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BERICHT/029: "Die tote Stadt" oder die Mäßigkeit des Niedergangs ... (SB)


Opernpremiere in Magdeburg

von Christiane Baumann, Januar 2016


Zwischen Traum, Wahn und Wirklichkeit:
Korngolds Oper "Die tote Stadt" erlebt umjubelte Premiere (23.01.2016) im Magdeburger Opernhaus

Als nach zweieinhalb Stunden Wolfgang Schwaninger alias Paul im Magdeburger Opernhaus allein vor dem sich langsam senkenden schwarzen Vorhang steht und die letzten Töne von dem berühmten Lied "Glück, das mir verblieb" verklingen, bricht tosender Beifall aus. Regisseur Jakob Peters-Messer, der für seine "Miriways"-Inszenierung in Magdeburg viel Lob bekam, hat ohne Frage mit Erich Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt" einen weiteren Coup gelandet. Es ist ihm gelungen, das Trauma der "toten Stadt" in einer berührenden und facettenreichen Inszenierung mit Sinnlichkeit und Esprit auf die Bühne zu bringen.

Die Oper "Die tote Stadt" schrieb Korngold 1919, gerade mal 22-jährig, unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg und war damit überraschend erfolgreich. Er wurde in den 1920er Jahren in Deutschland neben Richard Strauss zu einem der meistgespielten Opern-Komponisten. 1927 erhielt Korngold eine Professur an der Wiener Akademie. Doch die Nationalsozialisten setzten dieser beispiellosen Karriere ein Ende. Als Jude musste Korngold Deutschland verlassen und emigrierte in die USA, wo sein Sound zu Max Reinhardts "Sommernachtstraum"-Film 1934 für Aufsehen gesorgt hatte. Für 19 Hollywood-Streifen schrieb Korngold in den Folgejahren die Musik, die er wie eine Oper durchkomponierte und für die er zwei Mal einen Oscar erhielt. Als Begründer des modernen Soundtracks ging er in die Filmgeschichte ein. Schon in seiner frühen Oper "Die tote Stadt" ist in der Musiksprache Korngolds spätere Affinität zum Film angelegt.

Das Libretto für "Die tote Stadt", das Korngold mit seinem Vater verfasste, basiert auf dem Roman "Bruges-la-Morte" (Das tote Brügge) des belgischen Autors Georges Rodenbach. Paul, die Hauptfigur, trauert geradezu obsessiv um seine verstorbene Frau Marie. Sein Haus gleicht einer "Kirche des Gewesenen" und damit der Stadt Brügge, die einst eine florierende Hafenstadt war und mit dem Verlust des pulsierenden Meeres ihre Pracht einbüßte. Der Titel "Die tote Stadt" symbolisiert somit nicht nur den Abschied vom Leben, von einem geliebten Menschen, sondern steht für das Ende einer Epoche, der Habsburger Monarchie, die mit dem ersten Weltkrieg unterging. Tod und Zerstörung, gesellschaftlicher Niedergang, Verlust, Schmerz und Trauerbewältigung sind die zentralen Themen der Oper, die in der Nachkriegszeit die Menschen bewegten, was nicht zuletzt die ungeheure Wirkung der Oper in den 1920er Jahren erklärt. Als Paul der Tänzerin Marietta begegnet, die Marie wie aus dem Gesicht geschnitten ist, glaubt er an deren Wiederauferstehung und es beginnt ein Spiel zwischen Traum und Realität, in dem Paul begreifen muss, dass Marietta, die die Männer mit ihrer Sinnlichkeit und Erotik verzaubert und wie im "Rausch" lebt, eben nicht Marie ist.


Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Wolfgang Schwaninger (Paul) und Noa Danon (Marietta)
Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Während in der Romanvorlage Rodenbachs die Hauptfigur tatsächlich zum Mörder wird, erlebt Paul in Korngolds Oper den Mord im Traum, der ihn läutert und die Chance eröffnet, sein Trauma zu überwinden und ein neues Leben zu beginnen. Der Einfluss Sigmund Freuds, dessen Psychoanalyse und Traumdeutung um die Jahrhundertwende en vogue waren, ist unverkennbar. Der Traum wird in der Oper zum konstituierenden Moment, das alle drei Bilder durchzieht und Pauls im Unterbewusstsein schlummernde erotische Wünsche wie auch Ängste und Schmerz sichtbar macht.

Die Magdeburger Inszenierung setzt diese Zusammenhänge visuell um. Das Bühnenbild wird von einem überdimensionalen Bilderrahmen bestimmt, der die verschiedenen Handlungsebenen verbindet und historische sowie künstlerische Bezüge herstellt. So korrespondiert Pauls Totenkult mit Bildern des alten, verlorenen Brügge, die über Laserlichteffekte als Hintergrundfolie eingeblendet werden. Der Bilderrahmen wird plötzlich zur Kinoleinwand, auf der Porträts aus Hitchcocks legendärem Thriller "Vertigo", in dem der Polizist Scottie ebenso besessen wie Paul um eine Frau trauert, erscheinen und den Blick auf das literarische Sujet weiten. Schließlich wird der Bilderrahmen zur Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit. Steht er im ersten Bild wie eine schwarze Wand, die das Zimmer als Gruft erscheinen lässt, öffnet sich diese Barriere im zweiten Bild, das den Beginn des Traums markiert. Lange weiß-silberne Schleier, auf denen farbige Luftballons gen Himmel schweben, hängen herab und deuten auf Pauls Leben zwischen Traum, Wirklichkeit und Wahn. Wolfgang Schwaninger, der als Gast für die Magdeburger Inszenierung verpflichtet wurde, kann als Glücksgriff bezeichnet werden. Er spielt diese Zerrissenheit Pauls und sein Schwanken zwischen Trauer, Schmerz und Begehren überzeugend und meistert die so überaus anspruchsvolle Partie gesanglich souverän, fast spielerisch. Er  i s t  der bis zum Wahnsinn Trauernde, der lebendige Tote, aber ebenso der von Begehren Gequälte und vor Eifersucht Tobende, der Marietta ihre Untreue und ihren losen Lebenswandel vorwirft. Noa Danon als Marietta zieht in der Theater-Szene alle Register. Als wilde Helene aus Meyerbeers Oper "Robert der Teufel", die von den Toten auferstanden ist, lässt sie ihren Verführungskünsten freien Lauf.


Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Leidenschaft - (von l.n.r.:) Liske (Graf Albert), Eric Schubert (Gaston), Noa Danon (Marietta), Thomas Florio (Fritz), Manfred Wulfert (Victorin)
Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Korngold zitiert und parodiert hier Meyerbeer, bietet sozusagen die Oper in der Oper und einen weiteren thematischen Bezug. Es ist eine bizarre Szenerie, in der Marietta zwischen Selbstverteidigung und -behauptung, zwischen Vamp und liebender Frau schwankt, um dann doch um Pauls Liebe zu kämpfen. Noa Danon spielt Marietta einfühlsam, stimmlich weich, so dass das Schrille und Provokante der Partie in den Hintergrund tritt. Die Idee, sie im ersten Bild als Marie hinter dem Bilderrahmen, sozusagen aus dem Background, singen zu lassen, ist dramaturgisch konsequent, beeinträchtigt jedoch in der Umsetzung die Verständlichkeit dieser Passagen.

Regisseur Peters-Messer gestaltet das Schweben zwischen Wirklichkeit und Traum Szene für Szene und verwandelt dabei die Wirklichkeit immer wieder in Traumbilder. So funktioniert das Gauklerensemble in der Theater-Szene plötzlich den Reliquienschrein Pauls zum Tanzrequisit um. Der Schrein wird schließlich in der Prozessionsszene wieder zum Mittelpunkt des Geschehens, in dem Maries Zopf in einem Akt der Säkularisierung zum Gegenstand christlicher Anbetung avanciert und Paul seine Leidenschaft zu Marietta einmal mehr als Sünde empfindet. Das Unbewusste meldet sich nachdrücklich zu Wort und reklamiert geltende Moralnormen.


Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Wolfgang Schwaninger, Ensemble
Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Endet der Roman Rodenbachs mit dem Mord an der Doppelgängerin und Korngolds Oper mit der hoffnungsvollen Variante der Katharsis, wählt die Magdeburger Inszenierung einen offenen Schluss. Sie bleibt konsequent in der Schwebe. Der Mord findet statt, Polizei und Arzt stehen hinter dem Bilderrahmen bereit, den Wahnsinnigen in ihre Obhut zu nehmen. Doch sie befinden sich hinter dem Bilderrahmen und damit in der Traumebene. Paul singt von seinem Wunsch, einen Neuanfang zu versuchen, aber vor ihm liegt Marietta, deren Tod nicht als Traumvision aufgelöst wird.


Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Noa Danon (Marietta), Wolfgang Schwaninger (Paul)
Foto: © 2016 by Nilz Böhme

Dieser offene Schluss eröffnet Spielräume für Fragen und Deutungen. Aber vor allem macht er deutlich, dass in einer Zeit, in der die existenzielle Bedrohung für den Einzelnen immer spürbarer wird, in der Krieg, Terror und Gewalt Teil des Alltags geworden sind, es ein Happy- End in Korngolds Sinn nicht mehr geben kann.

Insgesamt haben die Magdeburger Macher in der Besetzung der Rollen ein gutes Gespür bewiesen. Wunderschön Thomas Florio als Fritz, der Pierrot, der in der Arie "Mein Sehnen, mein Wähnen" brilliert. Undine Dreißig als Pauls Haushälterin Brigitta nimmt gleich in den ersten Minuten mit ihrem warmen Timbre für sich ein. Roland Fenes gibt der Rolle des Freundes Frank ein markantes Gepräge. Geradezu bezaubernd auch der Kinderchor mit seinem "O süßer Heiland mein". Eine Klasse für sich ist aber vor allem die Magdeburgische Philharmonie, die unter der Leitung von Kimbo Ishii die Musik Korngolds von Kitsch und Operettenfeeling entstaubt hat, sie frech, kraftvoll und mit viel Gefühl in ihren schillernden Klangfarben gestaltet. Korngolds sinnlich und gewaltig daherkommende spät-romantische Musik, die u.a. mit Wagner, Puccini und Richard Strauss spielt und seinen späteren Filmsound antizipiert, nimmt den Zuschauer gefangen und lässt die ganz eigene Handschrift des Komponisten hervortreten.

Korngolds Oper wurde allein im vergangenen Jahr an fünf deutschen Bühnen gezeigt, darunter in Hamburg, wo sie 1920 zeitgleich mit Köln ihre Uraufführung erlebte. Diese Renaissance kann nicht verwundern. Die Oper trifft den Nerv unserer Zeit, in der die Brüchigkeit unseres sozialen Gefüges immer mehr zu Tage tritt und die Welt aus allen Fugen zu brechen scheint. Die Metapher der "toten Stadt", die auf gesellschaftliche Zerrüttung, auf das sich damit verbindende Lebensgefühl zielt und sich in Korngolds Oper im Schicksal des Einzelnen widerspiegelt, ist aktueller denn je. Korngolds Oper macht sie zudem erfahrbar, was die Magdeburger Inszenierung einmal mehr unterstreicht.

Die nächsten Vorstellungen sind im Opernhaus Magdeburg am 30.01.2016, 12.2.2016 und 27.2.2016 jeweils um 19.30 Uhr zu sehen.

"Die tote Stadt"
Erich Wolfgang Korngold
Oper in drei Bildern
Libretto: Paul Schott
Mit Übertiteln
In Koproduktion mit der Nederlandse Reisopera
Musikalische Leitung: Kimbo Ishii
Regie: Jakob Peters-Messer
Bühne/Lightdesign: Guido Petzold
Kostüme: Sven Bindseil
Dramaturgie: Benjamin Wäntig
Choreinstudierung: Martin Wagner

25. Januar 2016


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