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INTERVIEW/024: Eine Burg und linke Lieder - ... leiser geworden, Rainer Johanterwage im Gespräch (SB)


"Heute ist diese Angst wieder da ..."

Interview am 22. Juni 2013 auf Burg Waldeck



Beim 5. Linken Liedersommer, der vom 21. bis 23. Juni auf Burg Waldeck stattfand, berichtete Rainer Johanterwage als Teilnehmer des Workshops "Kunst als Waffe" von seiner langjährigen Arbeit in einem Betrieb der Möbelindustrie. Er schilderte die gravierenden Veränderungen zu Lasten der Beschäftigten in dieser Branche wie auch die daraus resultierenden Hindernisse, die einer engagierten Interessenvertretung im Wege stehen. Nach dem Workshop beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu Konflikten im Betrieb, den Erfahrungen mit Kollegen und einer möglichen Unterstützung durch politische Organisationen oder Parteien.

Auf den Stufen vor der Freilichtbühne sitzend - Foto: © 2013 by Schattenblick

Rainer Johanterwage
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Rainer, du hast vorhin im Workshop Fragen aufgeworfen, die sich dir bei deiner Arbeit im Betrieb stellen. Könntest du für unsere Leserinnen und Leser einmal erzählen, was du machst und mit welchen Problemen und Konflikten du konfrontiert bist?

Rainer Johanterwage: Ich bin gelernter Holzbildhauer, so richtig Herrgottschnitzer. In den 80er Jahren haben wir dann hauptsächlich von Stilmöbelfirmen gelebt, bis dann diese kleinen mittelständischen Betriebe zusammenbrachen und es Umstrukturierungen in der Holzindustrie hin zu den Kastenmöbeln gab. Ich war dann längere Zeit arbeitslos und habe schließlich als Tischler angefangen. Zeitweise war ich in einer Sargfabrik beschäftigt und jetzt bin ich mittlerweile seit 17 Jahren in der Möbelindustrie. Ich arbeite da als Tischler, habe aber in dem Betrieb im Prinzip schon alles gemacht. Angefangen habe ich mit Bettenbau, war dann Springer und wurde, nachdem unsere stellvertretende Vorsitzende zurückgetreten war, zum Betriebsrat gewählt. Von da an war ich sechs Jahre freigestellter Betriebsrat. Nach Ende meiner Freistellung habe ich zuerst als Lackierer gearbeitet und heute mache ich das Magazin, also die Logistik und alles, was damit zusammenhängt. Das ist schon ganz schön weit weg von dem, was ich mal gelernt habe.

In den 17 Jahren, die ich in diesem Betrieb beschäftigt bin, wurde fast die Hälfte aller Beschäftigten abgebaut. Wir führen seit fünfzehn Jahren einen intensiven Kampf um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Zwischenzeitlich sind wir von einem Großkonzern übernommen worden, der behauptet, keiner zu sein. Hülsta hat sechseinhalbtausend Beschäftigte in 24 GmbHs. Das ist die übliche Konzernstruktur, wenn Geschäftsverhältnisse und Gewinnverschiebungen verschleiert werden sollen. Und wir versuchen eben, uns zu wehren und uns da einigermaßen zu behaupten. Wir haben im Schnitt alle zwei Jahre einen Sanierungsprozeß erlebt, der immer darauf hinauslief, Arbeitsplätze abzubauen, Löhne zu senken, Arbeitszeit zu erhöhen, die Bedingungen zu verschärfen. Wir haben heute externe REFA-Fachleute, die "unabhängig" im Interesse des Unternehmens die Arbeitsbedingungen verschärfen. Manchmal frage ich mich, warum alle vom 17. Juni schwärmen - wir erleben diesen Prozeß der Normenerhöhung täglich.

Die Kollegen wissen manchmal nicht mehr, wie sie das noch schaffen sollen. Wir haben von der Struktur her einen Altersdurchschnitt von 46 Jahren bei uns im Betrieb. Von den 788 Leuten, die beschäftigt waren, als ich damals angefangen habe, sind nur noch 370 übriggeblieben, die alle Angst um ihren Job haben und sich fragen, was sie machen sollen, wenn sie auf der Straße stehen. Jeder weiß, daß es keine Einstellungen oder ähnliches gibt. Daraus resultieren unterschiedliche Verhaltensweisen - die einen haben aufgrund der Verhältnisse innerlich gekündigt, die anderen versuchen, sich da irgendwie einzuschleimen, um zu überleben, oder sich zu ducken. Ich habe nicht das Gefühl, daß es eine Form von Wut ist, die in Widerstand umschlagen würde. Das ist eher ein Wegducken, eher ein Stillsein, bloß nicht auffallen und eigentlich eine permanente Angst, etwas, was ich früher nie gekannt habe. Ich komme aus der Zeit der 70er Jahre, in denen es für uns keine Angst gab. Da lag eine Welt vor uns, wir wollten diese Welt verändern, wir kannten keine Angstgefühle. Doch heute ist diese Angst wieder da: Was passiert morgen? Was passiert, wenn ich krank werde? Kriege ich noch Rente? Schaffe ich es überhaupt noch, bis zur Rente einen Arbeitsplatz zu haben? Daran gehen die Menschen einfach kaputt.

Ich merke es bei unseren Kollegen. Wir haben immer mehr Fälle von psychischen Störungen, wo Leute durchdrehen oder unter diversen Erkrankungen leiden. Wir wissen alle, daß ungefähr die Hälfte aller Rückenerkrankungen auf psychische Probleme zurückzuführen ist, also nicht daher rührt, daß man schwere Dinge heben mußte oder dergleichen. Es ist einfach Streß und ständige Überbelastung. Ganze Produktionsstränge bei uns haben reihenweise Bandscheibenvorfälle, die Kollegen fallen dann jeweils für ein Vierteljahr aus. Sie werden operiert, obwohl jeder weiß, daß es nicht viel hilft.

Man steht ziemlich hilflos vor dieser Situation. Ich bin ja auch in der IG Metall, die uns mit diesen ganzen Flexibilisierungsvereinbarungen im Prinzip ein Ei ins Nest gelegt hat. Die andere Seite kann machen, was sie will. Es gibt alle Möglichkeiten der Arbeitszeitverlängerungen, die der Unternehmensleitung zur Verfügung stehen: Arbeitszeitkonten, es wird auch über Lebenszeitkonten diskutiert, Ausgleichszeiten, die dann angeblich vereinbart werden. Daß man im Schnitt auf 35 Stunden in der Woche kommt, ist Science-fiction, die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir arbeiten heute im Schnitt zwischen 40 und 45 Stunden, und wenn man das im Zwei-Schicht-Betrieb macht, sieht das so aus: Die Frühschicht fange ich um 5.45 Uhr an und arbeite bis um 14.30 Uhr, oder ich fange in der Spätschicht um 14.30 an und habe um 23.15 Uhr Feierabend. Die Spätschichtwoche ist im Prinzip total tot, man trifft keinen mehr, man kann nichts unternehmen, man verschiebt alles auf die nächste Woche, in der man dann wieder Frühschicht hat. Man kommt nicht zum Schlafen, es ist so ein Teufelskreis, der dann natürlich auch ins Gewicht fällt, wenn man versucht, sich irgendwo zu engagieren.

Gesprächsrunde aus seitlicher Perspektive - Foto: © 2013 by Schattenblick

Im Workshop vornean ...
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Welche Erfahrungen hast du mit jüngeren Kollegen gemacht, die diese Zeit der 70er Jahre, die du beschrieben hast, gar nicht mehr miterlebt haben und vielleicht nur noch die Situation von Druck und Angst kennen?

RJ: Ein Problem besteht darin, daß unsere Lehrlinge zunehmend älter sind, wenn sie eingestellt werden. Wir haben teilweise auch Abiturienten gehabt, die dann eben Tischler oder Holzmechaniker lernen, was ich für absolut schwachsinnig halte. Da sollte man lieber studieren, als nach der Ausbildung im Akkord zu landen. Heute kommt eine Generation in den Betrieb, mit der ich so meine Schwierigkeiten habe. Ein Teil steht politisch eher rechts und kennt im Prinzip nur die Konsumgesellschaft. Sie wissen, wofür sie Geld ausgeben wollen, aber nicht, wie man an die Kohle rankommt. Denen die Verhältnisse im Betrieb klarzumachen und beizubringen, daß es immer zwei Seiten gibt und keinen friedlichen Ausgleich, sondern eine permanente Auseinandersetzung, ist ausgesprochen schwierig. Ich habe so das Gefühl, daß sie nur irgendwelche Events im Kopf haben, aber von Engagement für die Interessen der Beschäftigten im Betrieb nichts wissen wollen. Es sind die Kollegen zwischen 50 und 60, die sich noch engagieren und in den Vertrauensleutekörper gehen. Hingegen haben wir größte Schwierigkeiten gehabt, überhaupt Jugendvertreter zu bekommen, geschweige denn, sie dazu zu kriegen, auch etwas zu unternehmen. Man hat also diese Jugendvertreter lediglich auf dem Papier.

SB: Erfährst du seitens politischer Parteien oder Organisationen irgendeine Form der Unterstützung?

RJ: Die sehe ich eigentlich nicht, das ist immer ausgesprochen schwierig. Die einen reden von der Revolution, sind aber nicht im Betrieb. Die Linke, die eigentlich unsere gewerkschaftlichen Forderungen vertritt, besteht aus Hartz-IV-Empfängern oder Lehrern, so einem ganz seltsamen Gemisch, aber es sind nicht die Kollegen aus unserem Betrieb, die einen Bezug dazu haben. Manche sind stolz darauf, Oskar noch zu kennen, und sagen, sie würden Die Linke wählen. Ihre Vorstellung von Veränderungen, die da kommen sollen, bleiben aber diffus. Unterstützung im Betrieb bekommen wir im Grunde keine, wir stehen ziemlich alleine da.

Es ist auch sehr schwierig, als Linker in diesen Strukturen zu arbeiten, weil man gezwungen ist, Kompromisse einzugehen, um das Schlimmste abzuwenden. Wir können aber die Ursachen nicht beseitigen, weil wir keinen wirtschaftlichen Durchgriff oder irgendwelche sonstigen Möglichkeiten haben. Wir können im Prinzip nur Pflästerchen verteilen und helfen, daß die Kollegen nicht ganz den Bach runtergehen. Aber sobald es darum geht, daß man den Laden einfach mal stillegen müßte, damit die andere Seite etwas merkt, kommt diese Angst um den eigenen Arbeitsplatz wieder hoch. Man erlebt selbst bei den engagierten Kollegen eine Kompromißbereitschaft, die bis zur Selbstaufgabe geht. Dann nicht selber das Handtuch hinzuschmeißen, ist immer sehr schwierig. Wenn ich es nicht mache, gibt es keinen anderen, der vielleicht auch mal Kontra geben könnte, das ist mir klar. Das über einen langen Zeitraum zu machen, geht aber manchmal bis an die Grenze, wo man selber die Schnauze voll hat und sich fragt, wofür man das eigentlich macht und was das soll, wenn ich anschließend noch beschimpft werde, weil ich nicht alles retten kann. Nur, wenn ich es nicht tue, macht es keiner.

SB: Und was hat dich hierher nach Burg Waldeck geführt?

RJ: Meine eigenen Traditionen, weil ich mit Protestliedern aufgewachsen bin. Ich bin mit Degenhardt aufgewachsen und auch politisch geworden. Burg Waldeck gehört zu diesem Background dazu. Ich brauche das, ich brauche die Diskussionen mit unterschiedlichen Linken, denn mit meiner eigenen Meinung brauche ich mich ja nicht zu unterhalten. Ich brauche unterschiedliche Auffassungen, um darüber auch nachdenken zu können. Da sehe ich hier einfach die Möglichkeit, daß ich die unterschiedlichsten Leute treffe. Und ich freue mich auch darüber, verschiedene Positionen kennenzulernen und friedlich darüber zu diskutieren. Daran lerne ich, das finde ich gut hier.

SB: Rainer, vielen Dank für dieses Gespräch.

Herabschießender Wasserlauf zwischen Bäumen - Foto: © 2013 by Schattenblick

Sturzbach unterhalb der Burg Waldeck
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

Bisherige Beiträge zum Linken Liedersommer auf Burg Waldeck im Schattenblick unter INFOPOOL → MUSIK → REPORT:

BERICHT/013: Eine Burg und linke Lieder - wie alles kam (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0013.html

BERICHT/014: Eine Burg und linke Lieder - Soziales nach Noten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0014.html

BERICHT/015: Eine Burg und linke Lieder - Die Kunst zu treffen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0015.html

INTERVIEW/019: Eine Burg und linke Lieder - Nieder und Lagen und Blicke voran, Kai Degenhardt im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0019.html

INTERVIEW/020: Eine Burg und linke Lieder - Zeitenwenden, Brückenköpfe, Dr. Seltsam und Detlev K. im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0020.html

INTERVIEW/021: Eine Burg und linke Lieder - Nicht weichen, sondern Analyse, Klaus Hartmann im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0021.html

INTERVIEW/022: Eine Burg und linke Lieder - Liederparadies im Schatten, Gina und Frauke Pietsch im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0022.html

INTERVIEW/023: Eine Burg und linke Lieder - Genius verkannt, Uli Holzhausen und Matthias Leßmeister im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0023.html


5. August 2013