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BERICHT/005: Hommage an Mikis Theodorakis - "Du bist Griechenland" (SB)


Politische Kunst ... notwendiger denn je

Matinee im Deutschen Schauspielhaus Hamburg am 1. April 2012


Mikis Theodorakis-Projektion im Bühnenhintergrund - Foto: © 2012 by Schattenblick

Nicht nur als Bild präsent - Mikis Theodorakis
Foto: © 2012 by Schattenblick

Einst als Wiege der zivilisatorischen Werte der europäischen Einigung gefeiert, macht Griechenland heute eher als Ruine der Politik totaler Ökonomisierung Furore. Wie der Wandel der EU von einer demokratischen Wertegemeinschaft zu einem betriebswirtschaftlich organisierten Akteur im globalen Wettbewerb Mensch und Gesellschaft dem alleinigen Maßstab wirtschaftlicher Rentabilität unterwirft, so werden dem mediterranen Land alle historischen und kulturellen Errungenschaften abgesprochen, um sein Existenzrecht ausschließlich in Form blanker Zahlung unter Beweis zu stellen. Zerrissen im Sozialkampf zwischen der eigenen Oligarchie, den die politischen Mißstände verwaltenden Funktionseliten und einer mit massenhafter Verarmung und Verelendung geschlagenen Bevölkerung soll Griechenland heute wieder zur Beute jener imperialistischen Mächte werden, die es militärisch besetzt, neokolonialistisch beherrscht und ökonomisch ausgeplündert haben. An Griechenland wird exekutiert, was anderen europäischen Gesellschaften, vornehmlich der südlichen und östlichen Peripherie, ins Haus steht - die Sicherung kapitalistischer Reproduktion zu Lasten aller sozialen Vergünstigungen, die, in historischen Kämpfen erstritten, mit der Totalität neoliberaler Globalisierung angeblich entbehrlich geworden sind.

Der Okkupation, Unterwerfung und Auspressung stemmt sich seit jeher jenes andere Griechenland entgegen, das im Widerstand gegen die Besatzungsmächte, dem Kampf gegen die reaktionären Kräfte im Bürgerkrieg, dem Aufbegehren gegen die Militärjunta und im Protest gegen das Elendsregime der Schuldherrn für eine ebenso lange wie inspirierende Geschichte der Unbeugsamkeit steht. Der Name Mikis Theodorakis ist untrennbar mit diesem Streit verbunden, hat er doch als Musiker, Dichter und Politiker unter Einsatz seines Lebens für die Unabhängigkeit seines Landes gekämpft. Wo er nationales Erbe und die Freiheit des Volkes beschwört, entbehrt dies jeglicher chauvinistischen Konnotation. Sein Brückenschlag zu emanzipatorischen Bestrebungen in aller Welt gründet auf einem gelebten Internationalismus, den er kraft seiner Authentizität als Person und Künstler beflügelt.

Bühnenbild vor Beginn - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

Mikis Theodorakis gehört zweifellos zu den bedeutendsten Künstlern seines Landes, dringt doch aus der Fülle dieses Werkes seine Stimme auf vielfältige und nicht selten ungeahnte Weise an unser Ohr. Zu seinen herausragenden Lebensleistungen zählt die Verbindung von hoher Kunst und volkstümlicher Kultur, womit er sich dem womöglich höchsten Anspruch künstlerischen Schaffens verschreibt - die Menschen zu erreichen und zu bewegen. Er ist einer von uns, sagen die Leute, die auf der Straße, in der Taverne, bei der Arbeit seine Lieder singen. Dabei repräsentieren seine Kompositionen gleichsam ein kulturelles Gedächtnis Griechenlands, das er stets im Sinne ungebrochenen Engagements für eine Lebensfreude verkörpert, der Erniedrigung und Entwürdigung ein Greuel sind. Ihn zu vergessen hieße, den unbotmäßigen Geist der Griechen zu unterschätzen, mag er auch nur noch als Funke in der Asche aktueller Verheerungen glimmen. Das griechische Erbe der Rebellion zu mißachten, hieße den Ketten das Wort zu reden, in die man die Bevölkerung dieses Landes legt, und dabei zu übersehen, daß es die eigenen Fesseln sind.

Die Hommage "Du bist Griechenland" würdigte Mikis Theodorakis als herausragenden Repräsentanten jenes anderen Griechenlands, das man als Stachel im Fleisch der Zurichtung zu leugnen, auszugrenzen und zu eliminieren trachtet. Wie er von Jugend an Partei für die Unterdrückten ergriffen hat und niemals den Stiefel in seinem Genick dulden mochte, seine Stimme gegen das NATO-Bombardement in Jugoslawien, die Drangsalierung Abdullah Öcalans, die Knechtung der Palästinenser und den Irakkrieg erhoben hat, mischt sich der fast 87jährige noch immer ein, wenn er wie jüngst entschieden gegen die Schuldknechtschaft seines Landes zu Felde zieht. Die Theodorakis-Matinee im Hamburger Schauspielhaus war mithin undenkbar ohne aktuellen Bezug und ausdrücklich als Beitrag zur Solidarität mit dem griechischen Volk konzipiert.

Auf der Bühne vor eine Mikis Theodorakis-Projektion - Foto: © 2012 by Schattenblick

Gerhard Folkerts, Julia Schilinski, Rolf Becker
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Komponist, Konzertpianist und Theodorakis-Kenner Gerhard Folkerts, der Theater- und Filmschauspieler wie auch Rezitator Rolf Becker und die vielseitige Mezzosopranistin Julia Schilinski treten seit 2009 gemeinsam mit Theodorakis-Programmen auf. Im Juli 2010 gaben sie mit der Hommage "Ein Leben für die Freiheit" ein Gastspiel im Schauspielhaus, dessen Resonanz beim Publikum geradezu Verpflichtung war, das Werk des einflußreichen griechischen Künstlers erneut und im Lichte jüngster Entwicklungen zu präsentieren. In der aktuellen Darbietung wirkten der Autor und Griechenlandkenner Eberhard Rondholz mit zwei Wortbeiträgen und der gemischte Chor der Hamburger Singakademie unter der Leitung von Jörg Mall mit dem Vortrag von drei Liedern mit.

"Du bist Griechenland" ist der Titel eines Liedes, das Theodorakis 1968‍ ‍im Gedenken an seinen Mitgefangenen Andreas Lentakis schrieb, der unter der Militärdiktatur zu Tode gefoltert wurde, wobei man Mikis zwang, dies mitanzuhören. Ein Zitat aus diesem Lied, "Du wirst der, der du gewesen bist, einst wieder sein .... Du bist Griechenland", macht auf tief ergreifende Weise die Bedeutung des gewählten Veranstaltungstitels deutlich. So wenig Theodorakis den gequälten Mitgefangenen jemals vergißt und so sehr er seinen Kampf in einem künftig befreiten Griechenland erfüllt zu sehen hofft, so sehr lag den Veranstaltern daran, auch Mikis Theodorakis selbst als Verkörperung eines nicht zu unterwerfenden Volkes und mithin lebendige Inspiration aller Drangsalierten der Gegenwart zu würdigen.

Beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Rolf Becker
Foto: © 2012 by Schattenblick

Will man den tiefen Eindruck dieser Hommage in prägnante Worte fassen, würde dem nichts besser gerecht, als von der greifbaren Gegenwart des Gewürdigten zu sprechen. In einem nahtlos gewebten Spannungsbogen von gesprochenem Text, vorgetragenen Liedern und akzentuierender Klavierbegleitung traten die Zuhörer eine Reise durch sorgsam gewählte und arrangierte Stationen und Aspekte eines vielschichtigen und weitreichenden Lebenswerks an, dessen Botschaft zahlreiche Saiten ein- und desselben Instruments anschlug: Stets ging es um Freiheitsstreben, das sich im Lebensgefühl eines "Zorba" oder in einem ergreifenden Liebeslied ebenso Bahn brach wie in der Zitation historischer Aufrufe oder gebündelter Analysen gegenwärtiger Verwerfungen. Das Publikum hielt den Atem an und wagte mitunter nicht einmal, mit seinem Beifall die Ergriffenheit zu stören. Hochachtung vor der künstlerischen Darbietung verschmolz so mit einer Berührung und Betroffenheit, die einem politisch zu nennenden Erkenntnisprozeß fern aller Parolen, plakativer Bevormundung oder moralischer Appelle die Tür öffnete.

Gerhard Folkerts - Foto: © 2012 by Schattenblick

Gerhard Folkerts
Foto: © 2012 by Schattenblick

Ob Biographien entnommene Passagen, persönliche Stellungnahmen zu speziellen Themenkomplexen, schlichte Volkslieder oder kompositorisch anspruchsvolle symphonische Werke - stets korrespondierte die Mannigfaltigkeit künstlerischer Ausdrucksformen mit einer fruchtbaren Versöhnung vermeintlich unvereinbarer kultureller Sphären. Mikis Theodorakis war zeitlebens bestrebt, die Hierarchisierung von Kunst als Widerspiegelung für unveränderbar erklärter gesellschaftlicher Widerspruchslagen zu bestreiten. So machte er Poeme der bedeutendsten griechischen Dichter wie Jannis Ritsos durch seine Vertonung zum Volksgut seines Landes oder komponierte Oratorien wie "Axion Esti" zu Texten von Odysseas Elytis. Der "Canto General", ein von ihm vertonter Gedichtzyklus des chilenischen Dichters Pablo Neruda über den Kampf gegen den Kolonialismus in Lateinamerika, unterstreicht einmal mehr den solidarischen Blick weit über Griechenland hinaus, wie er einst für zahllose Menschen auch in den westlichen Ländern selbstverständlich war.

Beim Vortrag auf der Bühne - Foto: © 2012 by Schattenblick

Eberhard Rondholz
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wie dramatisch sich die Perspektive verengt und Zugewandtheit in konkurrenzgetriebenen Chauvinismus verkehrt hat, zeigt die Verunglimpfung der Griechen, die als Faulenzer, Diebe und Betrüger diskreditiert werden. Dieser Kampagne der Bezichtigung fuhr der frühere WDR-Journalist Eberhard Rondholz mit zwei ins Programm eingebetteten Wortbeiträgen gekonnt in die Parade. So erinnerte er unter anderem daran, daß Anfang 2010, als die verheerenden griechischen Wirtschaftsdaten längst kein Geheimnis mehr waren, Außenminister Guido Westerwelle in Athen den Kauf von 60 Eurofightern zum Preis von zwei Milliarden Euro anmahnte. Deutsche und französische Politiker drängten Griechen und Türken zu Käufen von Waffen, die mithin zwei NATO-Partner aufeinander richten, und dies, obgleich der drohende Staatsbankrott Griechenlands aller Welt bekannt war. Das kleine Land mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern besitzt doppelt so viele Kampfpanzer wie die Bundeswehr und damit die größte Panzerarmee der EU. Wie Krieg und Kapitalismus aufs engste einandern bedingen, findet hier seine überzeugende Illustration.

Julia Schilinski  - Foto: © 2012 by Schattenblick Julia Schilinski  - Foto: © 2012 by Schattenblick Julia Schilinski  - Foto: © 2012 by Schattenblick Auf der Bühne - Foto: © 2012 by Schattenblick

Julia Schilinski
Foto: © 2012 by Schattenblick

Hamburger Singakademie
Foto: © 2012 by Schattenblick

So bot der sonntägliche Mittag im Hamburger Schauspielhaus dem Publikum über den aktuellen wie zeitgeschichtlichen Bezug auf das Werk Mikis Theodorakis' auch die Gelegenheit, die hierzulande häufig auf einige populär gewordene Vertonungen seiner Lieder verkürzte und bisweilen trivialisierte Rezeption seines Werks zu erweitern. Wie Julia Schilinski, die seit einer Aufführung des "Canto General" in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, bei der Gerhard Folkerts im Publikum saß, mit ihm und Rolf Becker zusammenarbeitet, gegenüber dem Schattenblick hervorhob, werde Theodorakis in der Bundesrepublik nicht richtig ernst genommen. Man verkenne die Aufrichtigkeit in diesen Klängen und den Wunsch des Komponisten, sich mit den Menschen zu verbinden, als etwas Volkstümliches im kulturell abwertenden Sinne. Die Künstlerin, deren klassische Gesangsausbildung sie nicht davon abhält, das Spektrum ihres Könnens als Wanderin zwischen den musikalischen Welten auszuloten, trat an diesem Tag hingegen den Beweis für das Gegenteil an. Ohnehin wäre zu fragen, wieso sich die Vermittelbarkeit einer politisch konnotierten Kunst und ihr Anspruch auf ein höchsten Maßstäben gerecht werdendes Können ausschließen sollten. Der demokratische Charakter der Werke Theodorakis' verpflichtet zu mehr, als den ästhetischen Parametern einer Musikwissenschaft Genüge zu tun, die in der Selbstreferenzialität akademischer Refugien ihrerseits am gesellschaftlichen Geltungsanspruch zu scheitern droht.


Stimmen aus dem Publikum

Ein haitianischer Philosoph mit besonderer Beziehung zur griechischen Kultur freut sich darüber, daß in der Veranstaltung auf die komplizierte Situation verwiesen wird, in der sich die griechische Bevölkerung befindet. Er würdigt die historische Rolle, die Mikis Theodorakis für die griechische Kultur hatte und hat, lobt sein Eintreten gegen die Militärdiktatur in Griechenland und erinnert dabei insbesondere an seine Solidarität mit dem chilenischen Volk. Theodorakis sei für ihn ein Vorbild dafür, wie heute internationale Solidarität zum Ausdruck gebracht werde, nämlich für die Erfordernis, nicht nur für die eigene Befreiung zu kämpfen, sondern für die Befreiung in allen Ländern.

Ein Besucher, der privat wie geschäftlich häufig nach Griechenland reist, empört sich über die von vielen deutschen Politikern und Journalisten zum Ausdruck gebrachte Arroganz, mit der der Fleiß der griechischen Bevölkerung in Abrede gestellt wird. Er selbst habe erlebt, wie griechische Monteure beim Aufstellen von Maschinen bei großer Hitze so lange gearbeitet hätten, bis ihre Aufgabe erledigt gewesen wäre, selbst wenn dies 23 Stunden dauerte. Deutsche Monteure hingegen legten ihre Werkzeuge nach neun Stunden hin, so der Holsteiner, dem von Griechen nicht nur einmal mit auf den Weg gegeben wurde, er solle Bundeskanzlerin Merkel, wenn er sie treffe, grüßen und eine "auf die Fresse" geben. Die Griechen wüßten, daß es viele freundliche Deutsche gebe, sie reagierten allerdings insbesondere vor dem Hintergrund der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg sehr empfindlich auf die Herabwürdigung, die sie in den letzten zwei Jahren aus der Bundesrepublik vernehmen mußten.

"Griechenland ist überall", erklärt eine Frau, die es bemerkenswert findet, daß an diesem 1. April in Hamburg verkaufsoffener Sonntag ist, während im Schauspielhaus das Problem der kapitalistischen Zurichtung von Kultur und Gesellschaft thematisiert wird. "Nicht mehr mitmachen" lautet ihre Antwort auf den Niedergang einer von Konsumismus und Profitstreben gezeichneten Welt, was den sozialrevolutionären Theoretiker John Holloway, der darin einen gangbaren Weg zur Überwindung des Kapitalismus sieht, sicherlich zu hören gefreut hätte.

Giorgos und Katerina aus Griechenland sind gekommen, um ihrer Wertschätzung darüber Ausdruck zu geben, daß Mikis Theodorakis als Künstler und Musiker mit seinen Ansichten zum Leben und zur Freiheit wie seinem Kampf gegen die Militärdiktatur ein großes Vorbild ist. Mikis sei eine demokratische Person, die man keiner bestimmten Partei zuordnen könne, sondern die sich für den Widerstand aller Griechen gegen die sozialen Zumutungen stark mache, die aus der europäischen Austeritätspolitik resultieren. Sie betonen die wichtige Rolle, die Musiker und Dichter seit jeher in der griechischen Gesellschaft einnehmen, wenn es darum geht, den Nöten und Sorgen der Bevölkerung eine Stimme zu geben. Allerdings befürchten Giorgos und Katerina auch, daß es sich bei Vorbildern wie Mikis Theodorakis möglicherweise um die letzte Generation der "Menschen von Zivilisation" handelt, die noch in der Lage wären, diese verantwortungsvolle Position einzunehmen. So lange noch Menschen wie Mikis lebten, gebe es Grund zur Hoffnung, doch das könne sich in zehn Jahren grundlegend geändert haben.

Abschluß der Veranstaltung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

Insgesamt waren sich die von den Schattenblick-Mitarbeitern befragten Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung einig in der Würdigung nicht nur der künstlerischen Leistung, sondern vor allem der politischen Fürsprache des griechischen Komponisten für die Belange ausgebeuteter und unterdrückter Menschen. Sie zeigten sich ergriffen ebenso vom künstlerischen Gehalt wie von der inhaltlichen Qualität der Darbietungen auch deshalb, weil sie im Zeichen der Solidarität für die Bevölkerung eines Landes stehen, die in Medien und Politik der Bundesrepublik auf irreführende und verletztende Art und Weise verächtlich gemacht wurde und wird.

Publikum aus Bühnensicht - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Künstler haben ihr Publikum erreicht
Foto: © 2012 by Schattenblick

4.‍ ‍April 2012