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HINTERGRUND/212: Korea - Brückenbauer zwischen Nord und Süd, zum 20. Todestag des Komponisten Isang Yun (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2015

Korea: Brückenbauer zwischen Nord und Süd - Zum 20. Todestag des Komponisten Isang Yun

von Corina Kolbe


BERLIN (IPS) - Am 3. November 1995 starb im Berliner Exil der deutsch-koreanische Komponist Isang Yun. Zeitlebens hatte er sich dafür eingesetzt, mit seiner Musik die politische Teilung Koreas zu überwinden. Der kommunistische Norden lud ihn aus Propagandagründen ein, während er in seiner Heimat Südkorea jahrzehntelang als vermeintlicher 'roter' Spion gebrandmarkt wurde. 1967 ließ ihn das damalige Militärregime in Seoul aus Deutschland in sein Geburtsland verschleppen, wo er inhaftiert und gefoltert wurde.

Südkoreas offizielle Haltung gegenüber Yun, der als erster asiatischer Komponist die westliche Musikavantgarde beeinflusste, ist bis heute ambivalent. Seine Volkslieder werden jedoch seit jeher von allen Koreanern gesungen. Ein Film der Regisseurin Maria Stodtmeier, der zu Isang Yuns 20. Todestag beim Label Accentus Music erschienen ist, dokumentiert eindrucksvoll seine utopische Friedensmission.


Von Kim Il-sung willkommen geheißen

Videoaufnahmen zeigen den Komponisten und seine Frau 1990 am Flughafen von Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas, wo sie von blumenschwenkenden Mädchen empfangen wurden. Das Regime des damaligen Diktators Kim Il-sung schmückte sich mit der Freundschaft zu einem Künstler, der international anerkannt war und seine koreanischen Wurzeln dennoch nie verleugnete. In den 1980er Jahren durfte er in dem Land ein eigenes Ensemble gründen, das seitdem seine Werke aufführt. Kim Il-sungs Sohn Kim Jong-il ließ nach Yuns Tod ein Museum bauen, in dem Fotos und andere Erinnerungsstücke ausgestellt sind.

Geboren wurde Isang Yun 1917 in der Hafenstadt Tongyeong, die heute zu Südkorea gehört und damals unter japanischer Herrschaft stand. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte er als junger Mann, wie die koreanische Halbinsel unter den Siegermächten USA und Sowjetunion aufgeteilt wurde. Isang Yun wollte damals das von Japan unterdrückte koreanische Musikerbe wiederbeleben und zugleich Anschluss an internationale Avantgardebewegungen finden. Mitte der 1950er Jahre reiste er nach Europa, wo er zunächst in Paris und dann in West-Berlin Komposition studierte. Bei den Darmstädter Ferienkursen, die nach dem Weltkrieg als erstes Forum für Neue Musik in Deutschland gegründet wurden, lernte er unter anderem John Cage und Bruno Maderna kennen.

Yun, dessen Werke für Europäer asiatisch und für Koreaner europäisch inspiriert klingen, setzte sich sowohl mit Arnold Schönbergs Zwölftontechnik als auch mit der traditionellen Musiksprache Ostasiens auseinander. Mit etlichen seiner Stücke wurde er nicht nur in Deutschland, sondern weltweit bekannt.


Nach Südkorea entführt und gefoltert

Kontakte zu der nordkoreanischen Botschaft in Ost-Berlin nutzte er dazu, das von Südkorea aus nicht mehr erreichbare Land zu besuchen, Musiker zu treffen und seine Kompositionen vorzustellen. Wie sein Biograf Walter-Wolfgang Sparrer erklärt, galt der Norden in Intellektuellenkreisen damals als das fortschrittlichere, aufgeklärtere Korea. Diese Verbindungen sollten Yun einige Jahre später zum Verhängnis werden.

1967 verschleppte der Staatssicherheitsdienst des südkoreanischen Militärdiktators Park Chung-hee den unbequemen Komponisten und weitere in Westdeutschland lebende Landsleute nach Seoul. Yun wurde als vermeintlicher Anführer eines Spionagerings in einem aufsehenerregenden Schauprozess zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt. Wie seine Witwe Sooja Lee in dem Film berichtet, erlitt er während der Haft brutale Misshandlungen. Bekannte Komponisten wie Igor Strawinsky, György Ligeti und Karlheinz Stockhausen forderten in Appellen an die Regierung in Seoul seine Freilassung. Auf Betreiben seiner Freunde und des Auswärtigen Amts in Bonn konnte er mit seiner Frau 1969 nach West-Berlin zurückkehren. Zwei Jahre später nahm das Ehepaar die deutsche Staatsbürgerschaft an. Südkorea sah Isang Yun nie wieder.

Sooja Lee erzählt, dass die Werke ihres Mannes in seiner Heimat 36 Jahre lang nicht aufgeführt werden durften. Auch nach seiner offiziellen Rehabilitierung 2007 bezichtigen ihn Konservative weiterhin der Spionage. Wie im Norden gibt es inzwischen aber auch im Süden ein Isang Yun gewidmetes Festival und eine Gedenkstätte, in der sogar eine in Nordkorea gefertigte Bronzebüste des Komponisten ausgestellt ist - als Zugeständnis an seinen ausdrücklichen Wunsch nach Versöhnung.

Maria Stodtmeiers Film 'Isang Yun - Inbetween North and South Korea' schildert nicht nur die bewegende Lebensgeschichte eines in Deutschland nahezu vergessenen Künstlers, sondern zeigt auch aus nächster Nähe, was die beiden Staaten trennt und verbindet. Die Regisseurin, die Nordkorea zuerst 2008 anlässlich der Aufzeichnung eines Konzerts der New Yorker Philharmoniker besuchen konnte, durfte mit ihrem Team in Nord- und in Südkorea drehen.


Das "Menschliche hinter der Fassade"

Diesseits und jenseits der Grenze werden Schüler im Unterricht streng gedrillt. Auch im Norden gehen junge Leute in ihrer Freizeit spazieren, lachen, haken sich bei Freunden unter. Oft erkennt der Zuschauer erst auf den zweiten Blick, in welchem Land die Szenen spielen, etwa wenn plötzlich westliche Leuchtreklamen oder junge Pioniere mit roten Halstüchern auftauchen. Vor dem Hintergrund der erschütternden Lebensgeschichte Isang Yuns tragen diese Szenen dazu bei, westliche Klischeevorstellungen von dem 'guten', mit den USA verbündeten Südkorea und Nordkorea als 'Reich des Bösen' zu relativieren. Ohne irgendetwas zu beschönigen, will Maria Stodtmeier in diesem Film "das Menschliche hinter der Fassade" zeigen.

In Südkorea verschwand Isang Yuns Musik selbst in den Jahren, in denen er von der Regierung kaltgestellt wurde, nie ganz aus dem Alltag. Für viele Schulen hatte er Hymnen komponiert, die weiterhin gesungen wurden, auch wenn sein Name zeitweise aus den Schulbüchern getilgt wurde. Im Gegensatz zu den volksnahen Liedern, mir denen sich alle identifizieren konnten, sind seine komplexeren Instrumentalkompositionen und Opern den meisten Südkoreanern jedoch kaum bekannt.

In Nordkorea wurde Yuns gesamtes Lebenswerk hingegen stets hochgehalten. Musik ist für das Regime nach wie vor ein willkommenes Propagandainstrument. In den Schulen werden Kinder dazu angehalten, ein Instrument zu lernen, um ihrem Land als 'gute Genossen' zu dienen. Die Cellistin Haeyeon Nam wurde vor 25 Jahren nach ihrem Examen an der Musikhochschule in Pjöngjang in das Isang-Yun-Forschungsinstitut versetzt, wo sie in dem nach ihm benannten Ensemble spielt.

Yuns diffizile Cello-Kompositionen treiben selbst Profis wie dem aus Südkorea stammenden US-Amerikaner Bong Ihn-Koh den Schweiß auf die Stirn. Der junge Musiker wurde 2008 eingeladen, mit dem Isang-Yun- Ensemble in Pjöngjang zu musizieren. Er konnte nur vier Tage bleiben, hatte bei seiner Abreise aber das Gefühl, Freunde zurückzulassen. "Emotional hat mich das alles sehr berührt", erinnert er sich. "Ich stellte mir vor, was Isang Yun wollte, wenn es um dieses heikle Thema der beiden Koreas geht. Ich wollte wirklich mit Isangs Stimme sprechen."

Haeyeon Nam, die sich seit mehr als 20 Jahren intensiv mit Isang Yuns Schaffen auseinandersetzt, sieht sein bekanntes Konzert für Violoncello und Orchester als Symbol für die Tragik seiner Existenz. Den Grundton 'A' habe Yun immer als den sichersten Ton bezeichnet, bei dem er ankommen wollte, sagt sie. "Aber das Cello im Cello-Konzert kommt nie bis zum 'A', sondern nur bis zum 'Gis', also dem Halbton unter dem 'A'. Das Stück endet auf dem 'Gis'. Dieses Konzert ist Isang Yuns Autobiografie, so bezeichnete er es immer. Man kann sagen, dass der Ton 'A' für Isang Yun die Wiedervereinigung Koreas bedeutete. Und das 'Gis' steht für die Trauer des Volkes, das sich nicht aussöhnen kann." (Ende/IPS/ck/19.10.2015)

Der Film 'Isang Yun - Inbetween North and South Korea' von Maria Stodtmeier ist im September 2015 bei Accentus Music erschienen.

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IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2015

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