung ließen sich nicht blicken.

Die radikal-islamistische Hamas, die im Gazastreifen herrscht, und die mit ihr rivalisierende Fatah, die in der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland das Sagen hat, reagierten völlig unterschiedlich auf Assafs Sieg in der TV-Casting-Show. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ernannte ihn umgehend zum UN-Botschafter des guten Willens für Palästina. Das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) machte ihn zum Goodwill-Botschafter für die Jugend.

Doch innerhalb der Hamas-Regierung schenkte nur das Kulturministerium Assaf Beachtung. Höhergestellte Politiker außerhalb der Partei richteten ihm einen kleinen Empfang aus, und der Parlamentsabgeordnete Yahya Mussa bezeichnete ihn als "Träger der Flamme der palästinensischen Kultur". Der Rest der Regierung zeigte sich unbeeindruckt.

Auf der jährlichen Abschlussfeier für etwa 500 Studenten der Palästinensischen Universität, die auch Assaf besucht, nannte ein Vorstandsmitglied der Universität die diesjährigen Graduierten die 'Assaf-Gruppe'. Ministerpräsident Ismail Hanija, der an den Festivitäten teilnahm, hielt an der Bezeichnung 'Palästinensergruppe' fest. Doch Hanija schien nicht den richtigen Ton getroffen zu haben. Minuten nach seinem Abgang sang die Menschenmenge die Songs, die Assaf zum Sieg verholfen hatten.


Hamas fürchtet Vereinnahmung durch Fatah

Für die Hamas sind Assafs vor Nationalstolz strotzende Lieder jedoch zum Problem geworden. Fans im In- und Ausland sind vor allem über den Song 'Ali el Koffeyeh' (Erhebe dein Palästinensertuch) begeistert. Viele Palästinenser schöpfen daraus Hoffnung auf einen geeinten Staat. Die Hamas bringt das Lied jedoch eher mit der Fatah in Verbindung. Die Kufiya war zudem die bevorzugte Kopfbedeckung des ehemaligen Palästinenserführers Jassir Arafat. Die Hamas befürchtet nun, dass Assaf die Beliebtheit der Fatah fördern könnte.

Assaf musste sich den Erfolg hart erkämpfen. Bevor er zum 'arabischen Idol' gekürt wurde, war er kaum einem Palästinenser bekannt, obwohl er schon als Kind mit dem Singen begonnen hatte. Auf Hochzeiten im Gazastreifen konnte er sich mit seinem Gesang ein kleines Zubrot verdienen. Beinahe hätte er nicht die Erlaubnis erhalten, zu dem Wettbewerb fahren zu dürfen.

Selbst mit der Genehmigung in der Tasche saß er so lange am Grenzübergang Rafah und an Straßensperren fest, dass er den Wettbewerb um ein Haar verpasst hätte. Am Ende setzte er sein Leben aufs Spiel, indem er an einer Sperre über eine Mauer kletterte. Als er verspätet in Kairo ankam, gab ein anderer palästinensischer Sänger seinen Startplatz auf, um Assaf eine Chance zu geben.

In anderen Teilen der arabischen Welt wird Assaf wegen seines Akzents und des Inhalts seiner Lieder als 'Stimme Palästinas' betrachtet. Den Islamisten ist jedoch ein Dorn im Auge, dass es in den Songs auch um Liebe geht. Die Hamas-Regierung habe sich in Schweigen gehüllt, weil solche Stücke "zu verrucht" seien, meint der Journalist Mohammed Abed, der im Gazastreifen lebt.

Für den Sänger selbst transportiert Musik immer eine Botschaft. "Die Medien haben immer versucht, unsere Kunst und Musik zu ignorieren. Ganz so, als sei der Gazastreifen nur ein Kriegsgebiet", sagte er. "Mein Erfolg hat aber gezeigt, dass wir eine friedliebende Nation sind."


Assaf ist "die beste Rakete"

Wie Ahmed Yousef, ein ehemaliger Berater des Hamas-Ministerpräsidenten, erklärte, kann die Partei nicht leugnen, dass Assaf ein "Phänomen" geworden sei. "Die Kunst eint die Palästinenser, während die Politik sie spaltet. Dies zeigt, dass die palästinensischen Politiker versagt haben." Der bekannte libanesische Sänger Ragheb Alama, der in der 'Arab Idol'-Jury sitzt, bezeichnete Assaf als "die beste Rakete, die je aus dem Gaza-Streifen kam, eine Friedensrakete".

Assaf ist bald auf den großen Bühnen der Welt zu erleben. Zusammen mit dem kolumbianischen Superstar Shakira wird er im nächsten Jahr bei der Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaften in Brasilien singen. Die in Dubai ansässige Plattenfirma 'Platinum Record' hat ihn bereits für zehn Jahre unter Vertrag genommen. Eine seiner Siegesprämien, einen Chevrolet Camaro, wird er aber aufgrund eines israelischen Einfuhrverbots vermutlich niemals im Gazastreifen fahren dürfen. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

https://www.youtube.com/watch?v=IWUpoQbejIU
http://www.unrwa.org/
http://www.ipsnews.net/2013/07/hamas-strikes-just-the-wrong-note/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2013