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INTERVIEW/002: Kai Degenhardt - Ein Arbeiter am politischen Lied (SB)


Kämpfe werden verloren - Träume bleiben - Geschichte geht weiter


Es hat die Menschen in allen Umbruchzeiten der Geschichte begleitet, zum Kampf gerufen, Mut gemacht, Seelenverwandschaften auf die Note oder den Vers gebracht, Wut und Widerstand formuliert und in der Niederlage Trost gespendet. Als Protestsong hat es in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Jugend weltweit bewegt und einander im Gefühl näher gebracht. Aktuell scheint es allerdings so, als habe es etwas ausgedient, als seien die Hoch-Zeiten des politischen Liedes, und davon soll hier die Rede sein, zumindest im deutschsprachigen Raum erstmal vorbei. "Erwartet nicht zuviel von meinen Liedern! Es geht ein Klang von Kälte durch die Welt. Die Ohren der Genossen sind geschlossen, und ein Lied - wer hört das noch? Wen stört das noch?" schrieb Georg Kreisler vor langer Zeit und doch ganz aktuell. Vergangen die Zeiten, als sich in den 60ern damals noch wenig bekannte Musiker wie Hannes Wader, Franz-Josef-Degenhardt, Reinhard Mey, Dieter Süverkrüpp oder Walter Moßmann auf der Burg Waldeck trafen, vorbei die Tage und Nächte, als "We shall overcome" durch die Straßen klang.

Das politische Lied hat überlebt, in Nischen eher als in Arenen, sieht man von den in der Verkürzung existierenden und von der Abwesenheit aller Zusammenhänge profitierenden, leicht mitzugröhlenden Refrains eines Marius Müller-Westernhagen ("Freiheit") oder eines Wolfgang Niedecken ("Arsch huh, Zäng ussenander") ab - aber das sind ja auch keine politischen Lieder, und sicher auch nie so gemeint, sondern eher Bausteine einer bürgerlich-liberalen Künstlerkarriere im Zeitgeistmantel vorgetragenen Widerstands, ein schönes, aufständiges Gefühl hinterlassend, in das man sich zurücklehnen und die Dinge so belassen kann, wie sie sind.

Zu einem Interview über die Wünsche, Hoffnungen Positionen und Träume eines politischen Liedermachers von heute traf der Schattenblick in Hamburg Kai Degenhardt, jahrzehntelang musikalischer Begleiter seines Vaters Franz-Josef Degenhardt. Seit 1997 tritt er selbst als Liedermacher auf, vor kleinem Publikum und in Live-Clubs eher als im großen Saal. Trotzdem hat er weder seine Haltung noch seine Träume aufgegeben, schreibt und singt politische Lieder gegen den Mainstream und für eine Veränderung der Gesellschaft. "Was sonst!" - sagt er selbst.

Der politische Liedermacher Kai Degenhardt -Foto: © 2011 by Schattenblick

Der politische Liedermacher Kai Degenhardt
© 2011 by Schattenblick

Schattenblick: 2008 ist "Weiter draußen" erschienen und wer dich beobachtet, der wird sich vielleicht eine Neuerscheinung für 2011 ausrechnen. Häufig lagen ja drei Jahre zwischen deinen musikalischen Veröffentlichungen. Arbeitest du an einer neuen Platte oder mit welchen Projekten bist du aktuell beschäftigt?

Kai Degenhardt: Ja, ich bin bei einer neuen Platte, aber das schaffe ich, glaube ich, nicht mehr 2011. Ich will, daß sie Anfang 2012 draußen ist.

SB: Ist dazu ein bißchen mehr zu verraten?

KD: Nicht so gerne, weniger aus Aberglauben, als daß es ja alles auch noch mißlingen kann. Eigentlich möchte ich gar nicht darüber reden, bevor es nicht fertig ist.

SB: Du hast Deinen Vater Franz Josef Degenhardt seit 1987 lange Zeit auf seinen Tourneen begleitet, seine Lieder arrangiert und den Degenhardt-Sound, so heißt es, seitdem entscheidend mitgeprägt. 1997, zehn Jahre später, kam dein erstes eigenes Album heraus: "Brot und Kuchen". Wie ist es dazu gekommen, daß du selbst zum Liedermacher wurdest?

KD: Als ich angefangen habe, Gitarre zu spielen, wollte ich eigentlich ein virtuoser Jazz-Rock-Gitarrist werden. Aber das hat irgendwie nicht geklappt, ich glaube, ich habe nicht genug geübt. Während meines Studiums habe ich dann in Rockbands Gitarre gespielt, auch mal in einer Punkband. Dann ging es darum, Texte zu machen und einer mußte das ja tun und da hab ich damit angefangen. Da war ich so Anfang, Mitte zwanzig. Mit meinen ersten Texten bin ich in einem Rocktrio aufgetreten und habe dabei sehr schnell gemerkt, daß es eigentlich gar nicht das ist, was ich machen will. Und so kam es, daß ich Liedermacher mit E-Gitarre geworden bin. Bestimmt hat das auch mit 'ner Prägung durch die Arbeit mit meinen Vater zu tun. Und ich war sehr angetan von Billy Bragg. Als ich den zum ersten Mal gesehen hab, dachte ich, wow, das ist es, das will ich auch machen.

SB: Der macht auch ordentlich was los auf der Bühne.

KD: Ja, das war für mich eine Initialzündung.

SB: Du hast ja noch mehr Vorbilder, kann man lesen: Bob Dylan, Frank Zappa, Rio Reiser, Joe Strummer, aber auch Hans Eisler. Was war für dich wegweisend: ihre Musik, ihre politische Einstellung, ihre Texte oder was sonst?

KD: Ich würde sie nicht als Vorbilder bezeichnen. Ich habe das gerne gehört und vieles von dem hat mich insofern auch geprägt, von der politischen Haltung und musikalisch, auch in dem Sinne, daß ich das gerne selber so oder ähnlich machen wollte.

SB: Wir haben, in der Vorbereitung auf unser heutiges Zusammentreffen, unser Interesse und unsere Fragen formuliert nach den Positionen, Schwierigkeiten, Möglichkeiten und Hoffnungen eines politischen Liedermachers. Darüber würden wir gerne mit dir sprechen und würden dir dazu, bevor wir konkretere Fragen stellen, zunächst einfach mal das Feld überlassen.

KD: Die Position eines politischen Liedermachers hängt natürlich von der politisch-weltanschaulichen Überzeugung ab. Da gibt es solche und solche. Es gibt ja auch politische Liedermacher bei den Nazis, inzwischen, glaube ich, sogar wieder mehr. Insofern hängt es natürlich von demjenigen ab, der es macht. Beschränkt auf linke politische Liedermacher, was man darunter ja eigentlich versteht, haben die Konjunkturverläufe dieses Gewerbes meiner Ansicht nach immer stark damit zu tun, ob es eine außerparlamentarische Bewegung gibt oder eben nicht wie hier im Moment. Deshalb ist die konjunkturelle Lage, um das mal so zu sagen, nicht die beste, eigentlich schon seit vielen Jahren. Ich warte immer darauf, daß sich das mal ändert, aber da bin ich ja nicht der Einzige - und das tue ich nicht nur als Liedermacher, sondern auch als politisch denkender und handelnder Mensch.

SB : Siehst du Zeichen, daß sich was ändert?

KD: Leider zu wenig.

SB: Man kann Stuttgart 21 ja so oder so sehen. Man kann sagen, es ist eine Bürgerbewegung, die eigentlich wenig mit dem zu tun hat, was in den 60ern unter außerparlamentarischer Opposition verstanden wurde oder man kann darin Zeichen eines neuen Aufbruchs sehen. Wie würdest Du das einschätzen?

KD: Also ich seh's erstmal positiv. Leider muß man ja sagen, da kommt einmal der Geißler, setzt sich hin und moderiert und dann ist alles vorbei. So hat es ja im Moment den Anschein und das zeigt ja auch, wie wenig Substanz das hat oder wie wenig nachhaltig sowas dann ist, so eine außerpalamentarische Ein-Punkt-Opposition gegen einen Bahnhof. Da sind die Castordemonstrationen, die zeitgleich in den Medien waren im letzten Jahr, was anderes. Das geht ja seit vielen, vielen Jahren, daß es diese Bewegung gibt, die sich auch nachfüttert mit jungen Leuten - das ist ja schon eine andere Abteilung, denke ich, als die Stuttgart 21-Bewegung. Aber was ich so auf der anderen Seite sehe, in der tradionellen Arbeiterbewegung, vor allem in der Wirtschaftskrise, wo es in Frankreich einen Generalstreik gab, in Spanien auch zuletzt, in Griechenland alle Nase lang und hier die Gewerkschaften nicht mobilisieren oder viel zu wenig und die Leute auch zu Hause bleiben, offensichtlich - und das ist meine Befürchtung - in dem Gefühl, wir sind ja die, die davon profitieren, wenn's die Griechen erwischt und die Spanier. Daß es da keine internationale Solidarität in der Arbeiterbewegung gibt, das ist tragisch! Aber es hat ja auch damit zu tun, daß es hier keine außerparlamentarische Bewegung gibt. Das müßte dringend geändert werden, wenn man's kann.

Kai Degenhardt -Foto: © 2011 by Schattenblick

© 2011 by Schattenblick SB: Ist das politische Liedermachen eine Möglichkeit dazu? Mit anderen Worten: Kann Veränderung herbeigesungen werden?

KD: Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Man kann bestimmt einen kleinen Teil als ein Verstärker mit dazu beitragen, aber sonst ist die Reichweite viel zu gering. Es ist ja tatsächlich so, daß zu mir in die Konzerte Leute kommen, die wahrscheinlich eh schon ähnlich denken. Manchmal mag es anders sein, wenn junge Leute aus Zufall reinschneien, die noch gar nicht politisiert sind - aber dann ist man nicht ein Herbeisänger einer außerparlamentarischen Bewegung.

SB: Ist das nicht überhaupt das Problem des politischen Liedes, daß es nur die erreicht, die's sowieso schon wissen? Wenn man sich die Entwicklung des politischen Liedes anguckt und mal in die Arbeitertradition geht, zurück zu den Kampfliedern, die ja nicht nur darstellen, sondern agitieren, mobilisieren wollten und sie vergleicht mit den Liedern, die eher gesellschaftliche Zustände beschreiben und denen ins Ohr singen, die sagen, ja genau so ist es - wo würdest du dich da verorten?

KD: Ich sehe mich weniger als Agitprop-Sänger. Es gibt hier und da ein Stück, das so ist, aber eigentlich sehe ich mich eher als jemand, der auf poetische Art und Weise versucht, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Herrschaftsverhältnisse zu beleuchten, um damit in den Köpfen seiner Hörer etwas auszulösen. Das macht mir persönlich auch am meisten Spaß, weil bei jedweder Kunst dadurch, daß im eigenen Kopf etwas passiert - das ist ja eigentlich der poetische Trick - man was auslöst im Kopf der Hörer und sich da dann etwas zusammensetzt, was man natürlich nicht beeinflussen kann, wozu man aber natürlich seinen Beitrag leisten will - daß sich etwa politische Überzeugung herstellt oder manifestiert oder eine andere Verzahnung bekommt dadurch, daß man bestimmte Blickwinkel, bestimmte Schlaglichter auf Seiten der Realität wirft, die derjenige so vielleicht noch nicht selber gesehen hat.

SB: Du hast einmal gesagt: "Poesie funktioniert so, daß in den Köpfen und in den Herzen der Zuhörer was passiert". Andererseits hast du aber ganz kritisch Stellung genommen zu den "abgefeierten Emotionen im medialen Mainstream und der Emotionslosigkeit, wenn wirklich was passiert". Welche Funktion würdest Du den Emotionen zuordnen? Ich gehe mal davon aus, daß ein Sänger, ein Liedermacher, ein Poet ohne Emotionen nicht auskommt. Weder den eigenen noch denen, die er bei den Zuschauern anregt oder anspricht.

KD: Ja, das ist richtig. Wenn ich jetzt eben gesagt habe, daß etwas im Kopf entsteht, meine ich natürlich auch im Herzen. Das sind alles komische Beschreibungen, im Herzen meint das, was man gemeinhin Gefühl nennt. Gerade bei Musik entsteht ja was dabei, das erinnert an etwas, das ist immer auch emotional verknüpft. Texte, wenn sie jetzt nicht wissenschaftliche Texte sind, sondern z.B. mit Metaphern arbeiten oder bestimmte Wortspiele haben, lösen ja etwas aus, was auch mit Gefühl zu tun hat. Und das ist das, was ich meine. Dann haben solche Botschaften, die sich vielleicht in einem verankern, auch eine ganz andere Wirkung als beispielsweise ein wissenschaftlicher Text oder ein Zeitungsbericht, der Informationen transportiert. Das ist das, glaube ich, was Poesie ausmacht, was auch im Film passiert und übrigens auch in der Werbung. Die Werbung verfährt ja genauso, daß unwillkürlich etwas angetriggert wird im Kopf und im Herzen, was einen Kaufanreiz auslösen soll.

SB: Aber was meinst du dann damit, wenn du mehr Nüchternheit in der Gebrauchsmusik forderst. Ist das nicht ein Widerspruch?

Kai Degenhardt -Foto: © 2011 by Schattenblick

© 2011 by Schattenblick KD: Ich glaube, ich habe das in dem Artikel, auf den du anspielst, eine Neue Sachlichkeit genannt. Neue Sachlichkeit ist ein Begriff aus der Literaturgeschichte, eine Reaktion auf den Expressionismus: Wir wollen wieder sachlich schreiben, die Verhältnisse beleuchten, wir wollen keinen Eskapismus, keine Traumwelten zeichnen, sondern so, wie es wirklich ist. Und das meinte ich in einer Zeit wie heute: nicht, daß nicht gefühlt werden, es also unemotional sein sollte, sondern daß anstelle dieser Gangsterfantasien und des Großstadtdschungels, wo einer dem anderen auf die Fresse haut, wie das heute gerade im deutschsprachigen HipHop gerne gemacht wird, mal wieder die Realität Einzug hält. Denn so ist es ja nicht und es ist gibt da viel mehr - die ganz banalen Sachen wären meiner Ansicht nach viel interessanter. Das meinte ich mit einer Neuen Sachlichkeit, daß man einfach mal wieder von dem singt und schreibt, was eigentlich los ist.

SB: Und das Gefühl dabei als Transportmittel benutzt?

KD: Genau, das ist ja ein Mittel, es interessant zu machen, es unter die Leute zu bringen.

SB: "Politisches Lied ein garstig Lied", heißt es bei Hoffmann von Fallersleben in Anlehnung an Goethes Faust. Wie charakterisierst du das politische Lied für dich, was macht es deinem Anspruch entsprechend zu einem politischen Lied?

KD: Eigentlich ist ja jedes Lied politisch, weil es sich so oder so auf die Gesellschaft bezieht. Es kann also auch ein Lied, das nur von Blumen und Bäumen handelt, insofern politisch sein, als es offensichtlich mit allem anderen d'accord ist, weil es sich nicht damit befasst. Wenn es die Gesellschaft außen vor läßt, heißt das ja auch implizit: das interessiert mich nicht, das ist schon okay. Insoweit ist jedes Lied politisch im weitesten Sinne. Im engeren Sinne, als es Bezug nimmt auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse darstellt und sich so oder so zu ihnen positioniert. Das würde ich als gesellschaftspolitisches Lied bezeichnen. Das bedeutet nicht, daß jedes Lied immer davon handelt, sich aber in diesem Kontext bewegt - so empfinde ich mich dabei. Es gibt in diesem Kontext auch Liebeslieder oder sowas, die ja aber neben den anderen Liedern stehen, die ich mache. Ich würde jetzt nicht nur Liebeslieder machen wollen oder nur mit Naturmetaphern arbeiten.

SB: Man kann ja Deine Lieder auch so oder so verstehen. Bei dem Lied "Aus dem Moor" zum Beispiel kommt es sehr darauf an, wie ich es hören will. Wenn ich weiß, das Lied ist von Kai Degenhardt, das ist ein politischer Liedermacher, dann höre ich immer auch etwas Politisches darin. Würde es jetzt von jemand anderem kommen, dann würde ich vielleicht sagen, ja, da ist ein bißchen Wehmut drin, ein bißchen Nachdenklichkeit. Insofern würde ich Dir recht geben: Man hört es dann auch in der Erwartung, ein politisches Lied zu hören, auch wenn es nicht, wie andere deiner Lieder, "Desertiert" oder "Die Tötung" zum Beispiel, dezidiert politisch ist.

KD: Ja wunderbar, so ist es auch gemeint. Es ist ja auch auf dem Album drauf, neben anderen Liedern, und gehört in den Gesamtzusammenhang.

Kai Degenhardt im Gespräch mit SB-Redakteurin -Foto: © 2011 by Schattenblick

Kai Degenhardt im Gespräch mit dem Schattenblick

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SB: Ich würde gerne konkret auf eines Deiner Lieder zu sprechen kommen und zwar auf "Die Tötung", jenem Lied vom grauenvollen Tod des afrikanischen Asylbewerbers, der in einer Arrestzelle der Polizei ums Leben kommt. Im Refrain heißt es: "Und ihr, die powered by emotion in vier Wänden, auf vier Pfoten, aufgewühlt und abgebrüht, wollt ein echtes Mörderlied für die Seele und's Gemüt, das so'n bisschen runterzieht." - Das klingt nach Konfrontation, mindestens nach Provokation. Willst du deinem Publikum seine Gewohnheit, Gleichgültigkeit, Beteiligung an den Grausamkeiten unseres Alltags vor Ohren führen? Wie reagieren deine Zuhörer - fühlen sie sich eher angegriffen oder sind sie mit dir einig und halten sich die eigene Beteiligung vom Leibe, indem sie das "Ihr" übernehmen und damit dann doch wieder die anderen meinen?

KD: Ich glaube, und so ist es auch gemeint, daß man sich mit mir verbrüdert und das "Ihr" selber anwendet, sozusagen als poetisches "Ihr". Man meint den Mainstream damit und den meine ich auch, die Power of Emotion, die Mainstream-Gefühligkeit, diese theatralisierten TV-Gefühle, die anfangen zu heulen, wenn man aus der Casting-Show rausfliegt und sowas. Das ist von mir gemeint und meine Erfahrung damit ist, daß es auch genauso funktioniert und daß die Leute nicht beleidigt sind.

SB: Aber wäre es nicht wirksamer, wenn sich jemand so erkannt fühlt, daß er sagt: Ja, Scheiße, genauso ist es?

KD: Da haben wir wieder das Problem, daß es, wenn man in politischen Zusammenhängen auftritt, immer so eine Art 'preaching to the converted' ist, daß man ein Publikum hat, das sich eh schon interessiert. Wenn ich bei "Wetten, dass ..?" auftreten würde, könnte man ergründen, wie das so ankommt, aber das passiert eben nicht. Der Mainstream funktioniert ja auch so, daß das ausgeschlossen ist.

SB: Hältst Du es für möglich, daß in dieser Verbrüderung mit dir und deiner Position trotzdem noch so viel Restbeteiligung erhalten bleibt unter den Leuten im Publikum, daß das auch eine etwas anders gerichtete Wirkung kriegt, als du sie eigentlich beabsichtigt hast, nach dem Motto, jetzt haben sie sich mit dir solidarisch erklärt und können dann die nächste Casting-Show mit völliger Entspannung genießen? Also ich überreize das jetzt mal absichtlich.

KD: Das glaube ich nicht. Ich habe das Gefühl, vom feedback nach Konzerten, daß es echt ganz gut funktioniert. Gerade dieses Lied - das hört ja auf mit dem "weil es jeden Tag passiert" - hat so einen kleinen Verfremdungseffekt. Es erschreckt einen selber, weil man eigentlich wenig fühlt bei Sachen, die ganz, ganz tragisch, aber alltäglich sind. Jeder weiß, daß Abschiebungen genau so funktionieren und wir wissen, daß genau in diesem Moment ganz viele Leute versuchen, aus Afrika rüberzukommen und jämmerlich ersaufen oder was auch immer passiert. Das wissen wir und wir sitzen hier und können lachen - das läßt einen zurück, verwirrt und auch verstört - und so soll's sein.

SB: Dagegen anzugehen, gerade, wenn man diese Entwicklung zur Kenntnis nimmt, daß wir ganz viele Sachen für selbstverständlich halten, weil wir uns ständig damit umgeben und damit natürlich auch Herrschaftsverhältnisse akzeptieren, dagegen anzugehen und zu -texten, ist ja durchaus mühevoll. Und es kommt über diesen Punkt, den du beschrieben hast, daß man am Ende einfach nur sagt, ja, das ist so und es bleibt ein ungutes Gefühl, möglicherweise nicht hinaus. Warum machst Du 's trotzdem?

KD: Natürlich immer in der Hoffnung, daß sich die Sachen nochmal ändern, daß sowas entsteht wie eine politische Bewegung, auch wenn ich's nicht herbeisingen kann. Ich bin davon überzeugt, daß die Geschichte weitergeht und die Gesellschaft nicht so bleiben wird, wie sie ist. Ob wir das alle erleben, weiß ich nicht. Aber darum mache ich das, ich könnte gar nicht anders, oder würde anders gar nicht wollen. Ich hätte keine Lust, anders zu arbeiten und zu leben, als mir darum Gedanken zu machen und zu versuchen zu handeln. So wie das eigentlich jedem politisch denkenden und handelnden Menschen geht.

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© 2011 by Schattenblick SB: Die Fußspuren deines Vaters - künstlerisch, politisch, traditionell - darf ich dich danach fragen?

KD: Ja natürlich.

SB: Wie dein Vater sind du und dein Bruder beide Anwalt geworden und wie dein Vater Liedermacher. Das sieht, von außen, nach einem großem Gleichklang aus. Inwieweit war der Vater auch Emanzipationshilfe oder -motor?

KD: Ich kann nur für mich selber sprechen, für meinen Bruder kann ich das nicht beantworten. Ich habe das nicht so empfunden und mein Impuls, Jura zu studieren, war, daß ich Zivildienst gemacht habe und danach studieren wollte. Vor allem aber wollte ich Musik machen, immer, das wußte ich. Aber ich war nicht gut genug und eine Musikhochschulaufnahmeprüfung, die hätte ich nie bestanden. Klavier konnte ich auch nicht. Und da habe ich angefangen, Jura zu studieren, ohne eigentlich zu wissen, was das ist, ehrlich gesagt. Mir ging es in erster Linie - das war damals ja noch möglich - darum, das Bohème-Leben eines Studenten zu zelebrieren (lacht), und das ist mir auch gelungen, heute kann man das nicht mehr. Die jungen Leute heute studieren ganz anders. Und irgendwann, mir fiel das Jurastudium nicht so schwer, war ich dann fertig. Ich kriegte sogar Geld im zweiten Studienabschnitt, einer Art Referendariat, das erleichterte es mir enorm, noch weiter zu machen. Nach dem Studium hatte ich dann - wie viele andere Musiker ja auch - diese Kunst- und Brot-Problematik, und da war als Anwalt zu arbeiten eine ganz gute Möglichkeit, erstmal Miete und Einkäufe zu bezahlen. Aber ich hatte im Grunde nie den Wunsch, Jurist zu werden. Und habe das relativ schnell nach dem Studium auch drangegeben.

SB: Und künstlerisch? Und politisch?

KD: Daß ich künstlerisch von meinem Vater geprägt bin - ganz bestimmt. Ich bin ja nicht nur sein Sohn, sondern habe seit '87 auf jedem seiner Alben gespielt, arrangiert, ich war 20 Jahre auf Tour mit ihm - also wenn das nicht prägt, weiß ich auch nicht. Und mir gefällt das, sonst hätte ich es ja nicht gemacht. Politisch bin ich bestimmt geprägt durch ein kommunistisches Elternhaus, aber Marxist - das ist ja nicht wie in einer Religionsgemeinschaft qua Geburt oder Taufe - das wird man, indem man sich selber als Erwachsener oder heranwachsender Mensch damit beschäftigt, sich mit politischen Fragestellungen auseinandersetzt und dann Entscheidungen trifft. Das habe ich gemacht.

SB: Was wurde denn im Hause Degenhardt über die 68er Zeit erzählt, worüber diskutiert?

KD: Ich war ja als ganz kleines Kind mit dabei, ich erinnere mich, daß ich viel auf Demos war und in Konzerten von meinem Vater und anderen Kollegen. Das habe ich bewußt miterlebt und natürlich war das auch immer Thema, allerdings gar nicht als "die 68er Zeit", denn den Begriff verwendete man ja nicht, auch weil es ja wir selber und Freunde und Bekannte waren, diese 68er-Leute.

© 2011 by Schattenblick

© 2011 by Schattenblick SB: Du schreibst und vertonst nicht nur Lieder, sondern betätigst dich auch als scharfzüngiger Kritiker der Musikbranche. In einem Artikel aus dem Dezember letzten Jahres in der Zeitschrift Marxistische Erneuerung, "Der Tod steht ihr gut", der auch im Schattenblick veröffentlicht wurde (1), schreibst du, daß "das Ende der Musikindustrie, wie wir sie kennen, auch die Chance für eine Wiederbelebung linker Gegenkultur bietet". Könntest du das erläutern?

KD: Ich glaube tatsächlich, daß die Popmusik, so wie es sie seit Ende der 50er Jahre bis jetzt gibt, gerade ihren "Niedergang" erlebt. Es gibt sie weiter, aber sie funktioniert künftig nicht mehr als großer Life-Style-Moment, als Identifikationsmodell für Jugendgruppen. Das wird, glaube ich, mehr und mehr zu seinem Ende kommen. Es gibt inzwischen andere Bereiche, wo sich das abspielt. Es läßt sich mit CD-Verkäufen auch kein Geschäft mehr machen im großen Maßstab, die Umsätze haben sich halbiert. Das heißt, es gibt eine kulturelle Verlagerung. Und das ist meiner Meinung nach eine Chance, weil dadurch ein Raum frei wird, eine Lücke entsteht, wo junge Musiker einfach wieder ganz normal Musik machen können, ohne über ein Pop-Format, das mainstreammäßig funktioniert, so eine Art Blaupause als Vorlage nachdenken zu müssen: So muß das klingen, wir müssen ein Video dazu machen, damit das bei MTV läuft. Man macht das heute vielleicht bei Youtube und ich stelle mir vor, es könnte wieder eine subkulturelle Szene entstehen, wo man politische Musik macht, ob es Hiphop ist oder Liedermacherei oder eine andere Art von Rock- oder Punkmusik, die ganz woanders stattfindet, die sich gar nicht in den Kanälen der Popmusik abspielt, in den großen Hallen oder auf den Events, sondern im kleinen Rahmen, was in den 50er Jahren vielleicht die Jazzkeller waren; heute sind es die Nischen des Internet. Das meine ich mit der Chance. Es ist weit davon entfernt, Mainstream oder hegemonial zu werden, aber es könnte dieses Nichtvorhandensein oder sagen wir mal Quasi-Nichtvorhandensein einer Gegenkultur, wie es im Moment ist, durchbrechen oder sie wiederbeleben.

SB: Du meinst so wie ein leergeräumtes Zimmer, das man neu betreten kann und wo man neue Dinge machen kann und wo vielleicht auch die Lust nicht nur bei den Machern, sondern auch beim Publikum entsteht, nachzugucken, was sonst noch möglich ist?

KD: Genau! Mit diesem Niedergang der Popmusik wird ja auch deutlich, was das, was übrig bleibt, formal eigentlich ist - z.B. bei 'Deutschland sucht den Superstar' - was das für ein furchtbarer Schlager-Glamour-Quatsch ist, der falsche Träume für Jugendliche präsentiert, so wie früher vielleicht Frank Sinatra und Doris Day. Und ich kann mir vorstellen, daß junge Leute auf die Idee kommen und sagen: Was ist denn das für ein Blödsinn, darauf beziehen wir uns doch gar nicht mehr, wir machen was anderes, genau dagegen setzen wir was.

SB: Das Schlimme an diesen Formaten, die einer gesellschaftlichen Zurichtung das Wort reden, ist ja, daß sie offensichtlich eine ganz große Akzeptanz haben.

KD: Menschenselektion. Widerlich. Und der Köder ist: Du wirst ein Star, Du kommst ins Fernsehen, was für ein fragwürdiges Glücksmoment das auch immer sein mag.

SB: Du schreibst in dem gleichen Artikel, daß eine Gegenkultur sich nicht aus gutem politischen Willen heraus installieren läßt. - Wie dann?

KD: Texte und Musik müssen Musiker schon selber machen. Aber Kulturpolitik kann Räume schaffen, Auftrittsmöglichkeiten, Kulturveranstaltungen. Natürlich kostet das auch immer ein bißchen Geld - aber ja keine enormen Summen. Einen Gig zu veranstalten für ein paar Leute, die sich nicht vormachen, davon leben zu können, aber trotzdem ein bißchen fair bezahlt werden wollen, das ist machbar. Meine Erfahrung allerdings ist, daß gerade die Linke ein merkwürdiges und leider sehr instrumentelles Verhältnis zur Kultur hat. Die muß immer funktionieren als irgendwas auf etwas anderes Bezogenes: Leute ziehen zu einer politischen Veranstaltung oder aber den Bunten Abend bestreiten: erst der und der Referent, dann der Liedermacher und am Schluß kommt dann noch die Salsa-Band. Das ist eine sehr unselige Tradition.

© 2011 by Schattenblick

© 2011 by Schattenblick

SB: Wenn ich dich richtig verstehe, braucht es einen Organisator dafür, beispielsweise eine linke Gruppierung, Partei oder einen Zusammenschluß von Liedermacherkollegen?

KD: In Live-Clubs, das was früher mal Jazzkeller waren, da, wo Blues, Jazz, Folk funktioniert, funktionieren manchmal auch Liedermacher, aber es gibt immer weniger davon, die ganze Live-Club-Szene ist so ziemlich den Bach abgegangen in den letzten Jahren. Aber manchmal gibt es auch politische Leute, die sagen: Wir wollen das gerne veranstalten mit dir. Sowas stelle ich mir im besten Falle vor, daß man was zusammen organisieren kann. Hat 's ja auch mal gegeben. Es gibt bestimmt hier in Hamburg viele junge Leute, die Hiphop oder Rockmusik machen mit guten Texten aus ihrem ganz normalen Alltag, wenn denen irgendeine Möglichkeit gegeben würde - aber man kann's, wie gesagt, nicht herzaubern. Und natürlich nicht erzwingen und das sollte man auch nicht, aber Möglichkeiten dafür geben, das wäre ja drin. Das wird meines Wissens überhaupt nicht gemacht.

SB: Vermisst Du in dem Zusammenhang Verbündete, Kollegen, die am gleichen Strang ziehen?

KD: In Frankreich gibt es, wie man hört, eine ganz andere, politischere Szene, die Mestizo-Szene zum Beispiel, und das macht mich schon neidisch. Daß es sowas überhaupt nicht gibt bei uns, das finde ich schade. Natürlich würde ich gerne vor 300 Leuten spielen und nicht vor dreißig oder so - das hat damit zu tun. Aber ich sehe das natürlich auch in den politischen Zusammenhängen. Daß diese Gegenkultur auch eine Gegen-Kultur ist, das vermisse ich sehr bei dem instrumentellen Verhältnis der Linken zur Kunst. Die sollen Leute ziehen oder einen Bunten Abend bestreiten.

SB: War das denn je anders? Ich denke jetzt mal in den Kategorien des politischen Liedes, an die Festivals auf Burg Waldeck etwa ...

KD: Ich fürchte, es war noch nie groß anders. Burg Waldeck war vielleicht mal in den Anfängen der Versuch. Das war ja sozusagen der erste Moment der Installierung einer ernsthaften deutschsprachigen Musik nach der Nazizeit, die ja die gesamte deutsche Liedkultur und die deutsche Vokalmusik zerschreddert, zersungen, verschüttet und letztlich nicht mehr singbar gemacht hat, als Versuch, da wieder neu heranzugehen. Das war ja erstmal gar nicht so ein Publikumsfestival und damit wurde auch nichts verdient, da fanden sich diese Leute eigentlich erst zusammen. Da mag es noch anders gewesen sein. Aber die großen, anschließenden Festivals damals mit viel Geld und Publikum, das hatte dann immer schon genau dieses instrumentelle Verhältnis.

SB : Du hast mal gesagt, daß sich die meisten der 68er im Laufe ihrer Karriere ins neoliberale Projekt eingeschrieben haben. Siehst Du irgendwo, auch unabhängig von der Kultur oder von der Liedermacherszene, ein politisches Protestpotenzial in der jungen Generation?

KD: Gerade bei den Castortransporten oder 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm, da war ich erstaunt, woher die vielen jungen Leute kommen, gerade wo man in den letzten Jahren von der sogenannten 'globalisierungskritischen Bewegung' so wenig gehört hatte. Oder zuletzt bei den Studentenstreiks. Da hatte ich ein paar Konzerte, das war toll! Es verebbt leider immer wieder sehr schnell, da fehlen natürlich organisatorische Zusammenhänge. Ich glaube, man macht sich was vor zu meinen, nur mit Twittern und Internet könnte man eine politische Organisation ersetzen. Ich glaube, die braucht es nach wie vor trotz Internet und sozialen Netzwerken.

SB: Dein Vater, Franz Josef Degenhardt, hat 1990 in einem konkret-Interview sinngemäß gesagt, er sei in eine Partei eingetreten, die DKP, weil es in der Familie läge. Politik ohne Partei sei nicht möglich. Würdest Du das auch so sehen?

KD: Nein. Parteien haben den Vorteil, daß sie einen bestimmten rechtlichen Status haben. Dafür müssen sie sich aber auch an Wahlen beteiligen, was ich nicht als notwendig ansehe. Aber es ist natürlich auch immer eine Möglichkeit, sich zu präsentieren, aber das muß, weiß Gott, keine Partei sein, ganz bestimmt nicht. Parteien, Vereine oder Gewerkschaften, die haben eine Struktur, die bleibt, das ist natürlich ein Vorteil. Die müssen verfasst sein, da muß mal einer nachgewählt werden, die haben auch so was Träges wie die Treffen einmal die Woche, das geht weiter, da gibt es eine Logistik, die sind nicht einfach wieder weg. Das ist, glaube ich, nicht ganz unwichtig für sowas, auch, daß es menschliche Verhältnisse sind, in denen man sich mag oder auch nicht mag.

SB: Liegt es möglicherweise auch daran, daß wir Menschen immer sehr nah an unseren eigenen Bedürfnissen und Empfindsamkeiten längs agieren und es deshalb vielleicht keine außerparlamentarische Bewegung mehr gibt, wie wir sie '68 hatten, weil es dieses weitreichende Ziel nicht gibt, dieses weitreichende Interesse? Wir machen klein bei klein, könnte man auch sagen?

KD: Da ließe sich wieder anknüpfen an das, das was wir vorhin über das Lied "Die Tötung" gesagt haben. Es funktioniert ja vieles in dieser Gesellschaft als Gleichmut der ewigen Zustimmung. Da ist die große Fernsehlandschaft mit 20 Programmen, die den ganzen Tag lang entweder arme Leute verarschen oder Gefühle theatralisieren. Natürlich kommt es auch vor, daß man Abgeschobene sieht, es kommt auch vor, daß man den Krieg sieht, aber das ist ja alles eine große Zustimmungsmaschine, eine ganz große Kraft der Gegenseite, die das hinkriegt, daß die Leute das gucken und akzeptieren. Es zu skandalisieren, zu sagen, das kann doch eigentlich gar nicht sein, daß das passiert, ist eine große Schwierigkeit. Ich bin auch manchmal ratlos, wie man das machen kann. Eigentlich glaube ich, weiß jeder oder ahnt es, daß die nächste Wirtschaftskrise kommt, es weiß auch jeder, daß die Menschheit keine große Chance hat auf diesem Planten noch länger zu überdauern, wenn sie nicht dazu kommt, planhaft zu produzieren und mit den Ressourcen umzugehen, was nichts anderes ist als eine sozialistische Gesellschaft, die sich gemeinsam plant. Und ich sehe es nicht so, als ob es das Projekt nicht gäbe. Manchmal geht's schneller, als man glaubt. Ich könnte mir vorstellen, wenn jetzt hier was passieren würde, ein Generalstreik wie in Spanien, daß das auch etwas in Bewegung setzt - als die Kraft des Faktischen, was dann wieder was hervorbringt. Man war ja ganz verwundert über Stuttgart 21, da hat keiner mit gerechnet, daß das auf einmal so abgeht. Und wenn man sich zurückerinnert an die Anti-Globalisierungsbewegung, das war ja ein Mordsschub in Seattle, in Göteborg. Und dann nach den Schüssen in Genua, wo sich die Regierungschefs erstmal nur noch in den Rocky Mountains getroffen haben und dann ganz bewußt entschieden haben, wir müssen die Leute mit ins Boot holen. Mit ihrem Live 8 in Gleneagles und dann in Heiligendamm haben sie versucht, sich das zu eigen zu machen und es als das große globale Fair-Play-Spiel hinzustellen: Wir entschulden den Trikont und wir machen daraus ein großes Event. Ich fürchte, es ist ihnen gelungen, da die Luft rauszunehmen, ohne jeden Zwang, ohne große Repression: If you can't beat them, join them - und alles bleibt, wie's ist.

© 2011 by Schattenblick

© 2011 by Schattenblick SB: Zu deinem Lied "Als ich älter war", gibt's bei YouTube folgenden Kommentar: "Ich find's großartig und hochpoetisch, ohne es komplett zu begreifen."

KD: Ist doch gut.

SB: Wie groß ist dein Anliegen, dich verständlich zu machen und wo gerät man dabei auch an poetische Grenzen?

KD: Also verständlich machen will ich mich natürlich, aber gerade so ein Lied wie das oder auch "Aus dem Moor" - da soll man ja nicht jede Zeile verstehen, da sagt ja keiner, das ist so und so gemeint. Was ich damit meine, ist auch nicht entscheidend, sondern das, was bei demjenigen, der es hört, im Kopf entstehen kann. Das, was da entsteht, das ist das Lied, so funktioniert es, im Auge oder im Kopf oder im Herzen des Betrachters. Ich kenne das auch, daß man sagt: Ich würde jetzt gerne wissen, was der sich dabei gedacht hat - aber das ist das Geheimnis.

SB: Bei dem Lied "Als ich älter war" fällt mir sofort was ein aus meiner eigenen Kindheit, wo ich viel erwachsener war als jetzt oder nicht weniger erwachsen und wo ich rückschauend denke, da wußtest du eigentlich schon alles und du wußtest es mit einer Radikalität und einer Entschiedenheit, die noch durch keine erwachsenen Kompromisse getrübt war.

KD: Ja, so ist es auch ein bißchen gemeint. Und es ist natürlich auch eine politische Retrospektive, daß die Zeit vielleicht schon mal weiter gewesen ist als heute. Es gibt einen Bob Dylan-Song, der hat im Refrain "I was so much older then, 'm younger than that now". "My back pages" heißt der, davon ist es inspiriert. Und es wäre albern, das abzustreiten, weil es zitiert es ja fast.

SB: Was inspiriert dich sonst zum Liederschreiben? Wo nimmst du deine Ideen her?

KD: Das ist so unterschiedlich, das kann ich gar nicht sagen. Mal ist es so, daß ich denke, dazu würde ich gerne mal was machen, mal fliegt einem das zu, mal fehlt noch ein Lied und dann strengt man sich an... (lacht)

SB: ... und es wird mühsam erarbeitet, wahrscheinlich in der Regel aller Fälle, weil es von der Idee bis zum fertigen Text ein langer Weg ist.

KD: Das geht mir zumindest so. Ich lese manchmal bei Leuten: Ja, das Lied hab ich in zwei Stunden geschrieben. Das ist mir noch nie gelungen, das kann ich gar nicht. Ich habe die Idee, das geht schnell, und weiß dann, wie es auszusehen hat, aber dieses Ausarbeiten, der Weg des Reimens, das dauert bei mir immer ewig. Es ist diese Mühsamkeit, die auch nicht so richtig Spaß macht und wo man kaum vom Fleck kommt - das kennt ja jeder, der schreibt. Und dann hat man eine Strophe geschrieben und denkt, das ist Scheiße und schon ist sie wieder weg und man meint, vielleicht ist die ganze Idee blöd gewesen. - Es ist das Mühsame, Ärgerliche - aber nur so geht's, glaube ich.

SB: Kai Degenhardt, wir bedanken uns sehr für das offene Gespräch.

Anmerkung:
(1) Schattenblick -> INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIVPRESSE Z/137: Musikindustrie - Der Tod steht ihr gut


Tourdaten:
22.03.2011, Celle, Café Wichtig
19:00 Uhr
Vortrag/Diskussion zum Zustand der Musikindustrie

24.03.2011, Eutin, Theater am Schloß Foyer
20:00 Uhr
Konzert

25.04.2011, Biblis, Kirchplatz
14:00 Uhr
Auftritt beim Aktionstag-Sternmarsch gegen Atom

18.05.2011, Idar Oberstein, Jugendtreff am Markt
19:00 Uhr
Vortrag/Diskussion zum Zustand der Musikindustrie

25.06.2011, Dortmund, Revierpark Wischlingen
ca. 16.00 Uhr
Auftritt beim UZ-Pressefest

Treffpunkt Café Schanzenstern in Hamburg -Foto: © 2011 by Schattenblick

Treffpunkt Café Schanzenstern in Hamburg

© 2011 by Schattenblick

2. März 2011