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BERICHT/036: Moddi trägt vor - Verbotene Lieder ... (SB)



Konzert und Lesung in Hamburg am 23. März 2019

Musik hat das Potential, Menschen unmittelbar zu berühren und zu erreichen. Sie kann Freude und Begeisterung auslösen, Trauer und Verzweiflung verstärken, wie kaum eine andere Form künstlerischer Vermittlung. Um so merkwürdiger ist es, daß dieses archaische Mittel menschlicher Kommunikation eher selten dafür genutzt wird, die großen Krisen und brennenden Probleme politischer und sozialer Art anzusprechen. Was nicht eigens als Protestsong, sozial engagierter HipHop oder Politrock ausgewiesen ist, bezieht in konfrontativen Fragen gesellschaftlicher Wirklichkeit eher selten Stellung. Das von hohen Einschaltquoten und Klickraten lebende Popgeschäft kann fast als Synonym für unpolitische Unterhaltung bezeichnet werden, was, wie in der Kulturindustriethese der Kritischen Theorie postuliert, nicht nur passiver Ignoranz geschuldet ist, sondern zur aktiven Ablenkung von all jenen virulenten Problemen dient, die anzugehen zentrale gesellschaftliche und politische Gewaltverhältnisse in Frage stellen könnte.

In welche Schwierigkeiten ein Musiker geraten kann, der sich mit seiner Gitarre in eine politische Konfrontation höchst kontroverser Art begibt, mußte der norwegische Liedermacher Moddi 2014 erleben, als bekannt wurde, daß er zu einem Konzert in Israel eingeladen worden war. Wie er zu Beginn seines Auftrittes im Hamburger Club Übel & Gefährlich am 23. März berichtete, war diese Situation nicht einfach durch das Bekenntnis zu meistern, in Tel Aviv doch für nichts anderes als für Frieden und Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern eintreten zu wollen. Er war zwischen Fronten von einer solchen Unversöhnlichkeit geraten, daß er das Konzert schließlich absagte, um dem von beiden Seiten aufgebauten Druck zu entgehen.


Moddi auf Bühne mit Gitarre - Foto: © 2019 by Schattenblick

Das Projekt "Unsongs" im Uebel & Gefährlich
Foto: © 2019 by Schattenblick

Der in der norwegischen Presse vieldiskutierte Streitfall und die für Moddi höchst schwierig zu treffende Entscheidung, nicht nach Israel zu fahren, führten dazu, daß die Sängerin Birgitte Grimstad Kontakt mit ihm aufnahm. Sie hatte 1982 während der israelischen Invasion in den Libanon eine Reihe von Konzerten in Israel gegeben und zu diesem Zweck einen Song über den Offizier Eli Geva verfaßt. Er hatte den Befehl, mit seinen Truppen in Beirut einzumarschieren, verweigert und war daraufhin zum einfachen Soldaten degradiert worden. Sie durfte das Lied, mit dem die norwegische Sängerin seine mutige Entscheidung würdigen wollte, auf ihrer Tournee durch Israel jedoch an fast keinem Ort vortragen. Nach ihrer Rückkehr wollte sie nichts lieber tun als alles über diese unerfreuliche Erfahrung zu vergessen, und erst die Nachricht von Moddis gecanceltem Konzert erinnerte sie daran, daß sie noch das Lied "Eli Geva" in der Schublade hatte.

Der Sänger hätte sich, wie er auf der sparsam ausgeleuchteten Bühne des bekannten Hamburger Clubs berichtet, zuvor nicht vorstellen können, daß sich gutgeschriebene und inhaltlich bedeutsame Lieder nicht wie von selbst verbreiten, sondern durch Verbots- und Zensurmaßnahmen praktisch aus der Welt geschaffen werden können. Diese Geschichte regte ihn dazu an, überall auf der Welt nach verbotenen Liedern Ausschau zu halten. Daß er nicht lange suchen mußte und von Hunderten Songs erfuhr, die auf diese oder jene Weise unhörbar gemacht worden waren, brachte ihn schließlich dazu, 12 dieser verbotenen Lieder für das 2016 veröffentlichte Album "Unsongs" aufzunehmen.

Zu Musik, die sich zwischen subversiver Kritik und offener Kampfansage mit herrschenden Interessen anlegt, gibt es weit mehr zu sagen, als sich über ihre ästhetischen und klanglichen Qualitäten auzutauschen. So wurde die Geschichte um Moddis heftig disputierten und schließlich abgesagten Gig in Israel zum Ausgangspunkt eines Buchprojektes, in dem die Hintergründe von 10 der von Moddi neu interpretierten und, soweit nötig, ins Englische übertragenen Lieder geschildert werden. Zusammen mit einem Fotografen reiste der Sänger in die Länder, in denen die Songs entstanden waren und auf diese oder jene Weise unterdrückt wurden, um ihren UrheberInnen oder ZeitzeugInnen persönlich zu begegnen und im direkten Gespräch mehr über die konfliktträchtige Geschichte der verbotenen Musik zu erfahren.


Moddi singend mit Gitarre, freisprechend und mit Buch - Fotos: © 2019 by Schattenblick Moddi singend mit Gitarre, freisprechend und mit Buch - Fotos: © 2019 by Schattenblick Moddi singend mit Gitarre, freisprechend und mit Buch - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Crossmediale Bühnenperformance
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Das 2017 auf Norwegisch unter dem Titel "Forbudte Sanger" veröffentlichte Buch wurde von der Hamburger Edition Nautilus ins Deutsche übertragen und im März unter dem Titel "Verbotene Lieder - 10 Geschichten von 5 Kontinenten" der Öffentlichkeit vorgestellt. Wenige Tage nach der Buchpräsentation auf der Leipziger Buchmesse konnte das Hamburger Publikum Moddi in dem vom lauten Getriebe des Hamburger Doms umtosten Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld dabei erleben, wie er einige dieser Songs und sein bekanntestes Lied aus seiner vorherigen Schaffensphase, "House by the Sea", vortrug. Barfuß und nur mit akustischer Gitarre ausgestattet - auf dem Album werden die Lieder von diversen Instrumenten und Vokalparts begleitet - setzte Moddi einen Akzent sehr ruhiger und besonnener Art, als wüchse in der wuchtigen Kriegsarchitektur und dem metropolitanen Getriebe rundherum eine zarte Pflanze heran, die allen Widerständen zum Trotz zu großer Symbol- und starker Aussagekraft heranwächst.

Pussy Riots "Punk Prayer", das das feministische Künstlerinnenkollektiv 2012 im Rahmen einer weniger als eine Minute währenden Performance in einer russisch-orthodoxen Kirche in Moskau zelebrierte, wofür die drei Aktivistinnen zwei Jahre Haft kassierten, Kate Bushs "Army Dreamers", das auszustrahlen die BBC während des zweiten Golfkriegs 1991 de facto untersagte, "A Matter of Habit", in dem sich der bekannte israelische Rockmusiker Izhar Ashdot mit der Aufgabe der israelischen SoldatInnen auseinandersetzt, die Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten durchzusetzen und das daher ebenfalls nicht ausgestrahlt wurde, waren einige der Titel, die Moddi an diesem Abend dem aufmerksam lauschenden Publikum in seiner ganz persönlichen musikalischen Interpretation vortrug.


Moddi mit seinem Buch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Auftritt des geschriebenen Wortes
Foto: © 2019 by Schattenblick

Zwischendurch las er einige kurze Passagen aus dem Buch und berichtete von den Gründen, die ihn dazu veranlaßten, eine ganz bestimmte Auswahl aus der großen Menge zensierten Materials für sein Album zu treffen. Zusammen mit der Webseite unsongs.com hat der norwegische SingerSongwriter ein crossmediales Projekt im eigentlichen Sinne der Nutzung verschiedener Zugänge zwischen Text, Bild und Ton geschaffen. Nicht die lediglich aus Verkaufsinteresse vollzogene Vervielfältigung weitgehend identischer Inhalte, sondern die Eröffnung verschiedener Zugänge zu einem wichtigen und gerade heute hochaktuellen Bereich zwischen Kunst und Politik versehen jede einzelne dieser Vermittlungsformen mit einer unverwechselbaren Signatur.

Die von einer nicht geringen Zahl langjähriger Fans des norwegischen Liedermachers besuchte Veranstaltung hätte ohne weiteres in eine Diskussionsrunde über die vielen Fragen, die sich zum Thema der Zensur künstlerischer Inhalte stellen, münden können. So erteilt der bloße Sachverhalt des Verbotes noch keine Auskunft über die politische Position der Betroffenen, schließlich sind auch Lieder von rechtsradikalen Rockbands verboten, wenn sie zu Gewalt gegen Minderheiten aufrufen, Haßbotschaften verbreiten oder NS-Parolen verwenden. Die von Moddi getroffene Auswahl an Liedern zeichnet sich durch herrschaftskritische, antikoloniale und antirassistische Inhalte aus, doch, wie schon der eingangs geschilderte Eklat um die Nahostproblematik zeigt, können antagonistische Positionen auch dort auftreten, wo eigentlich ein Konsens über den Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu vermuten wäre.

Anstatt das Gespräch mit dem Publikum von der Bühne aus aufzunehmen, stellte sich Moddi an den Ausgang des Saales, wo er noch über eine Stunde lang mit einzelnen Personen aus dem Publikum sprach. Sehr kontaktfreudig und auf erfrischende Weise unkompliziert machte Moddi deutlich, daß ihm das Vorhaben, verbotene Lieder wieder hörbar zu machen und zur Aufführung zu bringen, ein Anliegen ganz persönlicher Streitbarkeit ist. Dieser bedarf es allerdings, um auf einem von ideologischen Fußfallen und politischen Gräben durchzogenen Gebiet wie dem der politischen Liedermacherei auf eine Weise künstlerisch wirksam zu werden, die viele Menschen anspricht, ohne unbequeme und konfrontative Positionierungen zu meiden.

(Die Rezension zum Buch "Verbotene Lieder - 10 Geschichten von 5 Kontinenten" demnächst im Schattenblick)


Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld während des Hamburger Doms - Foto: © 2019 by Schattenblick

Veranstaltungsort der ungewöhnlichen Art
Foto: © 2019 by Schattenblick


30. März 2019


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