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BERICHT/033: Magma heiß - ungezähmt vertraut ... (SB)


Starke Medizin

Die französische Gruppe Magma in der Markthalle in Hamburg am 13. Oktober 2016


Wenn dieses Orchester zu spielen beginnt, dann werden Schleusen unterirdischer Ströme geöffnet, von denen viele Menschen nicht wissen, wo sie verlaufen und daß es sie überhaupt gibt. Die Musik der französischen Avantgarde-Band Magma ist bei allen zu identifizierenden Stilelementen und Klangtraditionen kaum auf einen vertrauten Begriff zu bringen, handelt es sich doch nicht um ein typisches Hybrid aus verschiedenen Genres, sondern um eine vollständige Neukonzeption. Von daher ist allemal berechtigt, ihr mit dem von Magma geprägten Begriff des Zeuhl ein eigenes, diverse Formationen betreffendes Subgenre im Bereich zwischen Prog-Rock und Jazz zuzuweisen. Man könnte den hochspezifischen Musikstil der Gruppe, wenn man sie unbedingt einordnen will, auch als Metall Jazz bezeichnen, was alleine eine Provokation für den distinguierten Kunstgeschmack wäre.


Frontalansicht auf die ganze Gruppe - Foto: © 2016 by Schattenblick

Magma auf der Bühne der Hamburger Markthalle
Foto: © 2016 by Schattenblick


Und an Verstörendem und Irritierendem, sofern es lukrativ verwertbare Mainstreamkompatibilität betrifft, mangelt es der im popkulturell biblischen Alter von 47 Jahren weiterhin aktiven Band an keiner Stelle. An einer stilistischen Entwicklung höchst ungewöhnlicher Art festzuhalten, die sich zudem einer mythischen Metaphorik von der Auswanderung ins All, einer eigenen Sprache und düsteren Ikonographie bedient, hat der Band aber auch eine ergebene Schar von Anhängern eingebracht. Dies zeigte sich auch in der Markthalle in Hamburg, wo Magma am 13. Oktober im Rahmen ihrer endlosen Tournee [1] Station machte.


Am Schlagzeug - Foto: © 2016 by Schattenblick

Christian Vander
Foto: © 2016 by Schattenblick

Das für Magma seit der Entstehung der Formation 1969 signifikante Zentrum des musikalischen Geschehens ist eine hochdynamische Rhythmusgruppe, die die stets sehr langen, bei aller kompositorischen Strenge organisch aus sich heraus wachsenden Stücke mit vertrackten, von Baß und Schlagzeug im spannungsreichen Wechselspiel entwickelten Zeitmaßen und vor allem -brüchen vorantreibt. Tasteninstrumente und E-Gitarre reichern dieses hochkomplexe Gewebe mit weiteren rhythmischen Akzentuierungen an, um bisweilen in energische Soli auszubrechen, die wiederum kontrapunktisch gegen den Fluß des Stückes gesetzt sein können. Über alledem schweben die Stimmen zweier Sängerinnen und eines Sängers, die in repetitiven Chorsätzen und expressiven Solostimmen ihrerseits auf das Entzünden der in unaufhaltsamen Fluß versetzten Glut zum offenen Feuer hinzielen.


Vokalisten der Gruppe von der Seite - Foto: © 2016 by Schattenblick

Stimmgewaltig ...
Foto: © 2016 by Schattenblick


Sänger und Sängerinnen - Foto: © 2016 by Schattenblick Sänger und Sängerinnen - Foto: © 2016 by Schattenblick

Hervé Aknin, Stella Vander und Isabelle Feuillebois
Fotos: © 2016 by Schattenblick

Ist dieses einmal entfacht, gibt es kein Halten mehr, und das vielstimmige Geschehen steigert sich zu einem Crescendo, das nicht etwa langsam verebbt, sondern nach einem abrupten Schluß zur nächsten Höllenfahrt einlädt. Wer kein Kobaianisch versteht, muß sich keine Sorgen machen, denn wenn hier mit dem Mittel einer Sprache kommuniziert wird, dann nimmt sie den direkten Weg der Musik, in der der mitunter schroffe und schrille Duktus dieser Kunstsprache einen reizvollen Akzent setzt. Bei Magma hat man es, wie der aus der Geologie entlehnte Name der Gruppe für geschmolzenes Erdgestein verrät, mit einer "gekneteten Masse" zu tun, so die Bedeutung des altgriechischen Wortes mágma. Der Bezug zum Mineralischen läßt an den antiken Gott Hephaistos denken, in dessen Schmiede in schweren Elementen gebundene Urkräfte unter intensivem Druck und großer Hitze aus ihrer Erstarrung gelöst und in einem Prozeß feuergetriebener Transformation in menschliche Kulturgegenstände verwandelt werden. Je härter das Metall, desto mehr Glut bedarf es, um es formbar zu machen. Je rigider die Verhältnisse der Menschen, desto stärker muß die Medizin sein, die Veränderung und womöglich Besserung bringt.

So greift die Musik Magmas in die Tiefe der Physis, wo sich das träge Gewohnheitstier Mensch besonders sicher wähnt, und bringt es mit einer Energie, deren aufwühlender Wirkung man sich nur durch Flucht entziehen kann, auf Gedeih und Verderb in Bewegung. Im Übergang von Motorik zu Emotion und ihrer erdgeborenen Herkunft gemäß von den Füßen her treibt Musik im somatischen, nicht umsonst auch animalisch genannten Nervensystem Blüten von eher dunkler Art. Beim Auftritt Magmas in der Markthalle in Hamburg gerieten weißhaarige Männer, denen man die Jahre auch ansonsten ansah, auf eine Weise in Bewegung, wie es eher bei sehr viel jüngeren Semestern zu vermuten wäre.


Bilderstudie am Schlagzeug - Foto: © 2016 by Schattenblick Bilderstudie am Schlagzeug - Foto: © 2016 by Schattenblick Bilderstudie am Schlagzeug - Foto: © 2016 by Schattenblick

Hochkonzentriert und souverän - Christian Vander
Fotos: © 2016 by Schattenblick

Fragte man danach, seit wann die Zuhörerin oder der Zuhörer die Gruppe kennt, so war meist von den frühen 70er Jahren die Rede. Das Publikum setzte sich in großer Mehrheit aus langjährigen Fans zusammen, um diese Musik weniger zu hören als ihrer Entstehung beizuwohnen. Was jede Schlagerparade gesprengt und bei jedem Oldiekonzert zu einer Massenpanik geführt hätte, war bei vielen Anlaß zu ekstatischer Freude. Die Frage, ob denn das Umfeld der Familie und Freunde die Leidenschaft für die Musik Magmas, die natürlich auch zu Hause vorzugsweise mit großer Lautstärke gehört wird, teile, wurde von einem Paar rundheraus verneint, eher werde großes Unverständnis für diese Leidenschaft kundgetan.

Was so eigenartig, erschütternd und bizarr ist wie ein Magma-Konzert, polarisiert mithin nicht nur durch den großen Schalldruck. Böswillig könnte man meinen, es sei das Programm der Gruppe um den Ausnahmeschlagzeuger Christian Vander, die gängige Musikästhetik empfindlich zu stören und ihre Ruinen im rotschwarzen Glanz einer nachtgeborenen Schönheit zum Leuchten zu bringen.


Gitarrist und Schlagzeuger - Foto: © 2016 by Schattenblick

Interplay zwischen den Generationen - Rudy Blas und Christian Vander
Foto: © 2016 by Schattenblick

Ein immer wiederkehrendes Motiv für die anhaltende Begeisterung der vom Schattenblick befragten Magma-Fans ist die große Authentizität der Musik und ihres Komponisten Vander, des einzigen verbliebenen Mitgliedes aus der Gründergeneration. Indem er den spezifischen Magma-Stil immer weiterentwickelt hat, ohne sich von den Moden und Trends, die bekanntlich kommen und gehen wie die Jahreszeiten, merklich beeinflussen zu lassen, legt er die in Zeiten neoliberaler Ökonomisierung selten gewordene Tugend an den Tag, der Kunst mit einiger Konsequenz Vorzug vor ihrer kommerziellen Verwertbarkeit zu geben. Natürlich muß sich auch Magma den Gepflogenheiten des Musikgeschäfts beugen, Werbung in eigener Sache machen, Fanartikel verkaufen und was Musiker alles für ihr ökonomisches Überleben sonst noch tun. Das gilt insbesondere für ihre Präsenz auf internationalen Konzertbühnen, so daß die Gruppe auch in Japan und China, Latein- und Nordamerika zunehmend Beachtung findet.

In Hamburg war Magma seit 1986 nicht mehr zu Gast, und Stella Vander, Sängerin und Managerin der Gruppe in Personalunion, verlieh der Hoffnung Ausdruck, daß es bis zum nächsten Mal nicht noch einmal so lange dauern werde. Um so mehr Grund hatte das Publikum, die drei Stücke des Abends in vollen Zügen zu genießen. Dies schien um so besser zu gelingen, als es sich um Frühwerke aus den legendären 70er Jahren handelte, also jener Zeit, in der die älteren Fans erstmals auf dieses zwischen den Gestirnen des vertrauten Pop-Kosmos kreuzende Raumschiff stießen.


Bassist mit Instrument - Foto: © 2016 by Schattenblick Bassist mit Instrument - Foto: © 2016 by Schattenblick

Hantiert leichtfingrig mit schweren Gewichten - Philippe Bussonnet
Fotos: © 2016 by Schattenblick

Theusz Hamtaahk setzte sich mit majestätischer Gravität und einem pulsierenden Beat, vom Bassisten Philippe Bussonnet mit der dynamischen Eleganz eines tonnenschweren und doch hochbeweglichen Tieres intoniert, auf eine Weise in Gang, als ob jemand Gas gibt und gleichzeitig auf der Bremse steht. Mekanik erreichte seinen Höhepunkt in einem Scat-Gesang, den Christian Vander, hinter seinem Schlagzeug stehend, mit einer stimmlichen Klangfülle präsentierte, die von ganz unten aus dem Bauch kam. Spätestens als seine kobaianischen Phrasierungen immer weiter beschleunigten und in einen langen Schrei mündeten, waren alle auf den Beinen, um im finalen Zombies (Ghost Dance) einige virtuose Höhepunkte des Gitarristen Rudy Blas, des Vibraphonisten Benoît Alziary und des Keyboarders Jérôme Martineau zu feiern.

Nicht nur die Vokalistinnen Stella Vander und Isabelle Feuillebois, die mal im Wechsel von Ruf und Antwort, mal im Chor mit Sänger Hervé Aknin den hymnischen Ton angaben, sondern allen Musikern der Band ist anzumerken, daß sie ganz und gar in der Musik aufgehen. Hier stehen keine bloßen Profis am Instrument und verrichten gelangweilt ihre Arbeit, hier spielen junge und alte Menschen in einem Kollektiv zusammen, das von einem musikalischen Idealisten geleitet wird, der den wohl einflußreichsten Beitrag Frankreichs für die avantgardistische und progressive Rockmusik geleistet hat.


Hervé Aknin, Christian Vander, Stella Vander, Isabelle Feuillebois, Jérôme Martineau - Foto: © 2016 by Schattenblick Hervé Aknin, Christian Vander, Stella Vander, Isabelle Feuillebois, Jérôme Martineau - Foto: © 2016 by Schattenblick Hervé Aknin, Christian Vander, Stella Vander, Isabelle Feuillebois, Jérôme Martineau - Foto: © 2016 by Schattenblick

Sprechen, Singen, Kontakt aufnehmen ...
Fotos: © 2016 by Schattenblick

To Life, Death & Beyond - The Musik of Magma - unter diesem programmatischen Titel wird derzeit ein per Crowdfunding finanzierter Dokumentarfilm produziert, der die bewegte Geschichte der Gruppe auch denjenigen zugänglich machen soll, die zu jung sind, um sie von Anfang an miterlebt zu haben. Dieser schwarzrot funkelnde Juwel aus der Schatzkiste außergewöhnlicher Beiträge zur zeitgenössischen Musikkultur wird weiter strahlen, das ist für Christian Vander, der demnächst an dieser Stelle selbst zu Worte kommt, keine Frage.


Veranstaltungsplakat für Auftritt der Gruppe Magma in der Markthalle Hamburg - Foto: 2016 by Schattenblick

Foto: 2016 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://www.magmamusic.org/en/tour/


15. Oktober 2016


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